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Ohne Steinbach wäre das Zentrum sinnlos Mit Verwunderung beobachte ich das Tauziehen um die Berufung der BdV-Präsidentin Erika Steinbach in den Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Ich bin Amerikaner, weder Pole noch Deutscher, und fühle mich nur der Menschlichkeit und der geschichtlichen Wahrheit verpflichtet. Warum soll es angesichts der Dimension dieses Geschehens in den Jahren 1944 bis 1948 kein würdiges Zentrum in zentraler Lage zur Dokumentation und zum Gedenken geben? Ich begrüße die Entscheidung des Bundestages, eine solche Gedenkstätte in Berlin zu errichten, die nicht nur als Museum dienen sollte, sondern als lebendiges Werk für die Menschenrechte. Ich bedauere jedoch die Politisierung der Diskussion. Denn es geht um Opfer großen Unrechts und um die Notwendigkeit der Besinnung, damit aus der damaligen Katstrophe die richtigen Lehren gezogen werden: Vertreibungen sind zu ächten und soweit möglich auch wiedergutzumachen. Nur so kann erreicht werden, daß sie künftig nicht mehr geschehen. Es ist geschichtlich nicht zu bestreiten, daß die deutschen Vertriebenen Ungeheuerliches erlitten haben. Dies wurde bereits 1945 auch von General Eisenhowers Berater Robert Murphy, von Bertrand Russell, Victor Gollancz und Albert Schweitzer festgestellt. Die Diskussion der vergangenen Wochen geht unter die Gürtellinie; sie bedeutet Hohn und Unbarmherzigkeit gegenüber den Opfern. Die persönlichen Angriffe gegen Erika Steinbach, die Vertreterin der deutschen Vertriebenen, zeigen, wie wenig sich manche Politiker und Journalisten in Deutschland, Polen und in der Tschechischen Republik mit der menschenrechtlichen Bedeutung der Vertreibung auseinandergesetzt haben. Der ehemalige UN-Hochkommissar für Menschenrechte, José Ayala Lasso, aus Ecuador, sagte am 6. August 2005 im ICC-Berlin in Anwesenheit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und Erika Steinbachs: „Auch ich unterstütze die Idee, ein internationales Zentrum zum Kampf gegen Bevölkerungsumsiedlungen einzurichten, dessen Aufgabe nicht nur das Dokumentieren und Erforschen von Vertreibungen in der Vergangenheit sein soll, sondern das sich ebenfalls zum Ziel setzt, zukünftige Vertreibungen überall auf der Welt zu verhindern, indem es Aufklärung betreibt und das öffentliche Bewußtsein schärft für die Schrecken, die durch gewaltsame Bevölkerungsumsiedlungen entstehen, indem es Frühwarnstrategien entwickelt und die Maßnahmen der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet unterstützt.“ Sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten sind Vertreibung und Verschleppung völkerrechtswidrig. Das Nürnberger Urteil hat die von den Nationalsozialisten betriebenen „Bevölkerungstransfers“ eindeutig als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt. Auch gemäß Artikel 8 des Statuts des internationalen Strafgerichtshofs aus dem Jahre 1998 gelten Vertreibungen als Kriegsverbrechen, gemäß Artikel 7 als Verbrechen gegen die Menschheit. Vertreibung erfüllt sogar den Tatbestand des Völkermordes, wenn die Verantwortlichen in der Absicht handeln, eine Volksgruppe auch nur teilweise „als solche zu zerstören“. Dies ist auch die Rechtsprechung des Internationalen Strafrechtstribunals für das ehemalige Jugoslawien und des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag. Wenn beispielsweise Srebrenica als Völkermord gilt, so können auch größere Massaker während der Vertreibung der Deutschen als Völkermord eingestuft werden. Das Völkerrecht gilt per definitionem für alle. Eine Juristerei „à la carte“ wäre ein Widerspruch in sich. 2000 gründeten Erika Steinbach und Peter Glotz die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ mit dem Ziel, alle Vertreibungen in Europa zu studieren und alle Opfer zu würdigen − nicht nur die deutschen. Leider ist Glotz viel zu früh verstorben. Steinbach hat die Aufgabe mit Vernunft und Augenmaß weitergeführt. Sie hat ihre Bereitschaft zur Versöhnung mehrfach bewiesen. In den Jahren 2006 bis 2008 organisierte die von ihr initiierte Stiftung beispielsweise die ausgezeichnete Wanderausstellung „Erzwungene Wege“, die mit Erfolg in vielen Städten gezeigt wurde. Diese Ausstellung war der historischen Wahrheit und den Menschenrechten verpflichtet und bezog auch die polnische Geschichte und polnische Erfahrungen ein. Dennoch wurde Frau Steinbach nun von hochrangigen Persönlichkeiten in Polen als „falsche Vertriebene“, als „Gefahr für Polen“, ja sogar als „blonde Bestie“ bezeichnet. Wer will, kann darüber nachdenken, ob die von Steinbach und den deutschen Vertriebenen bewiesene Versöhnungsbereitschaft in den Regierungskreisen Polens oder der Tschechischen Republik (wo noch kurz vor dem EU-Beitritt die rassistischen Benesch-Dekrete bekräftigt wurden) ebenfalls vorhanden ist. Unter der nationalsozialistischen Besatzung ist den Völkern Ost- und Mitteleuropas unermeßliches und unvergeßliches Leid zugefügt worden. Die polnischen, tschechoslowakischen, russischen Opfer hatten daher ein Recht auf Wiedergutmachung. Jedoch dürfen legitime Ansprüche nicht durch die Verhängung von Kollektivstrafen aufgrund allgemeiner Diskriminierung und ohne die genaue Untersuchung individueller Schuld verwirklicht werden. Die Vertreibung von über 14 Millionen Menschen war und bleibt eine Ungeheuerlichkeit. Man darf eine solche Tat weder aufrechnen noch kleinreden. Die Menschenrechte beruhen auf dem Grundsatz der rechtlichen Gleichheit der Menschen. Aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ist mit Ehrfurcht zu gedenken, denn jedes einzelne Menschenleben ist heilig. Die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ist ein Forum für Annäherung und Verständigung. Dafür braucht man vor allem historische Aufrichtigkeit und die Bereitschaft, offen und ehrlich miteinander zu reden. Es liegt auf der Hand, daß die deutschen Vertriebenen in dieser Stiftung ohne Einschränkung vertreten werden müssen. Schon die bisher vorgesehene Sitzverteilung im Stiftungsrat, bei der den Vertriebenen nur drei von 13 Sitzen zustehen sollten, ist fast beschämend angesichts der enormen Vorleistungen, die die deutschen Vertriebenen durch konsequenten Gewaltverzicht und jahrzehntelange Versöhnungsarbeit erbracht haben. Sie haben jedes moralische Recht der Welt, in den Gremien des von ihnen konzipierten Zentrums auch und gerade mit ihrer gewählten Präsidentin vertreten zu sein. Andernfalls wäre die Stiftung sinnlos. Das Präsidium des Bundes der Vertriebenen hat nun einen überaus honorigen Schritt getan: Um das Projekt als Ganzes nicht zu gefährden hat es die Nominierung der eigenen Vorsitzenden vorerst zurückgezogen, allerdings auch keine andere Persönlichkeit nominiert. Mit dieser Politik des leeren Stuhles hat der BdV einmal mehr moralische Größe gezeigt und viele Worthülsen der grundsätzlichen Kritiker und Gegner des geplanten Zentrums zum Platzen gebracht. Als ausländischer Beobachter habe ich die geschichtlich und moralisch unhaltbare Kampagne gegen Frau Steinbach als ein menschenverachtendes Trauerspiel empfunden − vor allem für ihre polnischen und auch deutschen Akteure. Mein Eindruck ist, daß dieses Vorgehen nicht nur einem legitimen und sogar aus Sicht der UNO unterstützenswerten Anliegen der Vertriebenen zuwiderläuft, sondern daß dadurch auch dem Nationalismus insbesondere in Polen Vorschub geleistet wurde. Es bleibt zu hoffen, daß Frau Steinbach nach der Bundestagswahl den ihr zustehenden Platz endlich einnehmen kann. Der Verfasser lehrt Völkerrecht in Genf und arbeitete 25 Jahren in leitender Stelle für die Vereinten Nationen. Er ist der Autor der Bücher „Die Nemesis von Potsdam“ (14. Auflage, Herbig 2005) und „50 Thesen zur Vertreibung“ (Verlag Inspiration Un Limited, 2008).
Erika Steinbach im
Ostpreußen-TV:
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