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Keine deutsche Politikerin ist in Polen so verhasst wie Erika Steinbach. Im SPIEGEL-ONLINE-Gespräch wehrt sich die Chefin des Bundes der Vertriebenen gegen ihre Kritiker, erläutert den Rückzug aus dem Stiftungsrat - und spricht über ihr Verhältnis zur Kanzlerin. SPIEGEL ONLINE: Frau Steinbach, wie fühlt man sich als neue Ikone der Konservativen in der Union? Steinbach: Ist das so? Das habe ich noch gar nicht realisiert. SPIEGEL ONLINE: Wie ist der Tenor der Zuschriften und Anrufe in ihren Büros? Steinbach: Massive Zustimmung – und die Aufforderung: Bleiben Sie hart! Geben Sie nicht nach! Die Hälfte dieser Unterstützer sind keine Vertriebenen. Viele geben sich als Sozialdemokraten zu erkennen. Das hat mich erstaunt und gefreut. Aber schon bei der Gründung des Zentrums gegen Vertreibungen war ja der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz dabei. Viele Städte mit SPD-Bürgermeistern unterstützen unser Projekt. SPIEGEL ONLINE: Auch aus der Union haben sie große Zustimmung erfahren. Eine CDU-Parteifreundin war freilich lange still: die Kanzlerin. Hat Angela Merkel Sie im Stich gelassen? Steinbach: Nein. Die Bundeskanzlerin steht fest zur Stiftung. Sie hat sie gewollt, sonst gäbe es das Gesetz nicht. Ich habe ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu Angela Merkel. Aber sie war in einer sehr schwierigen Situation. Die Kanzlerin wusste, dass die SPD meiner Nominierung im Kabinett nicht zustimmen und die Polen protestieren würden. Deshalb konnte sie das Thema gar nicht im Kabinett auf die Tagesordnung bringen. Das verstehe ich. Aber mein Verband konnte es sich auch nicht bieten lassen, politisch so bedrängt zu werden. Es geht auch um unsere Selbstachtung. SPIEGEL ONLINE: Aber Sie haben die Kanzlerin unter politischen Druck gesetzt – und in eine Zwickmühle gebracht: Einerseits Rücksicht auf den unionsnahen Bund der Vertriebenen. Und andererseits das fragile deutsch-polnische Verhältnis. Steinbach: In der Bundesregierung war man sehr froh über die Ablösung des rechten polnischen Premierministers Kaczynski durch Donald Tusk. Das ist ein vernünftiger Mann. Ich bin ihm zweimal persönlich auf Podiumsdiskussionen begegnet. Tusk steht aber nach wie vor unter starkem nationalpolnischen Druck. Im Übrigen: ich habe nicht die Kanzlerin unter Druck gesetzt, sondern die SPD gezwungen, Farbe zu bekennen, wie sie mit der Entscheidungsfreiheit einer gemeinnützigen Opferorganisation umgeht. SPIEGEL ONLINE: Hat die Kanzlerin Ihnen geraten, jetzt zu verzichten? Steinbach: Nein. Das ist ein originärer Schritt meines Präsidiums. Die Kanzlerin hat nicht eingegriffen. Die SPD wollte nicht. Damit hatte die Kanzlerin keinerlei Möglichkeiten mehr, meine Berufung durchzusetzen, so sieht es der Koalitionsvertrag vor. SPIEGEL ONLINE: Aber in der Öffentlichkeit wirkt es schon so: Die Kanzlerin lässt hier eine der ihren im Regen stehen. Steinbach: Ohne die CDU, ohne Angela Merkel wäre die Errichtung der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" nicht Teil der Koalitionsvereinbarung. Die CDU/CSU-Fraktion hat diese Forderung des BdV von Anfang an positiv begleitet. Alle Patenländer unserer BDV-Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" sind unions-regierte Länder. SPIEGEL ONLINE: Manche Polen halten ihren Rückzug für ein Manöver. Steinbach: Tusk hat die Nationalisten in seinem Lande nicht ruhiggestellt. Die wollen das ganze Zentrum nicht. Die Erinnerung an die Vertreibung der Deutschen tut vielen Polen natürlich weh. Es hat auch uns Deutschen wehgetan, als wir uns mit unserer eigenen miserablen Vergangenheit beschäftigt haben. Das ist nicht leicht. Die postkommunistischen Länder haben ihren Selbstfindungsprozess noch nicht hinter sich. Sie tragen ihre Traumata mit sich, sie tragen ihre wirtschaftlichen Probleme mit sich, ihre Identitätsfindung ist noch lange nicht abgeschlossen. SPIEGEL ONLINE: Sie scheinen die Polen mit dem Thema Vertreibung zu überfordern. Wir Deutschen haben uns inzwischen im Wesentlichen auf eine gemeinsame Lesart unserer Geschichte geeinigt. Von so einem historischen Konsens sind die Polen weit entfernt. Und dann kommen Sie und sagen: Erkennt bitte unsere deutsche Vertreibung an. Steinbach: Ich habe doch Verständnis für die Emotionen der Polen. Es wird in den postkommunistischen Ländern noch 20 Jahre dauern, bis sie mit sich selbst im Reinen sind. Bei uns Deutschen hat es doch auch so lange gedauert. Aber wenn man uns als Opferverband den guten Willen zur Versöhnung abspricht, wenn kein Mitgefühl erkennbar ist, wenn man auf polnischer Seite ständig übersieht, dass wir die Hand ausstrecken, bin ich mit meinem Latein am Ende. Mir wird doch inzwischen alles verkehrt ausgelegt. Ich streue Zucker auf das Brot, dann sagen sie: Das ist aber Salz. Dann müssen die Polen sich eben erst einmal mit sich selbst beschäftigen. Aber sie haben sich nicht in innerdeutsche Angelegenheiten einzumischen und zu bestimmen, wie wir unserer Opfer gedenken. Warum Erika Steinbach 1991 im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze stimmte SPIEGEL ONLINE: Vielleicht sind Sie manchmal zu unsensibel bei heiklen Fragen der Vergangenheit? Gehen Sie manchmal auch mit sich selbst ins Gericht? Steinbach: Ich frage mich immer wieder, was ist bei der Problemlösung hilfreich. Wobei deutlich wird: Der Bund der Vertriebenen und wichtige frühere Repräsentanten wie Czaja und Hupka waren in Polen immer beliebte Feindbilder. Es kann aber nicht die Aufgabe einer Opferorganisation sein, ihr eigenes Schicksal zu verleugnen, um zu besseren internationalen Beziehungen zu gelangen. Gegenseitige Empathie – das ist der Weg. SPIEGEL ONLINE: Hupka wurde in den neunziger Jahren in Polen sogar ausgezeichnet. Steinbach: Da war er nicht mehr in Amt und Würden und ist Ehrenbürger seiner Stadt geworden. Auf kommunaler Ebene gab und gibt es gute Verbindungen zwischen den Vertriebenen und den Polen. Es gibt Partnerschaftsprogramme, man feiert gemeinsame Sommerfeste, machte Wallfahrten und Gottesdienste. SPIEGEL ONLINE: Dass Sie 1991 im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt haben, hat solche Herzlichkeiten nicht gerade befördert. Steinbach: Ich wollte damals mit anderen Abgeordneten erreichen, dass alle offenen Fragen wie zum Beispiel die Entschädigungsfrage gleichzeitig mit der Grenzbestätigung geklärt werden, um dauerhaften Frieden herzustellen. Und es war ein Kardinalfehler das nicht zu tun, wie die heftigen Eigentumsdebatten der letzten Jahre deutlich machen. Wir haben damals auch sofort klargestellt, dass wir mit der Abstimmung die Oder-Neiße-Grenze als völkerrechtlich verbindliche Grenze anerkennen. SPIEGEL ONLINE: Ihr Vater war Besatzungssoldat in Polen. Das stößt vielen Polen bitter auf, wenn Sie als Vertriebenenchefin sprechen. Verstehen Sie das? Steinbach: Die Entscheidungen damaliger Regierungen sind wohl kaum bei der Zivilbevölkerung abzuladen. Wenn Soldaten keine Wahl hatten, ist das bei Frauen und Kindern auch nicht anzunehmen. Was Erika Steinbach über ihren Vater erzählt - der im Zweiten Weltkrieg als Besatzungssoldat in Polen lebte. SPIEGEL ONLINE: Ihre Eltern stammten zudem beide aus dem Westen Deutschlands. Steinbach: Mein Vater ist 1939 nicht nach Polen einmarschiert. Er ist später als Luftwaffensoldat herübergekommen. Meine väterliche Linie stammt übrigens aus Schlesien und mehrere Großonkel und Tanten von mir sind 1946 von dort vertrieben worden. Aber das interessiert die Polen natürlich nicht. Letztlich ist diese Art der Debatte ein sehr banales Ablenkungsmanöver. SPIEGEL ONLINE: Sie sind nicht im ehemaligen Deutschen Reich, sondern im besetzten Polen zur Welt gekommen. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, Sie hätten ihre Familiengeschichte selbst offengelegt, als das polnischen Zeitungen zu überlassen? So wurde in Warschau plötzlich behauptet: Die Steinbach ist gar keine echte Vertriebene. Steinbach: Meine Herkunft steht doch im Handbuch des Deutschen Bundestages. Aber ich soll mich rechtfertigen, wo ich als Säugling geboren bin? Das ist irrational und ein Vorwand. Man fürchtet in Polen nicht etwa die Umdeutung, sondern das Aufblättern der Geschichte. Zudem sind große Teile der Vertriebenen nicht aus dem früheren Ostdeutschland vertrieben worden, sondern aus Ländern wie z.B. Ungarn, Tschechien oder Jugoslawien. Von dort mischt sich niemand ein – erfreulicherweise. SPIEGEL ONLINE: Alles, was Sie sagen, wird in Polen genauestens beäugt. Warum provozieren Sie dann immer wieder? In einem Interview haben sie erklärt, dass die Polen ihre Wünsche, die Deutschen zu vertreiben, ohne Hitler nie in die Tat hätten umsetzen können. Der Führer als williger Vollstrecker des polnischen Volksempfindens? Meinen Sie das ernst? Steinbach: Wir sind weit gekommen, wenn Wahrheit schon zur Provokation umgedeutet wird. Es ist nun mal eine Tatsache, dass schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in Polen Postkarten verschickt wurden, wo die Grenzen des Landes bei Berlin lagen. Und polnische Politiker wollten die "fremden Elemente" – damit waren neben den Deutschen auch Ukrainer und Weißrussen gemeint – auf unter 1 Prozent drücken. Das sind Aussagen, die belegt sind. Dass dies nicht rechtfertigt, was Hitler getan hat, ist selbstverständlich. Die Polen sind nach den Russen das geschundenste Volk Europas. Da existieren tiefe Traumata, auch wegen der dreimaligen Teilung Polens. SPIEGEL ONLINE: An der die Deutschen nicht unbeteiligt waren. Steinbach: Ja, wir waren immer dabei. SPIEGEL ONLINE: Und es war nach 1945 auch nicht die Idee der Lemberger im damaligen Ostpolen, auf Stalins Wunsch nach Breslau umgesiedelt zu werden. Steinbach: Natürlich nicht. Ich kenne das Los der vertriebenen Ostpolen und die Geschichte von Zamosc. Wir haben das in einer Ausstellung dargestellt. Der BdV hat auch eine Veranstaltung über den Warschauer Aufstand gemacht, eine Premiere in Deutschland. Aber die Reaktion in Polen war: Eine Unverschämtheit, der BdV nimmt uns unser Heiligtum weg. Ich kann mich auf den Kopf stellen und mit den Füßen Fliegen fangen, es nützt nichts. Daher gebe ich es auf. Die Polen müssen sich selbst beruhigen, ich kann dazu nichts mehr beitragen. In Polen werde ich verzerrt, deformiert, beleidigt. Mein guter Wille ist immer noch da. Aber wenn wir die Hände zur Versöhnung ausstrecken, wird mit Dreschflegeln auf uns eingeschlagen. In Polen hat man die Botschaft der eigenen Bischöfe, "Wir vergeben und bitten um Vergebung" von 1965 aus dem Gedächtnis gestrichen. Das ist tragisch. SPIEGEL ONLINE: Sie fordern eine Anerkennung des Leids der Vertriebenen. Manchmal klingt das so, als hätte Ihnen in 60 Jahren Bundesrepublik eigentlich nie jemand zugehört. Doch in den fünfziger, sechziger Jahren war die Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten das zentrale deutsche innenpolitische Thema – lange, bevor offen über den Holocaust gesprochen wurde. Steinbach: Damals herrschte tatsächlich eine große Solidarität mit den Vertriebenen. Von der Bevölkerung wurden die Neuankömmlinge aber trotzdem nicht geliebt. Nach 1968 wurden die Vertriebenen dann auch von den Medien immer schlechter behandelt, oft geradezu denunziert. Das hat sich heute, Gott sei Dank, geändert. SPIEGEL ONLINE: Die Distanz nach 1968 hängt sicher auch mit den erbitterten Angriffen der Vertriebenenverbände auf Brandts Ostpolitik zusammen. Aber heute können Sie doch nicht behaupten, dass das Schicksal der Vertriebenen in den Medien keine Rolle spielt: Von Günter Grass bis zu Spielfilmen zur besten Sendezeit - die Vertreibung der Deutschen ist überall ein Thema. Steinbach: An dieser Entwicklung haben wir seit zehn Jahren als Verband intensiv mitgewirkt und das vorangetrieben. SPIEGEL ONLINE: Frau Steinbach, wann waren Sie zum letzten Mal in Polen? Steinbach: Das letzte Mal war es, als ich mit Donald Tusk in Grünberg diskutiert habe. Das ist schon einige Jahre her. Da war er noch in der Opposition. Zur Begrüßung wurde vor der Tür eine Puppe verbrannt, die mich darstellen sollte. SPIEGEL ONLINE: Kann es sein, dass Sie vielleicht nicht diplomatisch genug für diesen Job sind? Steinbach: Ich glaube schon, dass es mir in aller Regel gelingt, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Ich will die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit. Wenn ich mich wie ein Diplomat äußern würde, würde es nicht gehört werden. Ich will für diejenigen, die sich aufgrund ihres Leidensdrucks, ihres Schicksals nicht artikulieren können, natürlich ein Sprachrohr sein, das man hören kann. Wenn ich um den heißen Brei reden würde, wäre ihre Reaktion doch: Nett, aber langweilig. Das Interview führten Claus Christian Malzahn
und Hans-Ulrich Stoldt
Erika Steinbach im
Ostpreußen-TV:
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