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»Eines Rechtsstaates unwürdig« Ein politischer Skandal wird klammheimlich beerdigt: Brandenburgs Regierungsparteien SPD und CDU stehlen sich mit Unterstützung der Linken aus der Verantwortung für die Opfer einer kalten Enteignung. In Brandenburg wird dieser Tage ein umfangreiches, neues Gedenkstättenkonzept diskutiert. Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) hat einen Vorschlag für 100 sogenannte Erinnerungsorte unterbreitet. Im Landtag hat eine Expertengruppe dazu getagt. Kritik gibt es auch. Sie kommt zum Beispiel von Martina Weyrauch. Die Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung in Brandenburg bemängelt, die Bereiche Bodenreform und Zwangskollektivierung seien „noch relativ unbelichtet“. Der schmale Hinweis deutet auf einen schwarzen Fleck der jüngsten Vergangenheit des Landes. Auch fast zwei Jahrzehnte nach der deutschen Vereinigung werden selbst einige der schlimmsten Kapitel der kommunistischen Diktatur nur schleppend aufgearbeitet. Unter den Teppich damit – das wäre vielen die Lieblingslösung. Aber weil das nicht geht, wird die Sache eben so halbherzig wie möglich aufgearbeitet. So ist auch der aktuelle Skandal um die Bodenreform-Grundstücke zu verstehen. Die zweite staatliche Enteignungswelle von vor zehn Jahren hätte unter anderen Umständen, in einem anderen Bundesland, ein politisches Erdbeben ausgelöst, vermuten Beobachter. In der spezifischen Brandenburger Situation aber sei daraus gerade mal ein „Skandälchen“ geworden. Die SPD von Ministerpräsident Matthias Platzeck beerdigt das Thema jetzt in Zusammenarbeit mit CDU und Linkspartei nahezu lautlos. Am gestrigen Freitag kam der Untersuchungsausschuß zusammen, um den Abschlußbericht zu beschließen, weshalb das Ergebnis bis Redaktionsschluß dieser Zeitung nur zu ahnen war. Wie aus Potsdamer Parlamentskreisen im Vorwege zu erfahren war, hegte jedoch niemand Zweifel daran, daß sich CDU, SPD und Linke auf einen gemeinsamen Bericht einigen. Der Ausschuß war auf Antrag der Linkspartei vor einem Jahr eingesetzt worden, nachdem aufgeflogen war, daß sich das Bundesland in den Jahren 1999 und 2000 etwa 8.900 Grundstücke angeeignet hatte. Die Parzellen waren im Besitz von Neusiedlern nach der kommunistischen Bodenreform beziehungsweise ihren Erben gewesen. Das Land hatte sich über deren Ansprüche hinweggesetzt und sich selbst als Eigentümer eintragen lassen. Viele davon waren Vertriebene, die schon einmal alles verloren hatten, und sie mußten für das neue Land nicht selten hohe Leistungen erbringen. Oftmals erfuhren die Betroffenen gar nichts von dieser kalten Enteignung. Der Bundesgerichtshof hatte diese Praxis Ende 2007 als ein „eines Rechtsstaates unwürdiges Verhalten“ verurteilt. Es war eine schallende Ohrfeige für die brandenburgische Landesregierung. Im Vorfeld der Vorstellung des Abschlußberichts hatte es einige Unstimmigkeiten gegeben: Die führenden Vertreter der Regierungsfraktionen SPD und CDU in diesem Ausschuß hatten bereits zwei Wochen vor der entscheidenden Landtagssitzung eine Pressekonferenz angesetzt. Dort sollte der von den SPD- und CDU-Vertretern im Ausschuß erarbeitete Bericht vorgestellt werden. Doch die Konferenz wurde urplötzlich von der Ausschußvorsitzenden Jutta Lieske (SPD) wieder abgesagt. Hintergrund waren indes nicht inhaltliche Differenzen bei der Beurteilung der Bodenreform-Affäre, sondern Kompetenzgerangel. In der Sache sind sich die Fraktionen weitgehend einig: Die Inbesitznahme der Bodenreform-Grundstücke durch das Land sei durch ein unkontrolliertes, eigenständiges Handeln der Verwaltung möglich geworden, soll es sinngemäß in dem Bericht heißen. Die „Verwaltung“ ist also schuld. Keine Namen, einer anonymen Bürokratie wird alles in die Schuhe geschoben. Der Regierung sei keine „Bereicherungsabsicht“ nachzuweisen. „Freispruch dritter Klasse“ nennen Gerichtsreporter Urteile solchen Zuschnitts. Die oppositionelle Linkspartei hält sich mit Kritik zurück. Matthias Platzeck hätte die Angelegenheit zur „Chefsache“ machen müssen, klagen die Postkommunisten lediglich leise. Seine Regierung habe die Brisanz im Umgang mit Bodenreform-Grundstücken nicht erkannt. Die sonst auf scharfe Attacken abonnierten Linksaußen-Politiker halten den Ball erstaunlich flach. So viel Zurückhaltung der Linken macht stutzig. Doch die Dunkelroten hatten Beobachtern zufolge gute Gründe für ihr Stillhalten: Es ging ihnen demnach darum, um jeden Preis in den „demokratischen Konsens“ aufgenommen zu werden. Sie wollten gemeinsam mit CDU und SPD (natürlich ohne DVU) eine Erklärung abgeben. Dann haben es die Wähler Schwarz auf Weiß: Die Linke ist jetzt demokratisch legitimiert, ist gleichberechtigter Partner der Volksparteien. Für die Postkommunisten wäre dies die wichtigste Nachricht aus dem Untersuchungsausschuß. Und ihre Zurückhaltung wird tatsächlich belohnt. Während die DVU-Abgeordneten klagten, sie seien bei ihrer Ausschuß-Arbeit behindert worden, wurden die Linken mit eingebunden, sogar bei der Fassung des Abschlußberichts. Die sozialdemokratische Ausschußvorsitzende Jutta Lieske betonte in der vorvergangenen Woche, sie hoffe auf ein gemeinsames Abschlußvotum aller demokratischen Fraktionen – gemeint sind SPD, CDU und Linke. Dafür werde sie sich einsetzen.
Ein schmählicher Sonderfall Stellen wir uns einmal vor, die Landesregierung von Baden-Württemberg, dem Land der Häuslebauer, würde 8.900 Grundstücksbesitzer hinterrücks enteignen und sich selbst zum Eigentümer ihrer Länderein erklären. Einfach so. Würde es nicht einen Proteststurm geben? Vermutlich würde die Regierung, egal welche Partei sie gerade stellt, aus dem Amt gejagt. Nicht so in Brandenburg. Dieses Land ist und bleibt ein Sonderfall in Deutschland. Kein anderes neues Bundesland produzierte einen vergleichbaren Skandal um das Bodenreform-Land wie Brandenburg, und trotzdem kommt die Landesregierung ungeschoren davon. Selbst die lokalen und nationalen Medien reagieren desinteressiert. Im Parlament, das eigentlich dafür da ist, die Regierung zu kontrollieren, wird die Sache zurechtgekungelt: Die beiden Regierungsparteien SPD und CDU kehren die Enteignung von Tausenden von Grundstückseigentümern, die „eines Rechtsstaates unwürdig ist“ (Zitat Bundesgerichtshof), gekonnt unter den Tisch. Die größte Oppositionspartei, die Linke, mauschelt kräftig mit und wird als Gegenleistung in den Rang eines gleichberechtigten Partners erhoben. Ob Matthias Platzeck sich das bei Klaus Wowereit abgeschaut hat? So ähnlich haben es die SPD-Genossen in Berlin ja auch gemacht: Die PDS mußte lauter Kröten schlucken – zum Beispiel Sozialkürzungen und Einstellungsstopps – und wurde als Gegenleistung zum geachteten Kompagnon. Kleinere Oppositionsparteien wie die Liberalen sind nicht im Parlament vertreten oder werden wie die DVU wegen ihrer Außenseiterrolle nicht ernstgenommen. Die Medien schweigen eisern zu dem Skandal. Darüber kann man sich nur noch wundern. Warum solch ein Skandal ausgerechnet in Brandenburg so erschreckend geräuschlos über die Bühne geht? Umfragen melden, daß viele in der Mark „ihrer“ DDR nachtrauern und mit dem neuen Gemeinwesen wenig am Hut haben. Zehn Prozent der Brandenburger wollen laut einer aktuellen Erhebung die DDR zurück, 27 Prozent sehen die Einheit als Verlust. Es gibt noch nicht einmal einen Stasi-Beauftragten in Brandenburg, auch das ein Sonderfall unter den neuen Ländern. Das Ausmaß an Dickfelligkeit und Ignoranz, das hier beispielhaft sichtbar wird, überschreitet das in einem Rechtsstaat Tolerierbare bei weitem. Daß auf brandenburgischem Boden einst die Grundlagen des seinerzeit beispielhaften preußischen Rechtsverständnisses gelegt wurden, erfüllt den geschichts- wie rechtsbewußten Zeitgenossen umso mehr mit Empörung über die schmachvolle Gegenwart.
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