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6.028.000 polnische Opfer? Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in vielen Ländern zunächst massiv überhöhte Opferzahlen veröffentlicht. Nach und nach werden diese nun korrigiert. Polen rückt dabei zunehmend von der alten Propagandazahl von 6,028 Millionen Opfern ab. Das Leid Polens unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg war riesig − aber wie groß war es genau? Auf diese Frage gab es jahrzehntelang keine auch nur halbwegs zuverlässige Antwort. Bis heute kann die Zahl der polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs noch nicht einmal auf plus/minus eine Million angegeben werden. Diese Forschungslücke hängt mit der kommunistischen Herrschaft der Jahre 1945 bis 1989 zusammen, außerdem mit der Sprachbarriere und auch mit der Vertreibung der Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten und aus Polen selbst. Das Leid der Polen galt in Warschau als Hauptvorwand für die Vertreibung, hier für die Grenzanerkennung, so daß die Frage nach dessen tatsächlicher Dimension sofort in die Mühlsteine der politischen Auseinandersetzung geriet. Ende 1946 publizierte das kommunistische Regime die nicht näher belegte und kaum aufgegliederte Zahl von angeblich 6.028.000 polnischen Todesfällen infolge des Zweiten Weltkrieges. Doch die Zahl war offenkundig überhöht, schon die (infolge der Westverschiebung des Staatsgebietes nicht ganz einfach vergleichbaren) polnischen Volkszählungen von 1938 und 1950 sprechen eine andere Sprache. Dennoch hielt das offizielle Warschau sogar noch nach 1989 zunächst an dieser Zahl fest. Nun hat Anfang Juni ein großangelegtes Dokumentationsprojekt begonnen, um möglichst viele Opfer namentlich zu benennen und damit auch deren Gesamtzahl näherungsweise festzustellen. Die Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung hat dazu ein „Programm Personenverluste und Opfer der Repression unter deutscher Besatzung“ gestartet, das auf Vorarbeiten des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) der vergangenen drei Jahre aufbaut. Unter www.straty.pl sind im Internet Erfassungsbögen abrufbar, auf denen die Opfer benannt werden können. Bisher wurden vom IPN und der regierungsunabhängigen Organisation Karta rund 1,5 Millionen Einträge in einer zentralen Datei gesammelt, die nun nach und nach ausgewertet werden sollen, um beispielsweise Doppelmeldungen oder unplausible Angaben festzustellen. „Das ist eine gigantische Aufgabe, sowohl was die Dimension als auch was die Schwierigkeit angeht“, erklärt der Historiker Andrzej Kunert. Die Zahl 6,028 Millionen bezweifelt er. Diese Ziffer sei über Jahrzehnte „praktisch heilig“ gewesen, obwohl Historiker von Anfang an Zweifel gehabt hätten. Ewa Tazbierzka von der Aussöhnungs-Stiftung erklärt, es gehe darum, den Opfern Namen zu geben. „Man spricht immer von mehreren Millionen Opfern, aber man kennt sie nicht.“
Konrad Badenheuer: Es verdient Respekt, wie Polen mit seinen Opfern des Zweiten Weltkrieges umgeht. Ihrer wird regelmäßig gedacht, Schulbücher klären über ihr Schicksal auf, eine Herabwürdigung wird nicht geduldet. Ein empfindlicher Punkt ist geblieben: 1946 hat die kommunistische Regierung eine unrealistische Gesamtzahl über die polnischen Opfer der Jahre 1939 bis 1945 publiziert: Angeblich 6.028.000 polnische Bürger sollen durch Krieg, Besatzungsterror und bei der blutigen Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im Herbst 1944 ums Leben gekommen sein. Aus vielen Gründen war diese Zahl unglaubwürdig, die wenigen Details, die zu dieser monströsen Gesamtzahl gegeben wurden, machten die Fälschung im Grunde schon sichtbar: „644.000 direkte Opfer von Kampfhandlungen“ beispielsweise − eine absurde Zahl angesichts der 16.269 deutschen Gefallenen der 36tägigen Kämpfe im Herbst 1939. Natürlich sagten die kommunistischen Autoren kein Wort über den massiven sowjetischen Terror im Osten Polens zwischen Oktober 1939 und Juni 1941. Und die Behauptung, es seien etwas mehr nichtjüdische als jüdische Bürger Polens ums Leben gekommen, war sogar eine offenkundige Relativierung des Holocaust. Umso mehr Respekt verdienen die neuen
Anstrengungen Polens, die Opfer nun Name für Name zu dokumentieren, zumal dies
absehbar auf eine deutlich geringere Zahl hinausläuft. Dabei ist dann auch die
Frage erlaubt, welcher Respekt deutschen Opfern entgegengebracht wird. Und ob es
deutsche Wiedergutmachungsleistungen gab, die bei realistischer Sicht der
Verhältnisse nicht erbracht worden wären.
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