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Handstand am Schwarzmeerstrand Es scheint so, als habe sich nichts verändert seit dem Sommer 2006. Damals wurde im Deutschen Historischen Museum (DHM) die Wanderausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" gezeigt, die nicht nur nach dem Willen von Kulturstaatsminister Bernd Neumann einmal Teil des "Sichtbaren Zeichens" sein soll. So wird das "Erinnerungs- und Dokumentationszentrum zu Flucht und Vertreibung" genannt, dessen Dauerausstellung, hofft man, ab 2010 in Berlin zu sehen ist. Träger wird die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung", die die Bundesregierung vor einem Jahr auf den Weg gebracht hat. Drei Sitze im Stiftungsrat sind Mitgliedern des Bundes der Vertriebenen (BdV) vorbehalten, doch hat dessen Vorsitzende, Erika Steinbach, auf den ihren vorerst verzichtet. Beinahe zeitgleich eröffnete der Bund der Vertriebenen vis-à-vis Unter den Linden im Kronprinzenpalais die Ausstellung "Erzwungene Wege". Sie erinnerte an die Vertreibung von mehr als 15 Millionen Deutscher während des und nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde von der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibung" getragen, die der BdV 2000 gegründet hatte und deren Vorsitzende Frau Steinbach ist. Auch das "Zentrum gegen Vertreibungen" strebt die Errichtung eines Dokumentationszentrums in Berlin an. Wohl spätestens seit "Erzwungene Wege", die in veränderter Form auch in anderen Städten zu sehen war, hat Erika Steinbach in Polen einen Spitzenplatz auf der Hassleiter inne, den ihr nur noch Wladimir Putin streitig macht. Man muss sich diesen ellenlangen Vorspann vergegenwärtigen, wenn heute im Berliner Kronprinzenpalais die Ausstellung "Die Gerufenen. Deutsches Leben in Mittel- und Osteuropa" eröffnet wird. Wieder ist das "Zentrum gegen Vertreibungen" der Veranstalter, wieder findet im DHM gegenüber mit "Deutsche und Polen - Abgründe und Hoffnungen" eine Ausstellung in ähnlichem Themenfeld statt. Und wieder dürften "Die Gerufenen" der Magnet sein, der die kritischen Stimmen magisch anzieht. Schließlich liegt der Focus hier einmal mehr "nur" auf den Leistungen der Deutschen, während das DHM zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen Schuld und Sühne gekonnt in Szene setzt. Dabei ergänzen sich beide Ausstellungen geradezu, geht es in ihnen doch vor allem um die Opfer des nationalsozialistischen Krieges. Doch schon diese Feststellung allein wird für Aufregung sorgen, siehe die ellenlange Einleitung. Im ersten Stock des Kronprinzenpalais erinnern mehr als 500 Objekte an deutsche Siedler, die seit dem hohen Mittelalter in den Osten zogen, um in den multiethnischen Reichen eine neue Heimat zu finden, ohne dabei ihre Sprache und Kultur zu verlieren. Eine Weltkarte mit Computeranimation klärt gleich zu Anfang über das ganze Ausmaß dieser 800-jährigen Geschichte auf, die sich von Böhmen im Westen über das Baltikum und Zentralpolen bis in den Donauraum und an die Wolga erstreckt. Anders als die ostfränkisch-deutsche Expansion östlich der Elbe im frühen Mittelalter wurde die spätere Migration mit friedlichen Mitteln ins Werk gesetzt. Auch kam der Anstoß zumeist von lokalen Herrschern, die mit geplanter Werbung Handwerker und Bauern ins Land holten, sei es weil wie im Banat ödes Land erschlossen werden sollte, sei es wie in der Slowakei, dass Spezialisten für den Bergbau benötigt wurden, oder sei es wie in Siebenbürgen, wo es galt, Städte aus dem Boden zu stampfen. Entsprechend krass unterschieden sich die Lebensbedingungen. Die Nachfahren der Siedler etwa, die 1330 von den Grafen von Ortenburg zum Landesausbau im südlichen Slowenien angesiedelt worden waren, führten ein derart prekäres Leben, dass ihnen zugestanden wurde, Hausieren gehen zu dürfen. In der Ausstellung sind Fallen zu sehen, mit denen Nagetiere gefangen wurden, um den Speiseplan vielfältiger zu gestalten. Ins Baltikum dagegen, das lange vom Deutschen Orden dominiert wurde, gelangten vor allem Angehörige städtischer und ländlicher Elite. Sie bildeten die Oberschicht, die sich mit der Universität Dorpat ein intellektuelles Zentrum gab. Auch die Zaren kommunizierten mit ihren baltischen Untertanen lange auf Deutsch. Im ukrainischen Lemberg wiederum war es die Sprache einer deutsch-jüdischen Bildungselite. Hinzu kamen ungewöhnliche Karrieren Einzelner. Der Weinanbau im Kaukasus führt sich auf die cleveren Winzerfamilien Hummel und Vohrer zurück, deren Gewächse auch in St. Petersburg gefragt waren. Johann Hohn gelang in Odessa der Aufstieg vom Kolonisten zum Landmaschinenfabrikanten. Friedrich Falz-Fein errichtete in Askania Nova nördlich der Krim einen Landschaftspark samt Tierparadies, in dem ihm sogar die Züchtung eines Zebroid, einer Kreuzung aus Pferd und Zebra, gelang. Eine besondere Leistung geht auf den Forstbeamten Joseph Ressel aus dem Binnenland Böhmen zurück: die Erfindung der Schiffsschraube.
So gerafft die Ausstellung durch die einzelnen Regionen eilt, so vielfältig erzählt sie von vergangenem Leben. Eine Bilanz der "Deutschen im Osten Europas" versuchte vor Jahren schon der Siedler-Verlag mit einer zehnbändigen Reihe. "Die Gerufenen" bieten ein kurzes Resümee davon und wollen auch gar nichts anderes sein. Das Ziel, bloß keine Angriffsflächen bieten zu wollen, ist offensichtlich. Dabei sprechen schon die Zahlen eine deutliche Sprache: Allein mehrere hunderttausend "Volksdeutsche" mussten nach den Bestimmungen des Hitler-Stalin-Paktes von 1939, wie die Ausstellung nur im Epilog erklärt, den Einflussbereich der Sowjetunion verlassen, Millionen flohen im weiteren Verlauf des Krieges oder wurden umgesiedelt oder ermordet. Das gleiche gilt für Südosteuropa. Denn die Deutschen im Osten waren stets Objekte der Geschichte. Sie dienten den Fürsten, die sie geholt hatten, als treue Vasallen, was nationale Geschichtsschreibung gern in Kollaboration umdeutet. Dem modernen Nationalismus dienten sie als Sündenböcke, den Diktatoren als Spielmasse. Opfer von Hitlers Krieg waren aber auch sie. Hier berühren sich die beiden Ausstellungen Unter den Linden. Es wäre schon etwas gewonnen, würde das ohne lautstarke Kritik zur Kenntnis genommen. Ansonsten verlängert sich der Vorspann vor solchen Geschichten um einen weiteren Absatz. Kronprinzenpalais, Berlin, bis 30. August,
Katalog: 12,95 Euro
Ausstellung der Stiftung
ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN „Die Gerufenen“
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