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Ein „Extremismus der Mitte“ ganz eigener Art
Eine Kolumne von Michael Wiesberg

Schaut man die laufenden Debatten um das Thema Kriegsausbruch vor 70 Jahren und auch auf die Diskussionen um den Tarantino-Film „Inglorious basterds“, der  von Kollegen hinreichend kommentiert worden ist, dann fällt vor allem eines ins Auge: Argumente, und mögen sie noch so wohlbegründet sein, die auf ein ausgewogenes Verständnis der Vorgänge, die zum deutschen Angriff auf Polen geführt haben, hinauslaufen, werden nicht nur nicht zur Kenntnis genommen, sondern fallen belastend auf den zurück, der sie in die Diskussion einzubringen versucht.

Negativkonditionierung der Deutschen

Natürlich geht es im Meinungskampf der medialen Berichterstattung selten um eine sachgerechte Auslegung eines historischen Phänomens – eine mehr oder weniger unverhohlene Geschichtsklitterung aber, wie sie zum Beispiel der Spiegel mit dem offensichtlichen Ziel einer Negativkonditionierung der Deutschen betreibt („Der Krieg der Deutschen. 1939: Als ein Volk die Welt überfiel“), gibt Anlaß zu einigen grundsätzlicheren Gedanken. Hierbei fällt vor allem eines ins Auge: Je belastender und je „kritischer“ die Behauptungen über die Deutschen in der Zeit von 1933 bis 1945 ausfallen, desto größere „gesellschaftliche Akzeptanz“ kann derjenige erwarten, der diese Behauptungen in die Welt setzt. Die Meinungselite des „juste milieu“ kann hierbei ganz im Sinne des Schmittschen Bonmots „Elite sind diejenigen, die anklagen, ohne befürchten zu müssen, angeklagt zu werden“ agieren. In der Tat: Wer von denen, die gesellschaftlich etwas zu verlieren haben und deren Stimme öffentliches Gewicht hat, könnte es wagen, den Spiegel öffentlich anzuklagen, ohne mit gesellschaftlicher Vernichtung rechnen zu müssen.

Die Reanimierung der Kollektivschuld

 
Es ist dieses Bewußtsein mehr oder weniger uneingeschränkter Meinungsdominanz, das dazu führt, daß die Spirale der geistigen Kontaminierung Tag für Tag weitergedreht werden kann. Diese Spirale hat jetzt mit der Formel „Der Krieg der Deutschen“ einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, kommt sie doch einer Reanimierung des Kollektivschuldvorwurfs gleich. Wir haben es hier mit einem „Extremismus der Mitte“ ganz eigener Art zu tun, rezipiert und popularisiert der Meinungsführer der deutschen Printmedien, nämlich der Spiegel, doch Auffassungen, die bisher in dieser Form vor allem in dezidiert linksextremistischen, antideutschen Kreisen verbreitet waren. Letztlich kann aber auch das nicht mehr weiter überraschen, weil der Hort des „absolut Bösen“ – so mittlerweile die Sichtweise der NS-Zeit –, eben nichts anderes hervorbringen konnte als kriegssüchtige Unmenschen, die über den Rest der Welt herfielen. Diese manichäische Sichtweise verträgt keine differenzierenden Argumente. Wer sich dennoch darum bemüht, wie zum Beispiel Stefan Scheil, Walter Post oder Gerd Schultze-Rhonhof, der kann nur „wirre Thesen“ (Sven Felix Kellerhoff in der Welt vom 1.9.) von sich geben.  

„Verbrechen gegen und für die Menschlichkeit“

Wenn das „Dritte Reich“ der Hort des „absolut Bösen“ war, dann liegt es nahe, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ als ausschließlich deutsche Domäne zu deuten. Ein Phänomen, das der bereits zitierte Carl Schmitt in seinem „Glossarium“ (6. Dezember 1949) messerscharf auf den Punkt gebracht hat, als er feststellte: „Es gibt Verbrechen gegen und Verbrechen für die Menschlichkeit. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden von Deutschen begangen. Die Verbrechen für die Menschlichkeit werden an Deutschen begangen.“ Das erklärt, warum zum Beispiel die Vertreibungsverbrechen an Deutschen oder das Bombardement Dresdens bestenfalls Randthemen sind. Wenn diese Themen dann doch einmal eine größere Öffentlichkeit erreichen (wie z. B. bei der Verfilmung des Buches „Eine Frau in Berlin“), dann nur mit den entsprechenden Kautelen. Genau deshalb können auch all jene Claqueure, die das antideutsche Machwerk „Inglorious basterds“ so begeistert kommentieren, ein gutes Gewissen haben: Alle an Deutschen begangenen Untaten dieses Films werden im Dienste der Menschheit verübt.

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Michael Wiesberg, 1959 in Kiel geboren, Studium der Evangelischen Theologie und Geschichte, arbeitet als Lektor und als freier Journalist. Letzte Buchveröffentlichung: Botho Strauß. Dichter der Gegenaufklärung, Dresden 2002.

Quelle:
JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co., Kolumne, 07.09.2009,
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display.154+M55a11879007.0.html

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