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Entwürdigender Warnhinweis im Vorspann
von Klaus Rainer Röhl

Neulich lief zur besten Sendezeit und lange durch Eigenwerbung angekündigt im ZDF ein wunderschöner und anrührender Film über im Krieg verschollene Kinder – „Kinder des Sturms“.

Hervorragend, überzeugend besetzt mit unverbrauchten Schauspieler-Gesichtern (Felicitas Woll und Wotan Wilke Möhring) und vielen Kindern als Laienschauspielern. Der Film erzählte die Schicksale deutscher Kinder, die nach 1945 durch Vertreibung aus ihrer schlesischen Heimat ihre Eltern verloren hatten, und die beharrliche, unbeirrbare Suche einer Mutter nach ihrem Kind. Bei manchen Familien hat die Suche nach den Verschollenen bis heute nicht aufgehört, wovon Frau Geede in ihrer „Ostpreußischen Familie“ Zeugnis ablegt. Wir alle haben diesen Film gesehen und geliebt und waren erschüttert über das schreckliche Schicksal, das noch lange nach der Kapitulation über die Deutschen hereinbrach – bei der Vertreibung von rund 14 Millionen Deutscher aus ihrer Heimat. Doch bevor wir diesen gut gemachten und gelungenen Film des Regisseurs Miguel Alexandre sehen durften, flimmerte (möglicherweise auf Anordnung der ZDF-Sendeleitung) allerdings ein Vorspann über den farbigen Hintergrund mit dem Hinweis, diese Verbrechen seien ja schließlich die Folge des von Hitler begonnenen Krieges ...

Irgendwie wirkte dieser Vorspann, den wir bereits aus den Filmen über die Torpedierung der „Wilhelm Gustloff“, die Bombardierung von Dresden und die Berichte deutscher Frauen von den Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten kannten, diesmal besonders verlogen. Ein Warnhinweis, der nun einmal jedem Film über deutsches Leid vorangestellt werden muß wie der Aufdruck „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit!“ auf der Zigarettenschachtel. Was sollen diese „Warnhinweise“ bewirken?

Sollen Verbrechen gegen Verbrechen aufgerechnet werden? Ist das nicht genau das, was den Vertriebenen immer wieder vorgeworfen wird: Relativierung? Halten wir fest: Die Ermordung von Millionen Deutscher aus dem Osten während der Flucht und der anschließenden Vertreibung, die Vergewaltigung von Millionen deutscher Mädchen und Frauen war ein Kriegsverbrechen, für das es bis heute keine Anklage und keine Sühne gibt, nicht einmal eine Akte beim Haager Kriegsverbrecher-Tribunal. Einmal muß Schluß sein mit der Relativierung dieser Verbrechen durch den Hinweis auf Kriegsverbrechen, die Deutsche während des Krieges begangen haben. Halten wir fest: Für die Opfer hätte die Unschuldsvermutung gelten müssen. Die Trauer um die Ermordeten, Verstümmelten und Geschändeten ist unteilbar, das gilt für alle Opfer, für Deutsche wie Juden, Palästinenser und Armenier.

2.167.000 Menschen sind nach einer bis heute nicht widerlegten Untersuchung des Statistischen Bundesamtes bei Flucht und Vertreibung und an den Folgen ums Leben gekommen. Die meisten waren Frauen, Kinder und Greise. Wie andere Massenmorde dieser Dimension ist die Vertreibung der Deutschen und die Ermordung von Millionen dieser Flüchtlinge ein einmaliges Ereignis in der neueren Geschichte, das jede bisher gekannte geschichtliche Dimension sprengt. Ein singuläres Verbrechen. Die Deportation und Ermordung der europäischen Juden wurde im Nürnberger Prozeß als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, ebenso die Vertreibung von mehreren Hunderttausend Polen. Doch dieses in Nürnberg geschaffene Recht müßte, wenn es überhaupt Recht sein wollte, für alle gelten. Der Gedanke eines übergreifenden Rechts, das für alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit in gleicher Weise gilt, lebt mit der Einrichtung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag fort. Nach diesem Recht werden die Kriegsverbrechen der Serben und Kroaten von 1991 bis 1999 abgeurteilt. Dürfen aber die Kriegsverbrechen, die Massenmorde und Vergewaltigungen der Roten Armee nach einem anderen Maßstab beurteilt werden?

Weil wir das „Tätervolk“ sind? Das ist eine neue Sprachregelung für die Kollektivschuld − in Analogie zum „Opfervolk“. Schulklassen pilgern mit diesem Begriff im Kopf nach Auschwitz und Israel und demonstrieren Betroffenheit. Ihre israelischen Altersgenossen können sich mit dem Begriffspaar heute, ein halbes Jahr nach Gaza, kaum noch einordnen. Andere Tätervölker gibt es nach dieser Lesart offenbar nicht, weder die Türken, Russen oder Chinesen. Nicht einmal die Kambodschaner, die unter Pol Pot ein Drittel ihres eigenen Volkes ermordeten.

Die Deutschen sind also das Tätervolk. Die Begründung für diese Behauptung? Die Deutschen hätten am 6. November 1932 mit 33,56 Prozent aller Stimmen NSDAP gewählt und damit Hitler an die Macht gebracht.

Wenn wir richtig verstehen, soll damit eine Art gesamtschuldnerische Haftung nicht nur der Überlebenden des Zweiten Weltkriegs, sondern auch die ihrer Kinder und der in unserem Jahrtausend aufwachsenden Enkel und Urenkel begründet und festgeschrieben werden, eine Forderung, die von Generation zu Generation verlängert wird und schon jetzt das alttestamentarische „bis ins dritte und vierte Glied“ erreicht hat.

Die Deutschen − schuldig bis ins dritte und vierte Glied? Das hört sich schon auf Anhieb falsch an, scheint aber wenigstens konsequent. Doch bei der Definition, wer die Deutschen sind, kommen die Gegner des „Tätervolks“ in Erklärungsnot: Alle Staatsangehörigen? Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind primär Volkszugehörige, also Menschen deutscher Herkunft, eine Bestimmung der Verfassung, die heute nur noch ungern zur Kenntnis genommen wird. Oder sind alle Menschen mit deutschem Paß gemeint? Sollen sich die Eingebürgerten dann auch als Tätervolk schuldig fühlen? Ein auf Grund der neuen Staatsbürgerschaftgesetze gerade in Deutschland eingebürgerter 18jähriger Türke wird es als absurd empfinden, sich für die Erschießungen der SS-Einsatzgruppen auf dem Balkan von 1943 schuldig oder gar regreßpflichtig zu fühlen. Allerdings fühlte er sich auch vor seiner Einbürgerung wie alle seine Landsleute nicht schuldig an den türkischen Massenmorden von 1914/15, denen rund eine Million Armenier zum Opfer fiel.

So bleibt die Frage von Schuld und Mitverantwortung doch an Herkunft und Abstammung hängen, der wohl meistgehaßten Definition des Deutschseins, die von Linken als „Blutprinzip“ verleumdet und leidenschaftlich abgelehnt wird. Doch nur über diese biologische, genetische Verwandtschaft wäre ein heute 18jähriger Deutscher (womöglich aus Siebenbürgen!) für die Kriegsverbrechen und Massentötungen des NS-Regimes irgendwie haftbar zu machen. Deutsche haben 1932 die NSDAP zur stärksten Partei gemacht. Ab Mai 1933 war Deutschland eine Diktatur. Die Schuld der Deutschen könnte darin bestanden haben, nicht spätestens ab Mai 1933, selber Gefängnis, Folter und Tod nicht scheuend, den Kampf gegen die Diktatur aufgenommen und versucht zu haben, Hitler zu stürzen. Dann bestünde die Kollektivschuld der Deutschen darin, nicht allesamt Helden des Widerstands gewesen zu sein. Ich fühle mich nicht schuldig im Sinne der Warnhinweise. Mein Großvater, der keinem Menschen ein Leid getan hat, wurde 1879 geboren, mein Vater 1903. Ich bin im letzten Jahr 80 geworden. Mein jüngstes Enkelkind ist ein Jahr alt. Soll es auch später zum Volk der Täter gerechnet werden? Wann endet die Kollektivschuld-Lüge?

Mehr über das Problem in den Büchern des Autors, Lesungen und Vorträge unter www.klausrainerroehl.de

Quellen:
Foto: http://www.klausrainerroehl.de;
Text: Preußische Allgemeine Zeitung / Das Ostpreußenblatt, 15/09 v. 11.04.2009

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