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Der dumme Junge Westerwelle
Eine Kolumne von Thorsten Hinz
(*)
In der Wochenendausgabe der
FAZ war ein ganzseitiges Interview mit Außenminister Guido Westerwelle zu
lesen. Natürlich geht es um das Zentrum gegen Vertreibungen und Westerwelles
Veto gegen einen Kuratoriumssitz für Erika Steinbach, wobei die Journalisten –
unter ihnen Herausgeber Berthold Kohler, der seit Wochen Steinbach konsequent
verteidigt – energisch nachfassen. Westerwelle wiederholt seinen Standpunkt im
gewohnt schneidigen Tonfall, den er dem gerade verstorbenen
FDP-Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff abgelauscht haben muß.
Der Unterschied aber ist der:
Bei Lambsdorff korrespondierte die klare Form mit einem stringenten Inhalt.
Einfacher gesagt: Lambsdorff wußte, wovon er redete. Das ist bei Westerwelle
eindeutig nicht der Fall, er argumentiert unlogisch. Vor allem kann er nicht
plausibel machen, warum es der „Versöhnung“ und den „deutschen Interessen“
dient, wenn Deutschland mit Blick auf die Vertreibung den polnischen Standpunkt
übernimmt und die Erinnerung an seine erlittene Katastrophe den Fremdinteressen
und -perspektiven unterordnet.
Kein Konzept, nur Marketing
Das Interview unterstreicht den Eindruck, daß Guido Westerwelle kein böser,
vielmehr ein im Kern unsicherer Mensch ist. Er ist intelligent, doch
hinsichtlich seiner historischen Kompetenz ein dummer Junge, ein
Durchschnittsprodukt der bundesdeutschen Klippschule eben. Bei seinem Angriff
auf Erika Steinbach wird er sich gar nicht viel gedacht haben, und über das
ausgelöste Echo ist er höchstwahrscheinlich sogar erschrocken. Als er
machtbewußt, aber ahnungslos ins Amt stolperte, mußte er in den Zeitungen lesen,
daß er als Außenminister kaum mehr sein werde als der Briefträger der Kanzlerin.
Also hat er das getan, was ein
Parteipolitiker – zumal ein Parteipolitiker der FDP – eben tut: Er hat „Profil“
gezeigt. Der Begriff „Profil“ bezeichnet kein durchdachtes politisches Konzept,
sondern er entstammt dem Politikmarketing. Profilierung bedeutet, auf Teufel
komm' raus Aufsehen zu erregen und die eigene Unverzichtbarkeit öffentlich
darzustellen. Der Inhalt ist zweitrangig. Das hat er von seinem zu Tode
gekommenen Mentor Jürgen Möllemann – der in Westerwelles Tag- und Nachtträumen
wie Banquos Geist in Shakespeares „Macbeth“ umgehen muß – gelernt.
Leichtmatrose am Steuer
Guido unternahm es also, sich zu profilieren: Während die Kanzlerin nach altem
Brauch zuerst nach Paris fuhr, führte Westerwelle die erste Antrittsreise nach
Warschau, was ein „Zeichen“ setzen sollte. Doch dieses Zeichen verwies nur auf
seine eigene Profilsucht. Nichts gegen gute, gegen sehr gute Beziehungen zu
Polen, im Gegenteil, aber alle historischen, wirtschaftlichen, europa- und
bündnispolitischen Erwägungen sprechen für ein Primat der deutsch-französischen
Achse.
Vielleicht treten die
deutsch-polnischen Beziehungen einmal gleichwertig daneben, doch das ist
Zukunftsmusik. Um mit seiner Reise überhaupt einen politischen Akzent zu setzen,
machte er gegen Steinbach Front, die von der Union favorisiert wird. Die
„deutschen Interessen“, die Westerwelle so prätentiös in den Mund nimmt, sind
damit zur Verfügungsmasse der FDP-Parteiräson und der verletzten Eitelkeit
Westerwelles verkommen.
Die außenpolitischen Fahrwasser sind stürmisch. Der Gedanke, daß das deutsche
Schiff von einem Leichtmatrosen gesteuert wird, ist unheimlich.
-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-
Thorsten
Hinz, 1962 in Mecklenburg geboren, studierte Germanistik in Leipzig. Er war
1995/96 Politik- und 1997/98 Kulturredakteur der JF und arbeitet seither als
freier Autor in Berlin. 2004 wurde er mit dem Gerhard-Löwenthal-Preis für
Journalisten ausgezeichnet.
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