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Meinung Wer geglaubt hatte, die Koalition aus Union und FDP würde eine geschichtspolitische Kurskorrektur einleiten, wird durch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) eines Schlechteren belehrt. Verbissen versucht er zu verhindern, daß Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, ihren Platz im Leitungsgremium der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ einnimmt. Der Außenminister will der CDU-Politikerin und führenden Repräsentantin der bedeutendsten Opferorganisation in Deutschland die Möglichkeiten beschneiden, sich um ihre ureigenen Aufgaben zu kümmern. Westerwelle begründet dies mit den „deutschen Interessen“. Doch ist er überhaupt in der Lage, sie zu formulieren? Groß geworden im Treibhaus der Berufspolitik, hat Westerwelle nun endlich das Amt erreicht, das sein Ehrgeiz ihm als Ziel gewiesen hatte. Leider war es ihm in seiner langen Laufbahn nie gelungen, irgendeinen Befähigungsnachweis für das Ressort zu erbringen. Intelligent, wie er ist, weiß er das selbst. Die Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexe, die sich daraus ergeben, teilen sich in seiner verbalen und Körpersprache mit: Er bemüht sich, gestraffte Energie, Durchsetzungskraft, gedankliche Klarheit, staatsmännische Würde auszustrahlen – und wirkt doch nur steif, angestrengt, in eine Rolle versetzt, die ihn überfordert. Wie jeder verunsicherte Mensch ist er abhängig vom öffentlichen Widerhall, den seine Person auslöst. Der Versuch, einen ersten politischen Akzent zu setzen, indem er einen britischen Reporter auf die in Deutschland gültige Amtssprache verwies, wurde von der Presse durchweg negativ bewertet – zu Unrecht, doch weil es sich um eine nicht von Überzeugung getragene, nur auf Publikumswirkung berechnete Geste handelte, reagierte Westerwelle entsprechend flatterhaft. Sachwalter auswärtiger Interessen Die „Causa Steinbach“ bietet ihm scheinbar die Gelegenheit, Härte und Stehvermögen zu demonstrieren und sich außenpolitisch zu profilieren. Auf kürzere Sicht riskiert er damit nichts. Die Zustimmung der meisten Medien ist ihm sicher; seine historische Legasthenie bewahrt ihn vor Skrupeln. Es ist in Deutschland möglich, innenpolitisch zu punkten, indem man sich als Sachwalter auswärtiger Interessen geriert und diese gegen die geschichtliche Legitimität des eigenen Landes in Stellung bringt. In Polen wird man seine Aktivitäten für nützlich halten, aber Achtung wird er sich bei diesem geschichtsbewußten, stolzen Volk damit nicht erwerben. Guido Westerwelle ist seinem Amt, soviel wird man schon jetzt sagen können, weder politisch noch persönlich gewachsen. Sein Verhalten ist möglich vor dem Hintergrund einer geschichtspolitischen Fehlentwicklung, die unmittelbar auf die Sachpolitik einwirkt. Aus der Tatsache, daß die Kanzlerin in der Vergangenheit für die Kandidatur Erika Steinbachs Sympathien durchblicken ließ, darf nicht auf prinzipielle Differenzen geschlossen werden, die Unterschiede zwischen Union und FDP sind nur noch taktischer Natur. Auf der Gedenkfeier zum Ende des Ersten Weltkriegs am 11. November in Paris sagte die Kanzlerin: „Wir werden nie vergessen, wie sehr in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Franzosen durch Deutsche zu leiden hatten. Der schonungslose Umgang mit der eigenen Geschichte ist – davon bin ich überzeugt – die einzige Grundlage, um aus der Geschichte zu lernen und die Zukunft gestalten zu können.“ Der historische Erkenntniswert ihrer Rede war gleich Null, und zwar nicht nur, weil jeder – auch indirekte – Hinweis auf den Vertrag von Versailles fehlte. Merkel hat das Schuldvokabular, das zur Beschreibung des Zweiten Weltkriegs eingeführt wurde, auf den Ersten Weltkrieg übertragen. Sie folgte – wie fast die komplette politische Klasse – der Tendenz, die gesamte deutsche Nationalgeschichte vor 1933 auf die Vorgeschichte des Nationalsozialismus schrumpfen zu lassen und sie damit auszulöschen. In diesen Vernebelungszusammenhang gehört der Begriff „Versöhnung“, der auch von Merkel und Westerwelle strapaziert wird. Er kann einerseits die Synthese gegensätzlicher Standpunkte bezeichnen, doch in Deutschland wird er im theologischen, genauer: geschichtstheologischen Sinne benutzt und soll die Forderung nach „Sühne“ assoziieren. Hinsichtlich der Vertriebenen lieferte die Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche von 1965 die Stichworte. Darin wurden, um die Vertreibung zu rationalisieren, Argumente zitiert, die sich wie eine Umkehrung der nationalsozialistischen Lebensraumideologie lesen. Die Meditation über die „Schuldverflechtung der Völker“ bricht genau an dem Punkt ab, wo die Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939 und die Mißhandlung der deutschen Minderheiten zur Sprache kommen müßten. Westerwelles Wirken ist europapolitisch katastrophal Nur durch diese Manipulation der Geschichte konnte man zu dem gewünschten Ergebnis kommen: „Wir müssen aber daran festhalten, daß alle Schuld der anderen die deutsche Schuld nicht erklären oder auslöschen kann.“ Sie fällt also aus allen kausalen Zusammenhängen heraus und stellt ein geschichtlich nicht erklärbares, radikal Böses dar, für das unablässig Buße zu tun ist. Weil Steinbach die einzige relevante Politikerin ist, die, aus dem Erfahrungsschatz der von ihr repräsentierten Opfergruppe schöpfend, dagegen ansatzweise Widerworte wagt, schlägt ihr ein schon irrational anmutender Haß entgegen. Das, so heißt es, liege in einem höheren, im europäischen Interesse und sei nötig für eine gemeinsame Zukunft. Das Gegenteil ist richtig. Die Nachbarn Deutschlands werden ermutigt, ihre eigenen Lebenslügen und Egoismen zu pflegen und gegebenenfalls Kapital daraus zu schlagen. Ein Deutschland aber, das um keine historischen Fernverhältnisse mehr weiß, kann weder die historischen Bedingtheiten der Europapolitik noch die kulturellen und politischen Differenzen zwischen den Staaten realistisch einschätzen. Zum kleinsten europäischen Nenner wird dann die Bürokratie. Daher ist Westerwelles Wirken auch europapolitisch katastrophal.
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