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Tschechien: Die Geburt eines Nationalisten „Neue Menschlichkeit“ verkündete er 1945, daraus wurde die Vertreibung der „odsun“, der Sudetendeutschen. Jirí Gruša stürzt nun mit einer polemischen Biographie Edvard Benes vom Sockel. Von Dirk Schümer
Bald danach war Benes, die zwiespältigste Figur der jüngeren Geschichte des Landes, tot. Doch die Kommunisten, deren Partei er nie angehörte, ehrten ihn bewusst nicht. Erst 2005 bekam der Vater der Tschechoslowakei sein Denkmal, als wollte die neue politische Elite den Urheber der Vertreibung endlich belobigen. Er kann ihn nicht ausstehen
In der Tat macht Gruša keinen Hehl daraus, dass er den einflussreichsten und verhängnisvollsten Politiker in der jüngeren Geschichte seines Landes nicht ausstehen kann. Nicht einmal als Person, gegen deren beamtenhaften Habitus, deren „weinerliche Stimme“ der Autor munter vom Leder zieht. Gruša möchte mit seinem Buch das „Ende der Legitimation von Benes“ herbeischreiben: „Meine Landsleute mögen ihn zwar nicht sonderlich, aber das mit der Vertreibung - denken viele - das war gar nicht übel.“ Fast ein Huber gewordenUm beim „odsun“, der oft brutalen Aussiedlung der deutschen Minderheit, anzukommen, holt der Autor weit aus und erklärt dabei seinen befremdlichen Buchtitel: Mit dem deutschen Taufnamen „Eduard“ ist dieser Nationalist Benes nicht nur als Untertan der Habsburgermonarchie zur Welt gekommen. Noch nach seinem Studium in Frankreich verteidigte er jenen Vielvölkerstaat, den Gruša als „ÖU“ ironisiert. Aus der „ergiebigen Kloake des mitteleuropäischen Nationalismus“ erstand in Böhmen 1895 die erste nationalsozialistische Partei der Welt - exklusiv für Tschechen, die dem Internationalismus der Sozialdemokratie abschwören wollten. Hitler hätte also, so Gruša, eigentlich Tantiemen nach Prag überweisen müssen. Für diese rabiate, allerdings niemals rassistische Partei des „Národní socialismus“ wurde Benes erst Außenminister, dann 1935 Präsident der Nation, die er sich mit anderen Politikern im Pariser Exil des Ersten Weltkrieges ausgedacht hatte: Tschechoslowakei. Gruša genießt die Dekonstruktion von Gewissheiten: Der erste Verlobte von Mutter Benes war ein Mann namens Huber, erst der erfolgreichere Bräutigam habe dem Land also einen weiteren sudetendeutschen Anführer erspart. Umgekehrt hörte, wie sollte es anders sein, die Mutter des nationalsozialistischen Sudetenführers Henlein auf den Namen Dvořáčková. Und hatte nicht auch Hitler, als Österreicher geboren im böhmisch-bayrischen Grenzland, ein Identitätsproblem mit allerhand tschechischer Verwandtschaft? Für Gruša heißt der Mann, der bei Nürnberger Parteitagen gegen „den Herrn Peenesch“ in Richtung Prag wetterte, deshalb auch „Hydl“ oder „Hydla“. Dass die tschechische Nationalautorin Božena Němcová eigentlich Barbara Pankl hieß und aus Wien kam, dass der Gründervater der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, Sohn eines slowakischen Knechts, an dessen Vaterschaft zweifeln musste und nie richtig Tschechisch sprach - solche Widersprüche, die das zwanzigste Jahrhundert blutig wegwischte, hätten auch die kulturelle Stärke Mitteleuropas ausmachen können. Standbild oder Gartenzwerg?Die unlösbare Verschlingung von Slawischem und Germanischem im „Bermuda-Dreieck Europas zwischen Wien, München und Prag“ wollten die habsburgischen Generationsgenossen Hydl und Benes gewaltsam auflösen, der Erste als irrer Massenmörder, der Zweite immerhin noch als bürokratischer Umsiedlungsinspektor. Während Gruša natürlich an Hitlers und Heydrichs Untermenschenidee kein gutes Haar lässt, zieht er beunruhigende Parallelen zu Benes, der ohne jede Legitimation mit der Roten Armee nach Prag kommt und am 18. Mai 1945 bei einer Rede auf dem Altstädter Ring die „neue Menschlichkeit“ verkündet: Beim „Herausliquidieren“ der Deutschen, beim schonungslosen „Entgermanisieren“, so Gruša, erweise sich Benes wie so oft als gelehriger Schüler der Macht: „Dieser tschechische Messianismus trägt deutsche Züge.“ Der typische Sekretär Benes, so legt der Autor im Gespräch nach, habe eben niemals gekämpft, sondern immer kapituliert: im Ersten Weltkrieg als Sachwalter Frankreichs im Exil, nach dem Münchner Abkommen auf Hitlers Druck und 1948 als feiger Präsident unter der Knute der Sowjets. Während ihm seine Zeitgenossen die Rückgratbrüche nie verziehen, während ausgerechnet Goebbels 1943 in Prag einen Essayband mit antibritischen Texten von Benes - er befand sich da im Londoner Exil - herausgeben konnte, soll dieser Mann nun das demokratische Tschechien repräsentieren? Jií Gruša, der heute mit seiner deutschen Frau bei Bonn lebt, neuerdings sogar auf Deutsch schreibt und sich als Postnationalist in bester böhmischer Tradition betrachtet, möchte sein Land vor einer solchen Symbolfigur bewahren. Habsburgische BrachialpolitikerImmerhin rechnet er bei der jüngeren Generation mit einiger Zustimmung. Schließlich wurden die Grausamkeiten des „odsun“ zuletzt in zwei vielbeachteten Romanen thematisiert, Radka Denemarkovás „Geld von Hitler“ sowie Kateřina Tučkovás halbdokumentarischer „Vertreibung der Gerta Schnirch“. Auch der Film „Habermanns Mühle“ des Auschwitz-Überlebenden Juraj Herz führte den Tschechen jüngst die Monstrosität vor, dass 1945 sogar Juden, die den deutschen Mördern entkommen waren, nun plötzlich von tschechischen Kollaborateuren als Nazis aus ihrer Heimat gejagt wurden. Am moralischen Nullpunkt 1945 waren die von Gruša bewunderten „kommunizierenden Röhren zwischen Wien und Prag“ zertrümmert. Die habsburgischen Brachialpolitiker Hydla und Benes waren in Prag vor- und nacheinander dreimal an der Macht gewesen und überließen eine der führenden Industrienationen der Welt den kommunistischen Arbeitslagern und der Armut. Dass es den vertriebenen Sudetendeutschen in Deutschland - das Mutterland Österreich nahm sie nicht auf - am Ende wirtschaftlich viel besserging, wertet Gruša als weitere Volte im schlimmen Erbe von Benes. Sollte dieser unselige Mann von seinem Sockel gestürzt werden? Jiří Gruša, der erklärte Verehrer Schweijks, findet das nicht einmal erforderlich. Eine kleine Hinweistafel an die notorischen Kapitulationen dieses Mannes genüge vollauf. „Ich habe“, sagt der Autor mit gespielter Müdigkeit, „schon zu oft erlebt, wie Denkmäler umgewidmet, abgebaut, umgestürzt wurden. Ordnen wir Benes ein bei den Gartenzwergen der europäischen Geschichte. Da ist er in guter Gesellschaft.“
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