1. Geschichtliches
Mit diesem Namen bezeichnen wir die Landschaft zu
beiden Seiten der unteren Memel, soweit sie zum Deutschen Reiche gehörte. Sie
war in frühgeschichtlicher Zeit keine Einheit. Der nördliche Teil, etwa im
Umfang der späteren landrätlichen Kreise Memel und Heydekrug, war von Kuren
besiedelt und gehörte zu den kurischen Landschaften Ceclis und Lamotina. Südlich
davon saß zu beiden Seiten der unteren Memel der preußische Stamm der Schalauer.
Vom Nordteil mit der Stadt Menel ergriff der Deutsche Orden von Livland aus
Besitz (1252; Meimel, Stadt). Schalauen wurde 1275/2176 von Preußen aus erobert.
Erst 1328 wurde Memel von Livland an Preußen abgetreten. Kirchlich gehörte das
Gebiet nördlich der Memel weiterhin zum Bistum Kurland und der dortige Bischof
hatte bis 1392 auch einen Anteil an der weltlichen Herrschaft. Die Grenze
Preußens im Norden nach Livland hin (Verwaltungsgrenze der beiden Ordensländer
Preußen und Livland) war 1328-1422 die Heilige Aa, ein Flüßdien nördlich von
Polangen, südlich von Libau. Die Grenze in der »Wildnis« nach Litauen hin war
vertraglich nicht gesichert. Der Vertrag von 1398, der ganz Samaiten dem Orden
zusprach und südlich der Memel ihm noch einen großen Teil von Sudauen ließ,
wurde durch die Niederlage des Ordens bei Tannenberg (1410) erschüttert. Erst
der Friede von 1422 hat Bestand gehabt und die Grenze bis zur Gegenwart
festgelegt. Der Memelstrom bildet an sich keine Grenze; denn Ströme trennen
nicht, sondern verbinden. Die Grenze von 1422 verläuft von der Ostsee nördlich
von Memel, wo ein litauischer Vorsprung, bei Polangen, Preußen und Livland
trennt, in einem schmalen Abstand von der Memel, biegt nördlich von
Schmalleningken südlich zur Memel ein, verläuft dann in südlicher Richtung in
weitem Abstand von der mittleren Memel. Vor 1422 war das ganze große Gebiet
beiderseits der unteren Memel nur sehr dünn besiedelt; außer der kleinen Stadt
Memel gab es dort die Ordensburgen Tilsit und Ragnit, einzelne wenige bäuerliche
Ortschaften sowie Fischer an der Küste des Haffs. Nach 1466 strömten litauische
Bauern ein. Diese Wanderung hatte soziale und wirtschliche Ursachen und wurde in
Preußen nicht ungern gesehen, da besonders nach 1466 (Abtrennung Westpreußens
vom Ordensland) der Orden seine bisher vernachlässigten Wildnisgebiete stärker
nutzen wollte. So wurde das nordöstliche Ostpreußen von Litauern unterwandert
und deshalb später nach diesem Volksteile als Preußisch-Litauen bezeichnet,
obgleich es nie zu Litauen gehörte. Im Laufe der Jahrhunderte fand eine
Verschmelzung statt zwischen den litauischen Einwanderern und den Deutschen, die
früher schon dort wohnten und auch später noch zuwanderten (Salzburger, 1732),
und die Litauer nahmen zum großen Teil die deutsche Sprache an; doch gab in dem
Gebiet nördlich der Memel noch 1910 fast die Hälfte der Bewohner litausisch als
Muttersprache an.
2. Aufbau von
Verwaltungsstrukturen ab 1525
Verwaltungsmäßig war das Gebiet beiderseits der
Memel niemals eine Einheit, auch die Memel selbst niemals eine Grenze der
Verwaltungsbezirke. Im Mittelalter gab es die Komtureien Memel und Ragnit, diese
reichte über die Memel hinaus nach Norden. An der Küste des Haffs griff das
Gebiet des Ordensmarschalls (Königsberg) zeitweise bis nach Windenburg und in
die Fischerdörfer an der Ostküste des Haffs, im Memeldelta, hinüber. Nach 1525
gab es die Hauptämter Memel, Ragnit und Tilsit, dieses vorher schon Sitz eines
Pflegers des Deutschen Ordens. Losgelöst von der Komturei Ragnit wurde ferner
das Hauptamt Labiau. Nach der Zersplitterung in viele Domänenämter des 18.
Jahrhunderts wurden 1815 die Kreise gebildet: Memel,
Heydekrug,
Tilsit,
Elchniederung,
Ragnit, Pillkallen. Der Kreis Memel gehörte fortan zum
Regierungsbezirk Königsberg, die übrigen Kreise zum Regierungsbezirk Gumbinnen.
3. Zeitgeschichte
und Folgen des Versailler Vertrags
Ein nur kurzlebiges politisches Gebilde war das
»Memelgebiet«, oft auch »Memelland« genannt. Es wurde durch den
Vertrag von
Versailles 1919 geschaffen und umfaßte die Teile des Deutschen Reiches nördlich
von der Memel, ferner die Nordhälfte der Kurischen Nehrung. Das Memelgebiet
wurde 1920 von französischen Truppen,
1923 von Litauern besetzt und erhielt 1924
ein Autonomiestatut unter Aufsicht des Völkerbundes. Danach sollte der von
Litauen eingesetzte Gouverneur ein Direktorium berufen, das auf das Vertrauen
des Landtages angewiesen war. Der Landtag von 29 Abgeordneten zählte nie mehr
als fünf Litauer, meist weniger. Hieraus ergeben sich zahlreiche Konflikte, die
vor den Völkerbund kamen.
Im März 1939 gab Litauen kampflos, wenn auch unter
Druck, das Memelgebiet an Deutschland zurück. Nach dem zweiten Weltkrieg
gliederte die Sowjetunion es an die Sowjetrepublik Litauen an, während das Land
südlich der Memel zum »Bezirk Kaliningrad« gehört und von der russischen
Sowjetrepublik verwaltet wird. Nördlich der Memel sind zahlreiche Einwohner, die
nicht mehr fliehen konnten, zurückgeblieben; südlich von Memel gibt es nur noch
wenige Deutsche.