Ausgesondert, verboten, verbrannt
Alliierte Zensur: 34.645 Titel wurden nach 1945 gelistet - und entsorgt
Am 1. April 1952 erschien der "Dritte Nachtrag" der
"Liste der auszusondernden Literatur" im Zentralverlag, Berlin. Damit war die Reihe
von insgesamt vier Bänden abgeschlossen, in denen, beginnend am 1. April 1946, Bücher,
Zeitungen und Zeitschriften aufgeführt waren, die zunächst auf Befehl des obersten
Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, Marschall Shukow, dann
aber gemäß der Weisung der Oberbefehlshaber aller Besatzungszonen kraft Kontrollratsgesetz
vom 13. Mai 1946 einzuziehen und zu vernichten waren. Wie die "Vorbemerkung" sagt,
sollte dadurch die deutsche Literatur "gesäubert" werden; diesem Zweck diente die
"Ausmerzung" unwillkommenen Schrifttums. In dem Vorwort zu einem der Nachträge wird
berichtet, daß alle Parteien in den verschiedenen Besatzungszonen die Listen "mit
Zustimmung aufgenommen" haben. Hier sei der "richtige Weg eingeschlagen worden",
der "den Interessen der demokratischen Erneuerung des deutschen Geisteslebens" diene.
Nun ist diese vierbändige Ausgabe nicht als erschöpfend
zu betrachten. "Die Tatsache, daß ein Buch in dieser Liste nicht aufgeführt ist,
kann nicht als Entschuldigung dafür gelten, daß der verantwortliche Leiter einer
Bibliothek oder einer Buchhandlung ein Buch schädlicher Tendenz zur Ausleihe oder
zum Verkauf bringt", sagt in einem Vorwort die "Deutsche Verwaltung für Volksbildung
in der sowjetischen Besatzungszone: In vier "Verordnungen und Befehlen der Besatzungsmächte",
davon drei des Alliierten Kontrollrats, die sich mit der Aussonderung deutscher
Bücher befassen, wird ausdrücklich festgelegt, diese Bücher seien den Besatzungsmächten
"zur Vernichtung" zu übergeben. Damit war auch der private Besitz solcher Bücher
verboten, auch wenn die Alliierten vielfach darauf verzichteten, sie in Privatwohnungen
zu beschlagnahmen.
Es kam aber durchaus zu solchen Aktionen, wie beispielhaft
in einer Aktennotiz aus der Verwaltung der in der sowjetischen Besatzungszone gelegenen
Gemeinde Feldberg in Mecklenburg dokumentiert ist. Dort wird unter dem Datum 19.
Juni 1945 festgehalten, daß der von der Besatzungsmacht eingesetzte Bürgermeister
"im Hause Sassmannshausen, Fürstenbergstr. 11" eine Hausdurchsuchung veranlaßt hat.
Dabei wurden "in einem Schuhschrank, der auf dem Flur der Wohnung Köhler-Schücke
stand, zwei nationalsozialistische Bücher gefunden, und zwar das Buch ,'Brest-Litowsk'
von Theodor Krüger und das Buch 'Kriegsdichter erzählen'. Frau Hirchert wird darum
von mir zu 48 Stunden Haft verurteilt, die beiden gefundenen Bücher sind beschlagnahmt.
Der Bürgermeister, Ditzen". Bei Ditzen handelt es sich um keinen geringeren als
um den Schriftsteller Hans Fallada.
So ging man gemäß der "Liste der auszusondernden
Literatur" in allen Besatzungszonen daran, Bücher, welche "nationalsozialistische
Propaganda, Rassenlehre und Aufreizung zu Gewalttätigkeiten oder gegen die Vereinten
Nationen gerichtete Propaganda" bieten, zu entfernen und zu vernichten. Sie wurden
in Papierfabriken zu neuem Papier wiederverwertet, auf Mülldeponien gekippt und
in der sowjetischen Besatzungszone auch öffentlich verbrannt. Gesäubert wurden,
wie es in der Verordnung der Alliierten Militärregierung hieß, die ehemaligen staatlichen
und städtischen Büchereien, sowie die Universitäten, die Höheren Lehranstalten,
alle Forschungsinstitute und Akademien, alle technischen oder wissenschaftlichen
Gesellschaften, aber auch die Grundschulen, sowie Buchhandlungen und Verlagshäuser:
Faßt man nur die in den amtlichen Listen namentlich aufgeführten Bücher, Broschüren
und Zeitschriften zusammen, dann ergibt sich die Zahl von insgesamt 34.645 Titeln
sowie Hunderte von Zeitungstiteln. Es war dieses die größte Buchvernichtungsaktion
der Weltgeschichte.
Wer nun glaubt, es habe sich ausschließlich um "faschistische
und militaristische Literatur" gehandelt, der wird durch einen Blick in die Listen
(Reprints im Uwe Berg Verlag, 21442 Toppenstedt) eines besseren belehrt. Werke Friedrich
Nietzsches sind ebenso abzuliefern wie die von Gottfried Benn; man trifft auf die
Autoren Ernst Jünger, Ernst Moritz Arndt, Helmut von Moltke.
Bismarcks "Gedanken
und Erinnerungen" mußten vernichtet werden, aber auch ein Buch des später so erfolgreichen
Verfassers des "Räubers Hotzenplotz", Ottfrid Preussler, sowie alles über die Olympischen
Spiele 1936. Bücher von Friedrich dem Großen wurden ebenso verboten wie solche von
Ulrich von Hutten (1511-46). Verblüfft erfährt man, daß das im Dritten Reich kriminalisierte
Buch "Die Herrschaft der Minderwertigen" des Hitler-Gegners Edgar Julius Jung, geächtet
bleibt, obwohl der Autor 1934 von Nationalsozialisten aufgrund seines Werkes ermordet
worden war.
Man fragt sich, was wohl in einem Buch über "Die
Aufgaben der Gemeindepolitik" aus dem Jahre 1919 so Gefährliches für die Alliierten
enthalten gewesen sein mag, doch wundert man sich über gar nichts mehr, wenn in
der Liste der verbotenen Bücher sämtliche Ausgaben des "Deutschen Bauernkalenders"
zu finden sind, das Buch eines Autors Belz "Unter den Tuaregs", eine "Pferdefibel",
Carl Clausewitz' "Vom Kriege", aber auch "Der Diplom-Volkswirt" und "Der Diplom-Landwirt".
Es mag einleuchten, daß ein Werk über "Die Gewinnbeteiligung der Gefolgschaft" verschwinden
mußte, war doch die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer eine typische NS-Forderung.
Was aber war der Grund für das Verbot des Buches "Die Geschichte der Königsberger
Klempnerinnung"? Auch das dichterische Werk des Arbeiterdichters Heinrich Lersch
mußte dran glauben wie die Bücher von Artur Maraun, die auch während der NS-Herrschaft
verboten waren. So erging es auch den Büchern von Moeller van den Bruck. Sie waren
vor 1945 geächtet und blieben es auch nach der "Befreiung". Ebenso verpönt waren
zehn Titel von Carl Schmitt, aber auch Ina Seidel war auf dem Index wie die 1941
erschienene "Tennisfibel".
Das Erstaunen nimmt kein Ende: Die Gedichte Walther
von der Vogelweides erschienen den Besatzern so gefährlich, daß sie vernichtet werden
mußten. Um das Maß voll zu machen, verbot man ein Buch über den Schutz der Hecken
und Knicks, herausgegeben vom Reichsbund für Vogelschutz (der heute noch existiert
unter dem Namen "Naturschutzbund Deutschland") sowie eine Anleitung aus dem Berg-Verlag
"Wir bauen ein Iglu".
Ebenso wenig fehlen das Textbuch von Richard Wagners
"Ring der Nibelungen", Friedrich Georg Jünger, Dietrich Klagges, Josef Weinheber,
Ernst von Salomon, A. Paul Weber, Arnolt Bronnen, Herbert Reinecker, Hans Grimm.
Nicht ohne stilles Vergnügen entdeckt man Autoren auf der Verbotsliste, von denen
man später erfuhr, daß sie Widerstandskämpfer waren wie etwa Lothar-Günther Buchheim,
dessen 1943 in Berlin erschienenes Buch "Jäger im Weltmeer" ebenso verboten wurde
wie des späteren Stern-Herausgebers Henri Nannens "Störfeuer von M 17" (erschienen
1943); Luis Trenker, Bruno E. Werner, Ernst Wiechert, Rolf Italiaander - sie alle
galten als "Nazi-Autoren", deren Bücher vernichtet werden sollten.
Groß ist die Anzahl der christlichen Schriften, die
nun auf dem Index der Alliierten standen, so etwa alle Bücher über Christenverfolgungen
in der Sowjetunion, der Herz-Jesu-Kalender, der Gustav-Adolf Kalender, die Kalender,
die dem heiligen Antonius, St. Benno, St. Bernward, St. Heinrich, St. Joseph und
St. Konrad gewidmet waren, der Apostel-Kalender aus dem Salvator-Verlag, die Schriften
des Vereins für innere Mission, und sogar die 1936 erschienene Schrift "Deutschland
ist und bleibt christlich".
Der vor 50 Jahren erschienene "Dritte Nachtrag" der
"Liste der auszusondernden Literatur" galt nur noch für die sowjetische Besatzungszone
- in der inzwischen von den Westmächten gegründeten Bundesrepublik Deutschland fand
er keine Anwendung.
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