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Bayerischer Krampf um Hitlers »Kampf« Es macht sich nicht so gut, beispielsweise beim Karikaturenstreit gegenüber den die Mohammed-Karikaturen als unerträglich empfindenden Mohammedanern, auf die Meinungs- und Pressefreiheit als Errungenschaft der westlichen Welt zu verweisen, um diese dann selber einzuschränken, wenn man selber etwas als unerträglich empfindet. Das hat den Beigeschmack von Doppelmoral (double standard) nach dem Motto: „Alle sind gleich, aber einige sind gleicher“ oder „Quod licet Iovi, non licet bovi“ (Was Jupiter darf, darf der Ochse nicht). Was Adolf Hitlers „Mein Kampf“ angeht, war die Bundesrepublik bisher in einer bequemen Situation, was sie den Alliierten verdankte. Letztere bestimmten nämlich nach dem Krieg, dass der Freistaat Bayern Hitlers Erbe sei und deshalb auch die Rechte an „Mein Kampf“ habe. Damit konnte das Bundesland über die Bundesrepublik hinaus die Verbreitung von „Mein Kampf“ unterbinden, und das ohne mit dem Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit in Konflikt zu geraten. Dieser urheberrechtliche Schutz läuft jedoch Ende 2015 aus. Da sagten sich die zuständigen bayerischen Politiker, wenn sie denn schon nicht mehr die Verbreitung von „Mein Kampf“ verhindern könnten, dann wollten sie doch wenigstens versuchen, darauf Einfluss zu nehmen, in welcher Form das Werk beim Leser landet. Es wurde sozusagen nach einer politisch korrekten Fassung gesucht. Dazu sollte „Mein Kampf“ kontextuiert und in einen entsprechenden Rahmen aus Kommentaren gefasst werden, damit der Leser neben Hitlers Darstellung gleich eine dessen Aussagen konterkarierende, relativierende oder kontextuierende Gegendarstellung mitgeliefert bekommt. Wer bot sich für eine solche „kommentierte, historisch-kritische Edition“ besser an als das Institut für Zeitgeschichte? Das IfZ ist wissenschaftlich renommiert, politisch über jeden Zweifel erhaben, sitzt in der eigenen Landeshauptstadt München und hat nicht ohne Grund früher den Namen „Deutsches Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit“ getragen. Bayerns Regierung und Parlament waren sich einig und das Kultusministerium stellte eine halbe Millionen Euro Sondermittel für das geschichtspolitisch wichtige Projekt zur Verfügung. Dann besuchte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer jedoch Israel und dort erfuhr er, dass die Vorstellung unerträglich sei, dass eine mehr oder weniger staatliche deutsche Stelle in der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ Hitlers „Mein Kampf“ herausgebe. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und Ex-Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, blies in dasselbe Horn: „Für die letzten noch lebenden Opfer wäre es unerträglich, das Buch in Deutschland neu aufzulegen. Dieser Standpunkt ist seitens der Opferverbände auch an den Ministerpräsidenten herangetragen worden.“ Seehofer trägt dem Wunsche Rechnung und favorisiert nun die große Lösung. Presse- und Meinungsfreiheit hin oder her soll nun über das Auslaufen der Urheberrechte hinaus die Veröffentlichung von „Mein Kampf“ unterbunden bleiben. Zur Begründung für seinen Kursschwenk führt Seehofer das angestrebte NPD-Verbot an: „Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag in Karlsruhe stellen und anschließend als bayerische Staatsregierung sagen, wir geben sogar unser Staatswappen dafür her und verbreiten ,Mein Kampf‘ – das geht schlecht.“ Juristisch soll statt des Urheberrechts nun das Volksverhetzungsverbot als Hebel dienen. So hat Seehofers Innenminister bereits angekündigt: „Wir werden in jedem Fall ein Verfahren wegen Volksverhetzung einleiten und entsprechend belastendes Material beschlagnahmen.“ Um zu verhindern, dass der Staat eine staatlich gefördert Veröffentlichung verbietet, ließ Seehofer sein Kabinett beschließen, die finanzielle Förderung des Editionsprojekts des Instituts für Zeitgeschichte zurückzuziehen. Die Botschaft des bayerischen Regierungschefs und seiner Mitstreiter an das Institut ist klar. Für die Begriffsstutzigen brachte es Seehofers Staatskanzleileiterin Christine Haderthauer auf den Punkt: „Unsere Auffassung ist: Auftrag gestoppt.“ In diesem Falle hat Drehhofer, wie Seehofer gerne genannt wird, sich zu schnell gedreht, als das alle ihn hätten schnurstracks folgen können, ohne dabei ihr Gesicht zu verlieren. So bezeichnete der grüne Oppositionspolitiker Sepp Dürr den „Auftragsstopp“ als „Unverschämtheit erster Güte“, hatte doch der Landtag sich fraktionsübergreifend für eine historisch-kritische Edition auf Staatskosten ausgesprochen. Und auch die Angehörigen des Instituts für Zeitgeschichte konnten den „Auftragsstopp“ nicht unwidersprochen hinnehmen, wollten sie sich nicht öffentlich als Erfüllungshilfen der Politik erweisen sowie ihr Selbstverständnis als Wissenschaftler und das Ideal der Freiheit von Forschung und Lehre offen aufgeben. Sie haben von dem „Auftragsstopp“ auch erst aus der Zeitung erfahren, und da sie sich auf den Standpunkt stellen, dass es sich bei dem Editionsprojekt gar nicht um eine Auftragsarbeit handele, bekunden sie die Absicht, das Projekt fortsetzen zu wollen. Da Seehofers zuständiger Minister eine offene
Verletzung der Freiheit der Wissenschaft scheut, sind bayerische Staatsregierung
und IfZ zurzeit auf Kollisionskurs. Wenn keine Seite einlenkt beziehungsweise
einknickt oder von außen aus der Bahn geworfen wird, wird Bayern tatsächlich das
staatliche Verbot einer staatlich finanzierten Veröffentlichung erleben. Denn
abgesehen von den für die Publikation zur Verfügung gestellten Sondermitteln ist
das Institut eine öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts, getragen von der
Bundesrepublik Deutschland und sieben Bundesländern, darunter Bayern.
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