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Geburt und Taufe
von Beate Szillis-Kappelhoff
Naht eine Geburt, so beginnt die
Rodynes-Zeremonie. Der künftige Vater bemüht sich um eine Hebamme, die der
Schwangeren während der letzten Zeit beisteht und dafür als Entgelt ein
Kleidungsstück erhält. Nach der Geburt lässt die Hebamme den Vater hereinrufen,
der fragt: "Bau dawe pons Deiws szwenta angela?" (Hat der Herr
Gott einen heiligen Engel gegeben?). Dann wendet sich der Mann seiner Frau zu
und begrüßt sie mit den Worten "Szweika isz karo" (Willkommen aus dem Krieg),
womit er auf die Geburtsschmerzen deutet. Darauf gibt er der Hebamme einen
Branntwein, diese nimmt das Glas, dankt Gott, betet für Mutter und Kind und
gießt darauf den Branntwein für die Erdgöttin Zhemina auf die Erde. Dieser
Branntwein ist nur für die Zhemina, die Hebamme und den Hauswirt bestimmt.
Andere anwesende Personen erhalten Getränke aus anderen Gefäßen. Nach der Ehrung
der Göttin kocht der Vater ein Essen für die Wöchnerin.
Nach sechs Wochen wird ein weiteres Fest gegeben.
Die Szeszauninka (Sechswöchnerin), der Vater sowie die Hebamme erhalten wieder
einen gesondert hergestellten Branntwein und beten zu der Pana Maria (Herrin
Maria), aber auch zu der Glücksgöttin Laima, der man Schnaps auf die Erde gießt.
Dreimal geht die Runde: Die Hebamme gießt eine hölzerne Kauschel voll, trinkt
der Sechswöchnerin Palabindama zu und reicht ihr die Kauschel. Diese trinkt
ihrem Mann Palabindama zu und reicht ihm das Gefäß, und der palabinkt dann der
Laima. Auch das Essen ist gesondert von allen Gästen, von ihm darf kein Rest
bleiben. Sollte das geschehen, so muss es der Hund in ihrer Gegenwart
verzehren, die Knochen werden ins Feuer geworfen.
Zur Feier wird bei wohlhabenden Leuten ein
besonderes Bier gebraut, nämlich eins von dem zuerst geworfelten Getreide, wovon
wieder nur der Vater, die Mutter und die Hebamme trinken dürfen, wobei es oft
vorkommt, dass die Sechswöchnerin sich betrinkt. Die Gäste erhalten normal
gebrautes Bier. Die Hebamme übergibt das Neugeborene, das sie zusammen mit der
biergefüllten Kauschel im linken Arm hält, den Paten. Dabei ruft sie die Pana
Maria und die Laima um Hilfe, dass das Kind die Taufe erhalten und seinen Namen
verdienen möge. Dann wird in der Runde zheminelaukt und palabinkt, wobei das
Kind von einem Paten zum nächsten gereicht wird und schließlich beim Vater
ankommt. Dann gehen der Vater und die Paten zur Taufe.
Mutter und Hebamme bleiben zu Hause, und der
Hebamme obliegt es nun, das Festmahl zu richten. Dazu erschlägt sie ein Huhn,
dessen Gefiederfarbe nun keine Rolle spielt, das jedoch schon Eier gelegt haben muss. Beim Kochen und später auch
beim Aufgeben achtet sie ernsthaft darauf, dass nichts überlaufe. Von diesem
Huhn werden nur die Frauen essen. Bevor sie es tun, fallen sie vor dem Stuhl,
auf dem das Huhn angerichtet ist, auf die Knie. Mit einer geheiligten Kausche,
die zu profanen Zwecken nicht gebraucht werden darf,
beginnt die Hebamme nun ein dreimaliges Palabindama für die Sechswöchnerin und
ihre Nachbarinnen. Die junge Mutter muss während dieser Handlung notwendig
niederknien, sollte sie auch noch so schwach sein. "Ist sie einigermaßen
kräftig, so wird sie mit den anderen lustig sein und sich auch wol einen Rausch
trinken." Danach spenden alle Frauen Geld, das die Szeszauninka mit
Kleidungsstücken entgilt.
Kommt nun die männliche Taufgesellschaft von der
Kirche zurück, so darf wiederum keiner die Türschwelle noch den Türrahmen
berühren, denn die sind in einem prußischen Hause heilig. Die Hebamme dankt für
die Taufe und erbittet von der Mutter Gottes Maria Glück für das Kind. Jetzt zhemynelaukt sie nicht mehr sondern palabinkt nur
noch den Paten zu. Darauf wird gebetet, ein Lied gesungen und sich schließlich
zum Essen gesetzt. Die Hebamme reicht nun das Kind von einem Paten zum anderen,
der je nach seiner Vermögenslage eine Geldspende tätigt.
Nach etlichen weiteren Wochen, manchmal auch erst
nach einem Jahr trifft sich die Runde wieder. Der Hauptpate nimmt dann das Kind
auf seinem Schoß und schneidet ihm die Haare ab. Diese werden in eine mit Bier
gefüllte Kauschel gegeben, über die der Pate ein Gebet spricht. "Hernachmals
säuft er die Kauszel mit Bier und Haaren aus." Damit kaufen die Eltern das Kind
vom Gevatter los.
Diese Zeremonien fanden in Nadrauen und Schalauen
noch im 18.Jh. statt. Deutlich ist das gleichberechtigte Nebeneinander der
heidnischen und christlichen Rituale. Die Jungfrau Maria zu akzeptieren,
bereitete keinerlei Probleme, denn in ihr verehrte man gleichzeitig die
Milchgöttin Mara. Im 16. und 17. Jh. war das Misstrauen gegen das Christentum
deutlich größer, denn wenn man ein "Schreikind" hatte, so schob
man es darauf, dass das Kind unter seinem christlichen Namen litte. Dann fanden
komplizierte Zeremonien statt, in denen der biblische Name abgewaschen und ein
traditioneller aus der Natur gefunden werden musste. Das hatte jedoch alles heimlich stattzufinden, denn die Obrigkeit
wachte streng darüber und strafte hart, wenn noch heidnische Bräuche herrschten.
Im litauisch-katholisch geprägten nördlichen
Ostpreußen wurden Namen der Heiligen gegeben, im protestantischen südlichen
Ostpreußen bevorzugte man Namen aus dem Alten Testament oder gab pietistische Vornamen. Im 19. Jh. wurden deutsche
und französische Vornamen modern.
In Nadrauen und Schalauen, begünstigt auch durch
Mischehen, konvertierten viele Katholiken zum lutherischen Glauben, allein weil
die Schulsituation für ihre Kinder vorteilhafter war und sie es für deren sozialen Aufstieg günstiger hielten.
Allerdings wird auch von ehelichen Zwisten berichtet, in denen der jeweilige
Ehepartner das Kind schnappte und zu "seiner" Kirche zur Taufe brachte. Häufig
war es die Wöchnerin, die das Rennen machte, während der junge Vater sich im Meschkinnes-Rausch befand.
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