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Ausgerottete Prußen?
von Beate Szillis-Kappelhoff
“Der Herzog von Masowien rief die Ordensritter
gegen die kämpferischen Prußen zu Hilfe, die ihn dauernd überfielen. Die
Ordensritter kamen, um die letzten Heiden Europas zu besiegen und und töteten
alle diejenigen, die sich nicht durch eine Zwangstaufe zum Christentum
"überzeugen" ließen. Bis auf minimale Reste wurden die Prußen ausgerottet.“ Das
ist in etwa die Kurzfassung der Geschichte, wie man sie häufig zu lesen oder
sogar im Fernsehen präsentiert bekommt. Aber ist sie wahr?
Wie in jeder Legende steckt auch hier ein
Körnchen Wahrheit. Der Herzog von Masowien rief tatsächlich den Orden zu Hilfe.
Die Ursache hierfür muss differenzierter betrachtet werden, denn seit dem 4. Jh.
expandierten die Slawen und machten enormen Druck auf die südlichen und
süd-westlichen Prußen. Die Masowier wollten ihr Territorium erweitern und
griffen die Prußen an, wogegen diese sich selbstverständlich wehrten. Dabei gab
es auch kriegerische Züge in den gegnerischen Machtbereich.
Da die Slawen bessere internationale Beziehungen
hatten, während die Prußen sich mehr mit sich selbst beschäftigten, kam der
Orden dem Herzog von Masowien auch wirklich zu Hilfe und besiegte letztlich die
Prußen. Aber waren sie damit ausgerottet?
Wir wissen alle aus leidvoller Erfahrung oder
Beobachtung, dass es während eines Krieges nicht ohne Tote abgeht. Richtig ist
auch, dass es zu brutalen Übergriffen, Fluchten, Vertreibungen, Umsiedlungen und
Verschiebungen großer Bevölkerungsmengen kam, wohl auch zu Zwangstaufen.
Andererseits waren die Prußen auch nicht zimperlich, denn es wird von etlichen
Überfällen, Belagerungen und Massakern berichtet, die sie ihrerseits an den
Ordensrittern begingen. Ihr jahrhundertelanger Partisanenkampf und die vielen Aufstände
verliefen meist blutig.
Der Orden allerdings hatte aus Fehlern in
Palästina gelernt und verhielt sich recht modern und umsichtig. Der westliche
und südliche Teil des Prußenlandes wurde im wesentlichem im 14. Jh. kolonisiert,
in der nördlichen Wildnis zog es sich bis zum 15. Jh. hin. Loyale Prußen wurden
sogar nach deutschem Recht eingestuft und als Lokator oder Bürgermeister
(Schulz) eingesetzt. Segensreich wirkten die Zisterzienser-Mönche, die eine
vorbildliche Landwirtschaft betrieben (Zisterne = Brunnen leitet sich von ihnen
ab) und eine große Anziehungskraft auf die prußischen Bauern ausübten, die sich
von ihnen weiterbilden ließen. Waren vorher viele Prußen in benachbarte
baltische Länder geflohen, so setzte bald darauf eine Rückwanderung ein. Selbst
Szemaiten und Litauer kamen in Scharen ins Ordensland, um in den Genuss des
"milden Rechts des Ordens" zu kommen.
Solange der Orden die Zügel in der Hand behielt,
betrieb er eine bauernfreundliche Politik. Das änderte sich allerdings nach der
Schlacht von Tannenberg, als er Söldner und Adlige mit Grundbesitz bezahlen
musste. Diese wurden damit auch Herrscher über die Bauern und behandelten sie
teilweise derart schlecht, dass es sich in Deutschland herumsprach und der
Zustrom von Siedlern ausblieb.
Die Annäherung der verschiedenen Ethnien fand auf
dem Lande über die plattdeutsche Sprache statt. Der christliche Glaube wurde von
den Prußen zunächst wohl mehr berechnend aus sozialen Gründen übernommen, denn
sie verbanden ihn noch gar nicht mit Religion sondern mit einer zusätzlichen
Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Man huldigte weiter heimlich den Göttinnen
und Göttern, ging aber formal in den christlichen Gottesdienst. Erst als der
Katechismus in prußischer Sprache herausgebracht wurde und Priester sich der
Einheimischen seelsorgerisch annahmen, wurde der neue Glauben auch innerlich
akzeptiert. Lediglich im nördlichen Ostpreußen hielt sich die alte heidnische
Religion bis weit in das 18. Jh. hinein, besonders bei den Kuren, die wegen
ihrer "Zauberkraft" sehr gefürchtet waren.
Gemischte Heiraten wurden üblich, im nördlichen
Landesteil jedoch erst später, als die Salzburger sesshaft geworden waren.
Prußische Namen wurden einfach ins Deutsche übersetzt oder lautsprachlich
angepasst. Hinter fast jedem deutsch-ostpreußischen Namen kann sich ein Pruße
verbergen, seltener hinter einem prußischen oder litauischen Namen ein
Deutscher. Fazit: die Prußen haben in ihren Kämpfen gegen den Orden sicherlich
viele Tote zu beklagen gehabt, aber sie sind nicht ausgestorben, sie haben sich
mit den vielen Einwanderern vermischt und sind in dem neuen Menschenschlag der
Ostpreußen aufgegangen. Kaum ein Ostpreuße, der keine prußischen Vorfahren
hätte. Wir Prußen leben also noch!
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