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Dr. Lacota: Zur Charta meinte Dr. Lacota u.a.: „Dieses Dokument hat einen außerordentlich aktuellen Inhalt und findet deshalb heute zu Recht neue Beachtung und Anerkennung, gerade im Hinblick auf die Entwicklungen und die politischen Gegebenheiten, die Jahrzehnte nach der Unterzeichnung ganz Europa involviert haben. Diese Erklärung, die von jenen ausgearbeitet wurde, denen die schlimmsten Bedingungen des Friedens auferlegt worden waren, beabsichtigte eine Erneuerung des alten Kontinents auf einem soliden und dauerhaften Fundament von Einheit und Frieden und einer Wiederherstellung der Prinzipien, auf denen die westliche Zivilisation beruht. Auf das Ende des bewaffneten Konflikts folgte jedoch der lang anhaltende Schwelbrand einer erbitterten Auseinandersetzung, die sich auf ideologische und wirtschaftliche Fronten beschränkte, weil die drohende atomare Gefahr eine militärische Option ausschloss, und der Europa durch die Spaltung in zwei sich gegenüber stehende Zonen geschwächt hat. Diese Situation verhinderte – um es kurz zu fassen – eine Wiederherstellung und Anerkennung zweier, vitaler Rechte: Des Personenrechts (habeas corpus) und des Eigentumsrechts (ius proprietatis). So begann ein anormaler Einigungsprozess, der sich zu Beginn auf das unter amerikanischem Einfluss stehende Westeuropa beschränkte, mit dem vorrangigen wenn nicht einzigen Ziel, den Block der demokratischen Länder zu konsolidieren angesichts der Gefahren, die aus dem „sozialistischen Lager“ drohten. Als deshalb der Kalte Krieg beendet war und sich die letzte, große Diktatur – die des Kommunismus – auflöste, fanden auch die intereuropäischen Bindungen ein zwangsläufiges Ende, die dadurch entstanden und ihre Existenzberechtigung erhalten hatten und es traten Fragen und Problematiken ans Tageslicht, die seinerzeit eingefroren worden waren, die aber heute eine endgültige Regelung und Lösung erfordern. Nachdem Europa sich nicht mehr mit einem mittelmäßigen Kommunismus messen und ihn bekämpfen muss, ist die Schaffung einer Gesamtstruktur geeigneter Institutionen und Maßregeln überfällig, damit der Gesellschaft die Energien und das Vertrauen zurückgegeben werden, die sie benötigen, um aus der Sackgasse herauszufinden, in die sie die demokratische Lethargie während der langen Nachkriegszeit geführt hat. So kam es, dass nach Jahrzehnten des Schweigens, der Desinformation und der Geschichtsfälschungen das Europa der jungen Generationen sich in der beschämenden Lage befindet, zig Millionen von Bürgern zu haben, die vertrieben wurden und zwar innerhalb dessen, was man rein rhetorisch „das gemeinsame europäische Haus“ nennt. Und bislang sind nicht einmal strenge und wirkungsvolle Bestimmungen erlassen worden, die vom europäischen Boden jede Möglichkeit bannen, dass Vertreibungen und zwangsweise Massenumsiedlungen jemals wieder vorkommen können. Jetzt werden sich der Eine oder Andere oder vielmehr sehr viele von Ihnen fragen: Ist es denn möglich, dass in keiner der feierlichen Erklärungen oder internationalen Abkommen ein absolutes Verbot von Vertreibungen Einzelner oder ganzer Volksgruppen festgelegt wurde?“ Dann beschäftigte sich Lacota mit verschiedenen Verträgen und Abkommen der Vergangenheit – vom Austausch von Bevölkerungen zur Konfliktlösung – wie zwischen Bulgarien und der Türkei, oder der Türkei und Griechenland und Rumänien. „Auch die Serie von Abkommen NS-Deutschlands mit seinen Nachbarn, die in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs zur Umsiedlung Hunderttausender Volksdeutscher ins Reich führten, wurden oft gerade mit Bezug auf Lausanne gerechtfertigt. Erst nachdem die “schmutzige” Vertreibung von Millionen von Deutschen und anderen Minderheiten aus den Staaten Osteuropas eine homogenere Bevölkerungsstruktur in jenen Regionen geschaffen hatte, waren die Regierungen bereit, in den Prinzipien des internationalen Rechts Zwangsumsiedlungen als unakzeptabel zu erklären. Die Vierte Genfer Konvention von 1949 führte Deportationen unter den Kriegsverbrechen auf: „Zwangsweise Einzel- oder Massenumsiedlungen sowie Deportationen von geschützten Personen aus besetztem Gebiet in das Gebiet der Besatzungsmacht oder irgendeines anderen besetzten oder nicht besetzten Landes sind ungeachtet der Beweggründe verboten.“ Des weiteren wurde festgesetzt, dass eine Deportation im Fall sehr hoher Opferzahlen als „Völkermord“ oder „Genozid“ bezeichnet werden kann. Hierbei handelt es sich um eine neue Wortbildung des polnischen Juristen Raphael Lemkin, die fünf Jahre vorher, 1944, entstand. Des weiteren wurde festgesetzt, dass eine Evakuierung der Bevölkerung nur angesichts „zwingender militärischer Maßnahmen“ oder zur Sicherheit der Zivilbevölkerung erlaubt ist. In jedem Fall muss der Zivilbevölkerung nach Beendigung des Kriegsgeschehens die Rückkehr erlaubt sein. Die Konvention enthielt auch das Verbot, einen Teil der Zivilbevölkerung der Besatzungsmacht in das besetzte Gebiet umzusiedeln.“ „So habe ich zum Beispiel in den letzten beiden Jahren persönlich festgestellt, dass die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei – die Churchill seinerzeit als den demokratischsten der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie bezeichnete – aus Schlesien und aus den anderen Gebieten Osteuropas noch immer als im Grunde positiv betrachtet wird. Man sieht darin die damals einzige Möglichkeit, Europa Stabilität zu geben, was sich in der Tat auch so erwiesen habe, da die Minderheiten als gefährliches Instrument oder nationalistische Waffe des gefürchteten, möglichen deutschen Revanchismus entfernt worden sind. Statt dessen ist klar, dass der Jahrzehnte lange Frieden, der in Europa dem Zweiten Weltkrieg folgte, nicht auf der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten beruhte, sondern auf der Anwesenheit der Roten Armee auf dem halben Kontinent und auf der Balance des Terrors mit den Vereinigten Staaten. Und berücksichtigen Sie bitte, dass diese Überzeugungen nicht Normalbürgern angehören, sondern Regierungsmitgliedern großer europäischer Länder, hochrangigen diplomatischen Persönlichkeiten in Europa, einflussreichen öffentlichen Amtsträgern, von denen ich mir eine solche Kristallisierung niemals erwartet hätte. Um zum Schluss zu kommen, möchte ich hervorheben, dass in diesem Kontext, der für viele von Ihnen vielleicht aussichtslos erscheinen mag - meiner Meinung nach aber nur diesen Anschein hat - eine entschlossene und innovative Wende im Engagement der Vertriebenenverbände eine dringliche Notwendigkeit ist. Aus diesem Grund glaube ich – und ich sage dies in absoluter Offenheit und deshalb vielleicht etwas krass – dass neben den traditionellen Tätigkeiten zum Erhalt und zur Verbreitung der Jahrhunderte oder Jahrtausende alten Kultur der vertriebenen Volksgruppen alle Landsmannschaften und ihre Gliederungen jetzt gemeinsam und ohne persönliche Ambitionen und Rivalitäten alle ihre äußersten Energien bündeln und einsetzen müssen, um die einzige Alternative zur biologischen Lösung, die alle Hoffnungen und Vorhaben auslöschen wird, umzusetzen. Ich spreche vom europäischen Weg. Es ist der einzige gangbare Weg mit konkreten und alles andere als utopistischen Möglichkeiten, um – im Rahmen des Möglichen – jene Ziele zu erreichen, die sich noch vor zehn Jahren nicht einmal erfassen ließen. Es ist der gleiche Weg, den die Charta der Heimatvertriebenen inhaltlich bereits vorgezeichnet hat und der heute, nach sechzig Jahren, in einem völlig veränderten politischen Klima eingeschlagen werden kann. Dieser Weg muss etappenweise begangen werden und die Europäische Union der Flüchtlinge und Vertriebenen hat – nachdem sie einige Jahre lang einschlägige Studien und Analysen durchgeführt hat – bereits den ersten Schritt getan. Unumgänglich ist jedoch eine nahezu umfassende Regenerierung bisheriger Methoden, Strategien und Visionen. Die wichtigste und fundamentale Etappe, an der wir alle in der EUFV bereits arbeiten, der Dreh- und Angelpunkt ist die Wiederaufnahme - in aktuellem Kontext - des in Stuttgart am 5. August 1950 schwarz auf weiß niedergelegten Prinzips des Recht auf Heimat die Anerkennung durch Europa und seine Institutionen, dass die Vertreibung in allen ihren diskriminierenden Formen das grausamste Verbrechen gegen die Menschheit war und bleibt und als solches streng zu bestrafen ist.“ „Erst nach Verwirklichung dieser Etappe wird es möglich sein, den ersehnten Prozess der Versöhnung zu beenden, der nur dann positive und nachhaltige Wirkung hat, wenn ihm die gegenseitige Anerkennung und Vergebung der jeweiligen Schuld vorausgeht. Aber vor allen Dingen setzt er die Wiederherstellung der Gerechtigkeit durch Wiedergutmachung des jeweiligen Unrechts in weitest möglichem Ausmaß voraus.“ Die über dreihundert Teilnehmer des Treffens bekundeten mit Ihrem Beifall ihre Zustimmung auf dem europäischen Weg zum Recht zu gehen!
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