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»Nach Vernunft, Recht und
Billigkeit« Überall im Lande habe Rechtsverdrehung geherrscht, die Gerichte seien voller Schelme gewesen und die Ratsuchenden seien durch die lange Dauer der Prozesse zugrunde gerichtet worden, so Friedrich der Große 1781. Der König beschränkte sich jedoch nicht darauf, die Missstände beim Namen zu nennen, er sann auch auf Abhilfe – mit einer Justizreform. Es war die unendlich lange Dauer vieler Gerichtsverfahren, die sich teilweise über Jahrzehnte hinzogen, die Friedrich II. das dringende Bedürfnis verspüren ließ, eine Reform der Justiz in Gang zu setzen. Nach dem Ende des Zweiten Schlesischen Krieges erließ er eine Kabinettsorder an seinen Justizminister Samuel von Cocceji (1679–1755): „Da aus unzähligen mir bekannten Exempeln erhellet, dass nicht ohne Ursache über eine ganz verdorbene Justizadministration geklagt wird, ich aber bei nunmehr geschlossenem Frieden dazu nicht stille schweigen werde, so sollet Ihr nun an alle meine Justizkollegien eine nachdrückliche Circularordre ergehen lassen, worin dieselben von den bisherigen leider eingerissenen und oft himmelschreienden Missbräuchen durch Chikanen, Touren und Aufhaltung der Justiz nach der alten Leier, der wohl her gebrachten Observanz, abgemahnet werden.“ Der Schlendrian bei Gericht hatte seine Ursache nicht zuletzt darin, dass ein Amt bei Gericht für zahlreiche Adlige als respektabler Versorgungsposten galt. Zwar gab es Vorschriften, nach denen nur studierte Juristen in einem Hofgericht tätig sein sollten, aber auch in diesem Fall galt: Regeln sind dazu da, dass man Ausnahmen machen kann. Gegen eine ordentliche Einzahlung in die Rekrutenkasse gelangte ein Herr von Stand auch ohne Studium in ein höheres Amt der Justiz. Das war mit allgemeiner gesellschaftlicher Anerkennung – und wenig Belastung – verbunden. Für die Arbeit hatte man die unteren Chargen, die allerdings studiert haben mussten. So gab es denn bei etlichen Justizbehörden im Lande sehr viel mehr Chefs (die sich selbstverständlich um weitaus wichtigere Dinge als einen Prozess zu kümmern hatten) als Mitarbeiter. Mit der Beseitigung dieser Missstände beauftragte Friedrich II. am 12. Januar 1746 den von ihm berufenen Justizminister Samuel von Cocceji. Der König verlangte „eine kurze, solide Justiz nach Vernunft, Recht, Billigkeit und dem Besten des Landes und der Untertanen“. Bereits der Vater des Justizministers war ein anerkannter Jurist in Heidelberg gewesen. Der ursprüngliche Name der Familie lautete „Koch“, wurde aber, wie es damals in besseren Kreisen Mode war, verändert, in diesem Fall in „von Cocq“. Viel später dann, bei der Ernennung zum Freiherrn, wurde der Name ein weiteres Mal aufgewertet in „von Cocceji“. Unter diesem Namen ging der große Reformer des preußischen Justizwesens in die Geschichte ein. Samuel von Cocceji hatte eine Professur an der Viadrina in Frankfurt an der Oder, war 1723 zum Kammergerichtspräsidenten und 1738 zum Chef der preußischen Justiz berufen worden. Bereits Friedrich Wilhelm I. hatte ihn 1738 als Leiter einer Oberkommission mit einer Reform der Justiz im Lande beauftragt. Die Veränderungen, die von Cocceji vorschlug, gingen dem König jedoch entschieden zu weit, er entzog ihm bereits 1739 das Mandat wieder. Als wiederum ein Jahr später Friedrich II. seinem Vater auf den Thron folgte, wendete sich das Blatt für von Cocceji erneut. Mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, durfte er sich wieder an die Reform der Justiz machen, zuerst im gerade eroberten Schlesien, später in ganz Preußen. Samuel von Cocceji drängte auf eine verbesserte Ausbildung. Eine feste, einheitliche Besoldung der Richter sollte sie unabhängig machen und den Einfluss von Adel und Advokaten beschneiden. Von Cocceji beseitigte prozessuale Missstände, beginnend in Pommern, später in Brandenburg und Berlin. Eine einheitliche Gerichtsverfassung, in drei Instanzen aufgeteilt, geht auf ihn zurück. Der Justizminister räumte gründlich auf. Er beseitigte das Wirrwarr der Instanzen, bei dem die Gerichte teilweise in Konkurrenz arbeiteten und das mit verantwortlich für die lange Dauer vieler Verfahren war. Am Vorrang des Adels änderte sich allerdings wenig. Die höchsten Ämter blieben den Herren von Stand vorbehalten. Da es jedoch von denen nicht genügend Bewerber gab, konnten auch Bürgerliche berufen werden. Bei den Chefposten allerdings blieb es dabei: Standesprinzip vor Leistungsprinzip. Vielfach wurden Bewerber abgelehnt, von denen es hieß, sie besäßen zwar die erforderliche Qualifikation, allein ihre bürgerliche Herkunft mache sie für den Posten ungeeignet. Andererseits gelangten Adlige in höchste Ämter, die sich weder beim Studium noch später sonderlich qualifiziert hatten. 1748 wurde nach langem Streit das „Tribunal“ eingerichtet, ein oberstes Gericht, dem alle anderen Gerichte Preußens nachgeordnet waren. Damit wurde erstmals eine oberste Instanz geschaffen, deren Urteile für alle verbindlich waren. Starken Widerstand gegen das „Tribunal“ hatte es aus den Ständen gegeben, denn künftig sollte nicht mehr die ständische Ordnung Faktor der Rechtsprechung sein. Damit wurde ein neues Verständnis von Gerechtigkeit entwickelt. Recht musste gegenüber der Person gesprochen werden, gleich welchen Standes sie war. Was heute selbstverständlich ist oder zumindest sein sollte, galt seinerzeit als unerhörter Verstoß gegen die überlieferte Ordnung. Samuel von Cocceji war einer der großen Baumeister des preußischen Rechtsstaates. Obwohl er die gedanklichen Unterbauten des neuen Rechtswesens entscheidend entwickelte, würde von Cocceji im heutigen Sprachgebrauch eher als Macher bezeichnet. Er zog sich nicht in Klausur zurück, sondern handelte vor Ort. Selbst entschied er in über 4.000 Prozessen, er arbeitete in Stettin und Köslin, in Kleve und Schlesien, selbstverständlich auch in Brandenburg und Berlin. Einen Grenzstreit mit dem Fiskus, der seit zwei Jahrhunderten andauerte und dessen Akten 70 Bände füllten, entschied er abschließend. Friedrich II. würdigte all diese außerordentlichen Verdienste. Er erhob seinen Großkanzler 1749 in den preußischen Freiherrenstand. Fortan führte dieser den Namen Samuel von Cocceji. Diese Ehre überdauerte den Namensträger nicht lange. Der Name erlosch bereits mit dem jüngsten Sohn, der kinderlos blieb. Länger überdauerte das nach von Cocceji benannte Dorf Coccejendorf [Radosław] in Hinterpommern. Es existiert noch heute.
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