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Gauck und die „Wunder der Versöhnung“ Joachim Gauck sei Dank. Der deutsche Bundespräsident hat während seines Staatsbesuchs in Prag das Thema der Vertreibung berührt - wenn auch kurz und vorsichtig. Immerhin, dieses traurige historische Kapitel wurde nicht total ausgespart, da verhielt sich Gauck anders als viele Berliner Offizielle bei Visiten an der Moldau. Er bettete es ein in die bei solchen Anlässen übliche Erinnerung an die deutsche Besatzungszeit; er sprach vom „letzten Akt des Dramas" nach 1945, als „auch die Deutschen ihre Heimat verlassen mußten, durch Flucht, Vertreibung, Zwangsaussiedlung, ethnische Säuberung, Odsun - wie immer Sie es nennen mögen - Schuldige und Unschuldige zugleich". Man kann das als diplomatisch verpackten Hinweis auf den kollektiven Charakter dieses Vorgangs lesen. „Klare Worte zur Vertreibung", wie sie zum Beispiel SL-Sprecher Bernd Posselt zu erkennen glaubte, sind das freilich nicht. Vielmehr bewegte sich der Bundespräsident, wie der Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung" notierte, „auf der seit Jahren verfolgten Linie der deutschen Diplomatie, wonach die in Tschechien geführten Diskussionen zu dieser Frage durch deutsche Einwürfe besser nicht gestört werden sollten". Es erschließt sich auch nicht. warum der offizielle Teil des Staatsbesuchs ausgerechnet am 5. Mai begann. Ist in Berlin nicht bekannt, daß an diesem Tag vor neunundsechzig Jahren der sogenannte Prager Aufstand in eine Orgie von bestialischer Gewalt gegen Deutsche mündete, an der sich auch „Revolutionäre" beteiligten, die über Jahre mit den nationalsozialistischen Besatzern kollaborierten? Nur wenige Tage, bevor der Bundespräsident nach Prag aufbrach, war im böhmischen Hermannseifen ein Massengrab mutmaßlich ermordeter Sudetendeutscher entdeckt worden. Der Fund ging durch die Medien, während Gaucks Visite war er offenbar kein Thema. In den Fokus rückte das Staatsoberhaupt die „vielen, oft namenlos gebliebenen Tschechen, die 1945 ihren deutschen Mitbürgern Schutz geboten hätten. Und der frühere Rostocker evangelische Pfarrer pries mit pastoralem Pathos die Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien als vom Geiste der Verständigung und Versöhnung" und vom Willen bestimmt, „die Geschichte als eine gemeinsame fortzuschreiben". Ist das so? In der weihevollen akademischen Atmosphäre der Karlsuniversität hörte sich das gut an, doch der Hausherr im Berliner Schloß Bellevue ist damit der Zeit etwas vorausgeeilt. Es ist ja wahr: Ein „Wunder der Versöhnung" hat sich zwischen vielen, sagen wir: „einfachen" Menschen, Deutsche wie Tschechen, ereignet - die offizielle Prager Politik hingegen bleibt Gefangener ihres alten, teilweise chauvinistischen Denkens, sie klammert sich bis heute an die Benesch-Dekrete, die einen gerechten Ausgleich mit den ehemaligen deutschen Mitbürgern verhindern. Wer nach Möglichkeiten fragt, das Schicksal von Entrechtung und Vertreibung wenigstens mit symbolischen Akten zu mildern, bekommt selbst von einem so honorigen Mann wie dem tschechischen Kulturminister Daniel Herman - der ehemalige katholische Geistliche ist gerngesehener Gast der Sudetendeutschen Tage - die stereotype Antwort: „Haben Sie bitte Geduld mit uns." Gewiß ist Geduld eine, vor allem christliche, Tugend. Herman muß man auch zugute halten, daß er nur sagt, was Mainstream auf dem Hradschin ist. Wie auch immer: Ein Vierteljahrhundert nach der politischen Wende in Prag noch so zu tun, als sei über Nacht ein Problem aufgetaucht, dem man sich erst noch zuwenden müsse, ist allerdings keine vertrauensbildende Maßnahme. Dahinter verbirgt sich eher ein zynisches Kalkül: Warten wir noch ein paar Jahre ab, dann sind auch die Letzten der Erlebnisgeneration unter der Erde, dann hat sich das Thema wie von selbst erledigt. Ein betrübliches Faktum, dieses tschechische Bitten um Geduld. Noch problematischer ist allerdings die Neigung der Politik in Berlin und Wien, und sagen wir ruhig: auch von Repräsentanten der Landsmannschaft, offene rechtliche Fragen zu ignorieren oder sie als obsolet zu erklären. Das Recht auf Rückgabe beziehungsweise Ersatz oder Entschädigung des konfiszierten Eigentums zu wahren, steht nicht an erster Stelle in den Satzungen der Vertriebenenorganisationen. Man muß auch mit diesem Recht verantwortungsvoll umgehen, man darf die andere Seite nicht überfordern. Der große sudetendeutsche Christlich-Soziale Hans Schütz hat das in einem ähnlichen Zusammenhang vor einem halben Jahrhundert so formuliert: Es kann nicht mehr alles so werden wie es einmal war, aber es kann auch nicht alles so bleiben wie es heute ist. Daran sollte man sich orientieren, denn ein wie immer gearteter Verzicht auf die Eigentumsansprüche hieße die Enteignungsdekrete des Präsidenten Beneš hinzunehmen. Diese Gefahr ist real. Zur Erinnerung: Helmut Kohl hat als deutscher Bundeskanzler anläßlich der Unterzeichnung der ominösen Deutsch-tschechischen Erklärung am 21. Jänner 1997 in Prag mehrmals beteuert, daß dieses Dokument kein Vertrag sei und die Vermögensfrage „natürlich offen" bleibe. Schon eine Woche zuvor hatte er in einem Schreiben an den Fürsten von Liechtenstein festgehalten, daß die Deutsch-tschechische Deklaration die „Rechtsfragen im Zusammenhang mit Enteignungen in der damaligen Tschechoslowakei offenhält". Wie hat sich dieses Offensein bislang ausgewirkt? Eine operative Politik zugunsten des den Sudetendeutschen entzogenen Eigentums hat sich daraus nicht ergeben, sie war offensichtlich auch gar nicht intendiert. Weder unter Kohl noch unter Gerhard Schröder (SPD) und auch nicht unter Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin ist längst von Kohls „Offenhalten" abgerückt. Man werde weder heute noch in Zukunft im Zusammenhang mit der Vertreibung und entschädigungslosen Enteignung von Deutschen Vermögensfragen aufwerten, bekommen Beschwerdeführer stets aus der Berliner Regierungszentrale zu hören. Eine „Obhutspflicht" gegenüber den Vertriebenen? Fehlanzeige. Noch in den 1990er Jahren war davon viel in den Erklärungen der Landsmannschaften zu lesen, heute ist es auch in dieser Frage still geworden. Die Macht des Faktischen hinterläßt ihre Spuren. Eine vertrackte Situation. Es braucht mehr als schöner Reden der Polit-Größen bei den traditionellen Vertriebenentreffen, um aus ihr herauszufinden. Nämlich einen ernsthaften politischen Willen, die ungelösten Probleme anzupacken. Denn noch immer gilt die AbrahamLincoln-Formel: Nichts ist endgültig geregelt, es sei denn gerecht geregelt. Dieser Kommentar von Gernot Facius erschien in
der Sudetenpost Folge 6 vom 5. Juni 2014.
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als PDF-Datei 10.10.2012: Bundespräsident Gauck setzt in Tschechien Zeichen www.welt.de/politik/ausland/article109749417/Bundespraesident-Gauck-setzt-in-Tschechien...; |