| |
Ukraine und Sudetenkrise
Kommentar zum WELT-Artikel:
Was an Schäubles Putin-Hitler-Vergleich stimmt
Auf Schäubles Vergleich des russischen Handelns mit dem Handeln Hitlers
hin hat sich die Welt in einem Artikel geäußert, der wirklich nicht schlecht war,
weil er eine gewisse Gegenstimme im Mainstream darstellt und der pawlow'schen linksgrünen
Empörung entgegentritt. Drei Anmerkungen habe ich dazu aber noch.
Ständig verkrampft der Autor und müht sich ab, wenn er den Kunstbegriff "kulturelle
Deutsche" verwendet. Das waren Deutsche, punktum. Wenn man lediglich die rechtliche
Situation verwendet, wonach
Sudetendeutsche rechtliche Tschechoslowaken gewesen
sein sollen, beginnt man ein neues Fass aufzumachen, das im Ergebnis nicht für das
ethnische und historische Verständnis des Autors spricht. Kurden in der Türkei sind
auch keine Türken, sondern Kurden. Die Angst vor dem Vorwurf des Rassismus in Deutschland
führt mittlerweile dazu, dass man sich rein technischer, hier rechtlicher, Definitionen
bedient, die dann den Kern mit Schwung verfehlen.
Der andere Punkt: Der Autor hätte noch weiter ausholen müssen. Er tut so, als hätte
die Geschichte der Sudetenkrise mit den Nationalsozialisten begonnen (wie Russland
nun). Faktisch war das Ur-Problem die Zerschlagung des Österreichisch-Ungarischen
Reichs als Folge des I. Weltkriegs. Man schuf einen Kunststaat "Tschechoslowakei",
in der man Deutsch, Tschechisch, Ungarisch, Ukrainisch, Polnisch und natürlich Slowakisch
sprach. Was für ein himmelschreiendes Verbrechen an den überall in diesem Staat
existenten Minderheiten! Die Sprachgebiete waren meist relativ geschlossen: hier
ein tschechisches Dorf, dort ein deutsches Dorf, in den Städten sah es ein wenig
anders aus. Diese Spannungen hat das k.u.k.-Reich noch relativ gut kompensieren
können, jedenfalls besser. Das Habsburgerreich ist ohnehin beispiellos in der Vorreiterrolle
eines friedlichen, die Minderheiten berücksichtigenden Zusammenlebens gewesen. Spielt
aber alles keine Rolle, da man ja einen neuen Staat gründete. Dieses Verbrechen
an den verschiedenen ethnischen und sprachlichen Gruppen führte also zu Spannungen,
weil die Minderheiten, die ursprünglich die gleichen Recht erhalten sollten wie
die Tschechen, stark beschnitten wurden und die Tschechen als Hausherren nicht direkt
klug agierten und den Auftrag der Gleichstellung eben nicht umsetzten. Mal abgesehen
davon, was Hitler sonst noch vorhatte, war der Anschluss des Sudetenlands aus ethnischer
Warte jedenfalls nicht falsch. Zumal er auch dem
von Wilson postulierten Selbstbestimmungsrecht
der Völker entsprach, das die Sieger von 1918 den Deutschen in Böhmen und Mären
sowie in Österreich insgesamt in den
Verträgen von Saint-Germain und Versailles
verwehrt hatten.
Und nun zu Russland: Die SU hatte - m.E. ebenso völkerrechtswidrig
und unter Mißachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker - nämlich aus guter
sowjetischer Freundschaft und natürlich, um die Ukraine russischer zu machen und
besser zu kontrollieren, die Krim an die Ukraine verschenkt. Das wäre so, als wenn
Frankreich die Normandie an England verschenkt, um endlich auch eine gemeinsame
Festlandgrenze zu haben oder warum auch immer. Wenn jetzt Russland sich die Krim,
auf der fast ausschließlich ethnische Russen und Tataren sesshaft sind, die (immer
schon) russische Krim wiedereingliedert, ist der vorangegangene Völkerrechtsbruch
durch einen neuen Völkerrechtsbruch geheilt. Ob Herr Schäuble uns das damit sagen
wollte?
Und die entscheidende dritte Frage ist: cui bono? Auch wenn der Vergleich mit den
Vorgängen um das Sudetenland herangezogen werden kann, was Aufgabe der Historiker
wäre, so nützt es - das sollten Politiker wissen - herzlich wenig, wenn ein solcher
Vergleich von solcher Stelle geäußert wird. Er schadet sogar immens. Die USA reiben
sich die Hände, dass es einen neuen Konfliktherd gibt, sie sind die eigentlichen
Antreiber und Gewinner der jetzigen Konfliktsituation. Mittlerweile ist das transatlantische
Säbelrasseln leiser geworden, denn man kann sich dort gemütlich zurücklehnen, denn
es läuft ausgezeichnet. Die gesamte osteuropäische Region, vom Schwarzen Meer bis
hoch nach Finnland (das sich klugerweise zurückhaltend verhält) destabilisiert sich
weiter, und zwar von selbst. Die baltischen Staaten und Polen bellen, rufen nach
dem Bündnisfalls, in der Ukraine selbst hetzt Frau Timoschenko und ruft zu den Waffen
gegen Russland. Der Westen will sich nach Westen wenden, der Osten weiter nach Osten.
Die Fliehkräfte spielen verrückt. Weder Europa noch Russland profitieren davon.
Auch dieser Klops von Herrn Schäuble spricht - neben vielen anderen Indizien und
Lügen - dafür, dass Herr Schäuble tatsächlich mit der Bodenhaftung auch seinen gesunden
Geisteszustand verloren hat. Aber wer will es ihm übelnehmen, nach so langen Jahren
als Politiker?
Witikobund weist Sudetenlandvergleich Schäubles mit
Krim zurück
Schäuble am 31.3.2014 in Berlin:
„… mit solchen Methoden hat Hitler das Sudetenland übernommen!“
Der Witikobund e.V. widerspricht Finanzminister Schäuble,
wenn er die Vorgänge auf der Krim mit dem Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche
Reich 1938 vergleicht, denn dieser Vergleich beruht auf einer verkürzten Geschichtsbetrachtung.
Die Sudetenfrage entstand nicht erst 1938, sondern schon im November/Dezember 1918,
als tschechische Truppen die deutsch besiedelten Randgebiete Böhmens und Mährens
gewaltsam besetzten. Da die ČSR später auch den 1919 vereinbarten Minderheitenschutz
missachtete, schritten die europäischen Großmächte 1938 zur Überprüfung der „unanwendbar
gewordenen Verträge und solcher internationaler Verhältnisse, deren Aufrechterhaltung
den Weltfrieden gefährden
(Versailler Vertrag, Art. 19). So kam es zum
Münchner
Abkommen. Die Sudetendeutschen atmeten auf, da sie bis dahin
„auf der Stufe einer
ausgebeuteten Kolonie“
leben mussten (Volkszeitung, Prag, 10.5.1968, S.1). Das US-Magazin „Time“ kürte
Adolf Hitler zum „Mann des Jahres 1938“ (Time 2.1.1939, S. 1).
Im Übrigen sieht der Witikobund in dem Fehlgriff Schäubles
ein Zeichen für den Verfall solider Geschichtskenntnisse. Man starrt unentwegt auf
die bewussten zwölf Jahre und vergisst, dass es Annexionen schon bei
Julius Caesar, Napoleon und unzähligen anderen gab.
Felix Vogt Gruber, Bundesvorsitzender Witikobund
|