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Missstimmung über die Vertriebenenstiftung |
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Philosoph Rüdiger Safranski zur Zukunft
der Erinnerungskultur |
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Im
Streit um die Vertriebenen-Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" hält es
der Philosoph Rüdiger Safranski für möglich, auf osteuropäische Mitglieder in
den Gremien zu verzichten. Die Deutschen sollten sich von der Vorstellung
verabschieden, "dass wir immer alle in einem Boot sitzen müssen".
Beatrix Novy:
Vorgestern musste der Stiftungsrat des Dokumentationszentrums zu Flucht,
Vertreibung und Versöhnung wieder einmal "krisensitzen", die Stiftung kommt
nicht ins Gleis. Im Februar erst wurde der lange Streit um die
Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach beigelegt, durch ihren Verzicht auf
einen Platz im Stiftungsrat. Dann aber stiegen drei Mitglieder des
wissenschaftlichen Beirats aus, drei Historiker aus Polen, Tschechien und
Deutschland.
Historiker und Politiker auf allen Seiten kämpfen um die Ausbalancierung aller
Interessen in diesem schwierigen Projekt. Was aber sagt der Philosoph dazu?
Rüdiger Safranski ist selbst, wie Erika Steinbach, ein Kind von Vertriebenen,
kurz nach dem Krieg geboren. An ihn ging die Frage, wieso Deutschland eine
ständige Ausstellung über die Vertreibung brauchen würde.
Rüdiger Safranski: Ich hatte es immer auch
für richtig empfunden, dass die ganze Geschichte der Vertreibung jetzt hier in
Deutschland auch besonders erinnert wird, nicht aus Gründen, um eine
Schuldaufrechnung zustande zu bringen, nein, das ist wirklich nicht der Grund.
Und man muss ja auch sagen, es war auch das Verdienst gerade von Erika
Steinbach, dass sie in dem Vertriebenenverband tatsächlich auch Mehrheiten
schließlich dafür gewonnen hat, eine offenere Auseinandersetzung über das
Problem zu führen.
Also um es konkret zu sagen, wirklich deutlich zu machen, dass die Geschichte
der Vertreibung natürlich 1933 beginnt, und das, was 1945 geschehen ist,
natürlich mit eine Folge ist. Also wenn dieser Rahmen hergestellt war, dann
hatte ich mir ja nun auch versprochen, dass es also möglich sein müsste, über
dieses Thema ja das sozusagen hineinzuholen in die Gedenkkultur.
Novy: Tatsächlich ist ja Erika Steinbach
auch seinerzeit von Leuten wie Peter Glotz unterstützt, sogar von Ralph Giordano
unterstützt worden, dennoch müsste es doch möglich sein, sich in die Polen
hineinzuversetzen, wenn sie mit ihrer Aversion gegen Erika Steinbach nicht
aufhören, denn es gibt nun mal auch andere Dinge als die Ratio. Offenbar spielen
da die Emotionen - das sagt auch der polnische Kulturminister in der "Zeit"
diese Woche - eine größere Rolle.
Safranski: Na ja, also man kann sich in
jedem Boulevard hineindenken, und ich kann mich auch in den Boulevard Polens
hineindenken, in die Boulevardzeitung, und die zum Teil aufgehetzten
nationalistischen Milieus, die wir überall haben. Also das ist, finde ich, nicht
so sehr das Problem.
Ich kann aber verstehen, dass in Polen das jetzt nicht unbedingt eine
Herzensangelegenheit ist, dann nun an einer Gedenkstätte für deutsche Opfer
teilzunehmen. Das kann ich auch vollkommen verstehen. Ich will Ihnen aber nur
eine…
Novy: Aber ohne sie geht es ja nicht.
Safranski: Bitte?
Novy: Ohne sie würde es ja nicht gehen.
Safranski: Doch, es würde gehen. Und das
ist jetzt der Punkt, den ich noch mal zur Sprache bringen möchte. Wir sollten
uns an diesem Punkt auch verabschieden von dieser Vorstellung, dass wir immer
alle in einem Boot sitzen müssen.
Jede Nation hat auch die Aufgabe, ihre eigene Gedenkkultur zu entwickeln, und
das muss nicht immer durch den Gesamtfilter von allen anderen Ländern
hindurchlaufen. Und ohne damit Ärger zu erregen: Ich finde, eine gelassene
selbstverständliche Gedenkkultur an diesem Punkt wäre sehr hilfreich. Darf ich
Ihnen noch eine Sache sagen, das ist nämlich, das Argument fehlt eigentlich
noch, das habe ich noch nicht gesagt, warum ich das für wichtig halte: Dass wir
an diese Dinge erinnern, an diese Vertreibung, und zwar aus einem Grund, der
gewissermaßen innernational ist, also innerhalb unseres Gemeinwesens wichtig
ist.
Und das ist der Punkt: Es ist eben so, im Namen Deutschlands und mit der
Verantwortung Deutschlands insgesamt sind die unmäßigen Verbrechen und sind die
Kriege betrieben worden. Das war das gesamte Deutschland, das ganze Volk ist
sozusagen dafür rekrutiert worden.
So, und was dann geschehen ist nach 1945, diese Vertreibung, ist dann auch
etwas, was sich aus der inneren Perspektive in Deutschland dann auch so
darstellt, dass manche mehr Folgelasten zu tragen hatten für die ganzen
grauenhaften Geschichten, die im Namen des deutschen Volkes begangen worden
sind. Manche hatten mehr Lasten zu tragen, zum Beispiel die eben vertrieben
worden sind, zum Beispiel die, die auch Opfer der Bombardierung wurden und so
weiter.
Und man hat in Deutschland immer, in Westdeutschland dann zuerst mal, immer
darum gerungen - das nannte man früher Lastenausgleich, das war zuerst
ökonomisch nur gedacht -, aber wir müssen auch zu einem moralischen Ausgleich,
zu einem psychologischen Ausgleich an diesem Bereich kommen.
Novy: Rüdiger Safranski war das zu dem
Thema, das uns noch lange beschäftigen wird: zum geplanten Dokumentationszentrum
Flucht, Vertreibung, Versöhnung.
Sie können das vollständige Gespräch als MP3-Audio nachhören.
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