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Political Correctness
KLAPPE ZU!
eine Kolumne von Thomas Wolf
„Wer in Deutschland nicht sozialdemokratisch ist,
landet entweder im Irrenhaus oder im Ausland“, so der Philosoph Peter Sloterdijk.
Eine Analyse der Dos and Don´ts dieser Republik.
Es gibt in Deutschland Tabus. Wer
gegen den Euro
ist und dies öffentlich kundtut, hat in aller Regel einen schweren Stand. Gutmenschen
jeglicher Couleur denunzieren Menschen mit eurokritischen Meinungen in Talkshows
als europafeindlich und als Revanchisten. Auch wer den menschengemachten Klimawandel
in Frage stellt, findet kaum Fürsprecher. „Solche Menschen haben kein Verantwortungsgefühl
für die Zukunft unserer Kinder“, heißt das Totschlagargument. Und wer gar die Schuld
an Armut und sozialen Problemen bei den Betroffenen selbst sucht, ist hartherzig
und bar jeder Solidarität. Nur das Christentum darf man ablehnen. Weil der Papst
die Pille verbietet und Priester im Zölibat leben. Am Islam ist dagegen jede Kritik
verboten. Das wäre fremdenfeindlich.
Schweigen statt Zensur. Obwohl unsere Verfassung jedem Bürger garantiert, seine
Meinung in Wort, Schrift und Bild frei äußern zu dürfen, beherrschen Sprech- und
Denkverbote die bundesdeutschen Debatten. Das funktioniert ohne sichtbaren staatlichen
Zwang, schließlich heißt es im Artikel 5, Absatz III des Grundgesetzes ja auch ausdrücklich:
„Eine Zensur findet nicht statt.“ Doch warum lassen sich die Menschen eigentlich
all diese gedankliche Bevormundung gefallen?
Und welche Antworten auf die brennenden Probleme
werden durch solche Gängelei des Sprechens – und damit des Denkens – unterdrückt?
Eine anschauliche Erklärung für das Funktionieren eines Systems aus Tabus und Redeverboten
lieferte bereits in den 70er-Jahren die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann in ihrer
Theorie der Schweigespirale. Danach treibt den Menschen die Angst vor der sozialen
Isolation um – keiner will in einer Gruppe oder der Gesellschaft außen stehen. Das
hat seine guten Gründe: Schließlich sind wir als soziale Wesen auf die Gemeinschaft
angewiesen, und wir leben auch gern in ihr. Um nur ja nicht ausgegrenzt zu werden,
beobachtet der Einzelne ständig seine Umgebung auf der Suche nach der gerade vorherrschenden
Meinung – und passt sich ihr dann an. Der Apple-Analyst prognostiziert für die Aktie
auch nach 30 Prozent Kursverlust noch neue Höchststände, weil 90 Prozent seiner
Kollegen das auch tun. Dschungelcamp-Fans outen sich heute öffentlich, weil das
einstige Schmuddel-TV in den Feuilleton-Seiten von „Süddeutsche“ und FAZ Einzug
gehalten hat. Und das angeblich meistverkaufte Accessoire für Porsche Panamera und
Cayenne ist der „Hybrid“-Aufkleber. Am Auspuff allein ist nämlich die Umweltfreundlichkeit
nicht zu erkennen.
Was als die gerade vorherrschende Meinung wahrgenommen wird, bestimmen die jeweilige
Umgebung – etwa Familie, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen – und die Medien. Und
ob eine abweichende Meinung richtig oder falsch ist, ist gar nicht entscheidend
– weit wichtiger ist, ob sie als moralisch gut oder schlecht dasteht.
Aber wo sind die Alternativen zur herrschenden Meinung und die neuen Denkansätze?
Fehlanzeige! Wenn abweichende Meinungen nicht mehr geäußert werden, weil ihre Vertreter
sofort als unmoralisch gegeißelt werden, versiegt bald jede Diskussion. Unter dem
Einfluss von Political Correctness und Tabus entstand in der Bundesrepublik ein
alternativloses politisches und intellektuelles Klima, das der Philosoph Peter Sloterdijk
folgendermaßen beschreibt: „Ob einer sich zur Sozialdemokratie bekennt oder nicht,
spielt schon längst keine Rolle mehr, weil es Nicht-Sozialdemokraten bei uns gar
nicht geben kann, die Gesellschaft ist per se strukturell sozialdemokratisch, und
wer es nicht ist, der ist entweder im Irrenhaus oder im Ausland. Es gibt keine ernsthafte
Alternative dazu.“ Und tatsächlich redet heute alle Welt von Gerechtigkeit, wo doch
nur Gleichheit gemeint ist; wird dem Kollektiv alles und dem Einzelnen immer weniger
zugetraut und die Lösung der Probleme fast nur noch vom Staat erwartet.
Lösung statt Blockade. Welche Lösungsansätze mit diesem Diktat des Korrekten und
der Angst vor Ausgrenzung torpediert werden, zeigt ein Blick auf obige Beispiele.
Bereits 1954 entdeckte der „Spiegel“ die Klimaerwärmung. „Nach einer Island-Reise
berichtete Dr. Rodewald, dass durch die klimatischen Änderungen Flächen frei geworden
sind, die 600 Jahre lang unter Gletscher-Eis begraben lagen ...“, heißt es im sozialkritischen
Nachrichtenmagazin. Die Ursache war schnell gefunden: Atombombenversuche! In den
nächsten 20 Jahren blieb allerdings die globale Durchschnittstemperatur konstant.
Der „Spiegel“ musste umdenken und suchte ein neues Schreckensszenario.
1974 fragte er: „Kommt eine neue Eiszeit?“ Diesmal hatten Forscher Änderungen im
Magnetfeld der Erde als Ursache ausgemacht. Die Folge sollte eine rapide Abkühlung
der Erdatmosphäre sein. Erneut erwies sich die Prognose als Fehlalarm: Bis 1998
stieg die globale Durchschnittstemperatur sogar an und zwar von 14,0 auf 14,6 Grad.
Neuer Versuch: Weltklimagipfel 2000. Der „Spiegel“ berichtet: „Die Zeit drängt:
Darin waren sich die Eröffnungsredner in Den Haag einig. Die Streitfrage sei längst
nicht mehr ob, sondern wie stark und wo sich das Klima verändere.“ Nach den Atomversuchen
und den Änderungen im Magnetfeld der Erde hatten Forscher und Journalisten jetzt
die Treibhausgase als Klimaveränderer entdeckt. Doch die Erwärmung verlief abermals
nicht wie erwartet: Lag die globale Durchschnittstemperatur 1998 noch bei 14,6 Grad,
waren es im vergangenen Jahr nur 14,5 Grad.
Als vor Kurzem Wissenschaftler des britischen Met Office, einer Institution, die
eng mit dem Weltklimarat IPCC kooperiert, eine Pause beim globalen Temperaturanstieg
bis mindestens zum Jahr 2017 ausriefen, reagierte die Expertenzunft mit hektischen
Erklärungsversuchen. Die Wärme soll wahlweise in die Ozeane oder die Stratosphäre
verschwunden sein. Auch schwefelhaltige Abgase in den Schwellenländern Asiens werden
als Bremser der Erwärmung ausgemacht. Eines allerdings muss unter allen Umständen
gehalten werden: die These vom menschengemachten CO2-Ausstoß als Ursache des Klimawandels.
Wer nach den Erfahrungen mit früheren „Gewissheiten“ Zweifel anmeldet, gilt als
Skeptiker – und denen müsse man laut Petra Döll, Leitautorin des Weltklimarats,
nicht einmal mehr zuhören.
Doch das Festhalten an politisch-korrekten Tabus blockiert eine ergebnisoffene Diskussion.
Und die brächte vielleicht neue Erkenntnisse und am Ende Lösungen. Welche Rolle
spielt beispielsweise die Sonne? Wirken sich andere Treibhausgase wie Methan vielleicht
weit stärker in der Atmosphäre aus als bisher bekannt? Und haben wir vielleicht
doch mehr Zeit als angenommen, um nichts übers Knie zu brechen und eine Energiewende
zu organisieren, die Hand und Fuß hat?
Neue Argumente. Beim Thema soziale Probleme gibt es sogar ein Beispiel aus der praktischen
Politik, das zeigt, dass der Bruch von hergebrachten Tabus neue Ansätze liefern
kann, die funktionieren. Dass die Ursachen für soziale Probleme oft bei den Betroffenen
selbst liegen, ist zwar offensichtlich. Es beim Namen zu nennen gehörte dennoch
zu den größten Tabus der sozialdemokratisierten Tradition. Politik und Sozialverbände
hatten sich zwar auf die Formel „Fördern und Fordern“ verständigt, in der Praxis
fand lange Zeit aber nur der erste Teil Beachtung. Erst Bundeskanzler Gerhard Schröder
nahm mit der Agenda 2010 auch den zweiten Teil ernst und die Leistungsempfänger
in die Pflicht. Zwar musste Schröder bei der nächsten Bundestagswahl den Hut nehmen,
als richtig fürs Land erwies sich seine Entscheidung dennoch: Die Arbeitslosenrate
sank deutlich, und Deutschland profitiert bis heute vom Tabubruch des Kanzlers.
Keiner verlässt das – sinkende – Schiff, alle Mitgliedsländer bleiben im Boot, lautet
eines der Dogmen beim Euro. Aber könnte nicht auch hier ein anderer Ansatz weiterführen?
Rettungspolitik nach dem Motto „Augen zu und zahlen“ erscheint jedenfalls keine
dauerhafte Lösung, immer wieder tun sich Milliardenlöcher auf wie aktuell in Zypern.
Was also, wenn beispielsweise Griechenland die Euro-Zone verlassen würde? Hätte
das Land dann vielleicht bessere Chancen, sich zu erholen? EU und IWF müssten keine
weiteren Hilfsgelder in ein Fass ohne Boden investieren, sondern könnten den Griechen
mit einer neuen Währung und gezielter Förderung helfen, wieder wettbewerbsfähig
zu werden. In einer Sonderwirtschaftszone könnte Hellas – unterstützt von der EU
– mit niedrigen Steuern ausländische Investoren anlocken und für kräftiges Wachstum
sorgen. Auch könnte Griechenland die riesigen Öl- und Gasvorkommen in der Ägäis
heben, die Geologen mit hoher Wahrscheinlichkeit dort vermuten. Bis zu 465 Milliarden
Euro könnte das über die nächsten 25 Jahre bringen – mehr als genug, um selbst den
griechischen Haushalt zu sanieren, Schulden zu begleichen und von Hilfen der Euro-Mitgliedsländer
unabhängig zu werden. Ob das die letztendliche Lösung ist, weiß zwar keiner, doch
bleibt die Frage: Warum hat in der öffentlichen Diskussion davon bisher kaum jemand
etwas gehört?
Korrekter Diskurs. Denkschablonen statt ergebnisoffener Debatten – das hat viel
mit den Medien zu tun. Schließlich fallen die Vorstellungen davon, was gut und richtig
ist, nicht einfach vom Himmel. Der Medientheoretiker Norbert Bolz spricht Klartext:
Seit Jahrzehnten dominierten die Linksintellektuellen den Diskurs, sie hätten „das
ausgeprägt, was wir Political Correctness nennen“. Daher gebe es nicht nur in der
Welt der Kultur, sondern vor allem in den Massenmedien – auch im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk – einen „massiven, linksgeprägten Diskurs“.
In einer Welt, in der die Menschen durchschnittlich mehr als sieben Stunden pro
Tag mit Medienkonsum verbringen, kann das nicht ohne Folgen bleiben. Zumal sich
viele Medienmacher nicht mit der Rolle des bloßen Berichterstatters zufrieden geben
wollen. „Massenmedien sind nicht nur ein Forum der politischen Auseinandersetzung
oder ein Mittler zwischen den Fronten; die Medienorganisationen sind selbst Akteure,
die auf der Basis ihrer zentralen Funktion in der politischen Kommunikation mit
anderen Akteuren – Parteien, Verbänden, staatlichen Instanzen – um politischen Einfluss
ringen“, heißt es beispielsweise auf der Website der
Bundeszentrale für politische
Bildung.
Journalisten selbst sehen sich gern in einer Wächterrolle, die sie unabhängig, objektiv
und nur der Wahrheit verpflichtet ausfüllen. Bei näherem Hinsehen bekommt das hehre
Bild freilich Kratzer. So förderte eine repräsentative Befragung von Journalisten
nach ihren politischen Vorlieben Eindeutiges zu Tage: Rund 35 Prozent der Medienmacher
sympathisieren mit den Grünen, 25 Prozent favorisieren die SPD. Der Union sahen
sich dagegen gerade mal 7,6 Prozent verbunden. Nun haben sicher auch Journalisten
das Recht auf eine eigene Meinung. Aber es wäre naiv zu glauben, dass sich ihre
Vorlieben und Abneigungen nicht in der täglichen Arbeit spiegeln und auswirken würden.
Laut dem Medienwissenschaftler Hans Martin Kepplinger billigen denn auch fast die
Hälfte aller Journalisten das „bewusste Hochspielen von Informationen, die ihre
eigene Sichtweise stützen“. Beispiel Fukushima: Nach der Katastrophe fehlte es nicht
an Darstellungen der Gefährlichkeit von Reaktorunfällen, in Sondersendungen warnten
mehr oder weniger seriöse Experten vor den Folgen radioaktiver Strahlung. Dass Erdbeben
und Tsunamis, die in Japan erst das Atomdesaster ausgelöst hatten, hierzulande eher
selten vorkommen, wurde dagegen nicht erwähnt. Kepplinger: „Dadurch erschien Fukushima
nicht als Folge regionaler Besonderheiten, sondern als Beleg für das generelle Risiko
der Kernenergie.“ Was nicht in ihr Weltbild passe, werde von Journalisten dagegen
gern heruntergespielt. So sei etwa die Schadstoffbelastung von Bio-Eiern schnell
aus den Medien verschwunden, und auch die Gefahr durch Solaranlagen bei Bränden
werde kaum thematisiert.
Gut und gut gemeint. Wo die gute Absicht wichtiger ist als die ergebnisorientierte
Lösung, treibt die Sprachregulierung seltsame, zuweilen auch bizarre Blüten. Da
darf Pippi Langstrumpf ihren Vater nicht mehr „Negerkönig“ nennen, wie sie das jahrzehntelang
getan hat, sondern muss vom „Südseekönig“ sprechen. Zu groß war für den Verlag offensichtlich
die Angst vor Rassismusvorwürfen; da musste der Kinderbuch-Klassiker eilig an die
Sprachentwicklung angepasst werden. Ähnlichen „Säuberungsaktionen“ fielen schon
die „Zehn kleinen Negerlein“ von Agatha Christie zum Opfer, die hierzulande nur
noch unter dem Titel „Und dann gab´s keines mehr“ erscheinen dürfen. Auch der Comic
„Tim und Struppi im Kongo“ geriet wegen angeblich kolonialistischer Tendenzen unter
Rassismusverdacht, ebenso der „Struwwelpeter“, weil dort vom „Mohrenkind“ die Rede
ist.
Zuweilen stößt die Sprachbereinigung sogar bei den Betroffenen selbst auf Unverständnis.
Weil längst nicht alle „Zigeuner“ zu den Stämmen der Sinti und Roma gehören, legen
beispielsweise in Rumänien viele Angehörige dieser Volksgruppe großen Wert darauf,
Zigeuner zu sein. Und die allgegenwärtige Korrektheit macht selbst vor der Heiligen
Schrift nicht halt. Ein Kreis aus Theologen und Sprachwissenschaftlern präsentierte
vor einiger Zeit nach mehrjähriger Arbeit die „Bibel in gerechter Sprache“. In dieser
Neuübersetzung der Texte aus dem Hebräischen und Griechischen gelten korrekte Sprachregelungen
offenbar mehr als Theologie. Da kommt die Frohe Botschaft abwechselnd von „Gott“
oder „Göttin“, mal ist von dem, mal von der Höchsten die Rede. Dass Jesus nicht
mehr der „Sohn“, sondern das „Kind“ Gottes ist, gehört da noch zu den harmloseren
Verhunzungen.
Ausbruch aus Schablonen. „Neusprech und Gutdenk“ überschrieb die „Zeit“ vor einiger
Weile eine Betrachtung über die Political Correctness und zitierte damit George
Orwell. In dessen Utopie „1984“ entwickelt der Staat eine Kunstsprache, den Neusprech,
„um die Vielfalt der Gedanken zu verringern“. Gutdenk ist richtiges Denken, das
diejenigen bestimmen, bei denen die Deutungshoheit liegt. Eine Gesellschaft ohne
Tabus lasse sich nicht denken, meint die Wochenzeitung aus Hamburg, auch der moderne,
aufgeklärte Mensch sei nicht frei von Sprach- und Denktabus. Die seien im Übrigen
nichts Neues, so sei beispielsweise im Wilhelminischen Kaiserreich die Majestätsbeleidigung
nicht nur unkorrekt, sondern sogar strafbar gewesen. Doch selbst die des konservativen
Gedankenguts unverdächtige „Zeit“ räumt ein: „Was nicht benannt werden kann, kann
auch nicht behoben werden.“
Etwas beheben wollten auch die Mütter und Väter der Political Correctness: Ursprünglich
machten sie Front gegen Engstirnigkeit und festgefahrene Schablonen. In den Emanzipations-
und Befreiungsbewegungen der 60er- und 70er-Jahre zog man gegen eine Spießbürgerwelt
zu Felde, die man als zutiefst miefig empfand. An den Universitäten demonstrierten
die Studenten gegen den „Muff von 1000 Jahren“, den sie unter den Talaren der Magnifizenzen
und Spektabilitäten ausgemacht hatten. Mit langen Haaren und bunten Outfits rebellierten
Jugendliche gegen die strenge Kleiderordnung und die „brave“ Bürgerlichkeit der
Adenauer-Ära. Beat und Rockmusik fegten wie ein frischer Wind durch die heile und
öde Schlagerwelt. Frauen wollten sich nicht mehr ausschließlich auf „Küche, Kirche,
Kinder“ reduzieren lassen und Männer sich nicht mehr nur über Leistung und Beruf
definieren. Kurz: Es ging um die Befreiung von gesellschaftlichen Repressionen und
Unterdrückung, Intoleranz und Tabus. Und das nicht nur in Deutschland, sondern möglichst
überall auf der Welt.
Von den guten Absichten ist heute wenig geblieben. Die ehemaligen Vorkämpfer gegen
bürgerliche Zwänge widersprechen sogar ihren eigenen Dogmen. Mit dem „herrschaftsfreien
Dialog“ des Sozialphilosophen Jürgen Habermas, eines Säulenheiligen der Linken,
lassen sich sprachliche Tabus und Denkverbote jedenfalls schwer vereinbaren. Schließlich
darf in diesem Dialog – der lange als Allheilmittel gegen jedwedes gesellschaftliche
Übel galt – kein äußerer Zwang das Gespräch behindern.
Anspruch und Realität. Gemessen am früheren Anspruch, wirkt das Meinungsklima in
der heutigen Bundesrepublik fade, inhaltsleer und steril. Was nicht den genormten
Mustern und Schablonen entspricht, darf auch nicht gesagt werden – selbst wenn sich
die Debatten dadurch in einer Endlosschleife bewegen. Statt Lösungen suchen die
Beteiligten nurmehr den Austausch korrekter, aber inhaltsleerer Floskeln. Das Publikum
erreichen sie mit diesen öden Darbietungen längst nicht mehr.
Man stelle sich nur vor, in einer Talkshow zum Thema Kitas würde ein Grüner nicht
nur über die Selbstverwirklichung der Eltern reden, sondern auch das Bedürfnis der
Kinder, in einem behüteten Zuhause aufzuwachsen, thematisieren. Ein Genosse würde
nicht nur die Steuerhinterziehung anprangern, sondern auch über die horrenden Sätze
bei der Erbschaftsteuer sprechen, die Familienunternehmen beim Eigentümerwechsel
zu schaffen machen. Oder – statt gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass starke Schultern
mehr zu tragen hätten als schwache – über die Wachstumseffekte eines einheitlichen,
niedrigen Steuersatzes reflektieren.
Stattdessen legen sich politisch korrekte Phrasen wie Mehltau übers Land. Medienwissenschaftler
Norbert Bolz zieht ein ernüchterndes Fazit: „Der Jammer der deutschen Situation
ist der, dass ausgerechnet die Linken zu den großen Tabumächten geworden sind. Also
die, die früher Aufklärung betrieben haben, die früher gekämpft haben für freie
Meinung – überhaupt für Freiheit: Das sind die großen Tabumächte unserer Zeit.“
Wo es einst um die Utopie von einer Welt ohne Repressionen ging, herrscht heute
eine Atmosphäre der Unterstellung und Verdächtigung, der Anpasserei und des Duckmäusertums,
gegen die der angebliche Mief der 50er-Jahre wie Frischluft anmutet. Peter Sloterdijk
bilanziert: „Wir haben uns – unter dem Deckmantel der Redefreiheit und der unbehinderten
Meinungsäußerung – in einem System der Unterwürfigkeit, (. . .) der organisierten
sprachlichen und gedanklichen Feigheit eingerichtet, das praktisch das ganze soziale
Feld von oben bis unten paralysiert.“ Kein Wunder, dass der Mann als politisch unkorrekt
gilt.
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10.02.2013:
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