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Gedanken
zur Zeit: Deutschland verdankt Polen, was es heute ist. Die deutsche Wiedervereinigung hat in Polen begonnen“. Diese Worte sprach der deutsche Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zwei Tage vor dem diesjährigen Tag der deutschen Einheit in einem Festvortrag aus Anlaß der Verleihung der Ehrendoktorwürde, die er von der Universität in Allenstein im südlichen Ostpreußen erhielt. Wolfgang Schäuble sprach diese Worte hoch offiziell in der heutigen Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren und fügte hinzu: „Wir Deutschen werden den Polen für den Weg zu unserer Einheit dankbar bleiben.“ Am 22. Oktober 2006, also fast zeitgleich mit Schäubles Dank an Polen, dankte der selbsternannte Geschichtslehrer der Nation, Guido Knopp, in seinem Magazin im ZDF – bezeichnenderweise „History“ genannt – den Ungarn für ihren Aufstand im Jahr 1956 als Wegweisung zur deutschen Wiedervereinigung. Dank also aus Deutschland an alle rundum, die unter ihren speziellen nationalen Bedingungen ihre Freiheit vom Kommunismus erstrebten. Haben sie alle den Deutschen zeigen müssen, wo es lang geht zum freiheitlich demokratischen Rechtsstaat? Aus dem Mund des deutschen Verfassungsministers ist die schwer wiegende Aussage, „Deutschland verdanke Polen, was es heute ist“ wert, hinterfragt zu werden. Meint doch Schäuble wörtlich, daß „die politische Wende in Europa und das Ende des Kalten Krieges von hier (also von Polen) ausgingen“ und fügt als Beweis seiner These den polnischen Papst ebenso an, wie die „mutigen Menschen, die auf die Straße gingen“, sich zu Gewerkschaften zusammenschlossen und nicht zu vergessen, die katholische Kirche, die ihnen zu allem die Kraft gegeben habe. Für sich genommen beschreibt Schäuble zweifellos Tatsachen, wenn er damit den mühsamen Weg der Polen meint, der vom blutig niedergeschlagenen Posener Aufstand von 1956 über die Streiks in den Küstenstädten im Jahr 1970, 1976 und 1980 zur Bildung freier Gewerkschaften und schließlich 1989 zu freien Wahlen und zur Wiedereinführung der Staatsbezeichnung „Republik Polen“ führte, gewiß ein stolzer Weg für die polnische Nation, genau so, wie es der Weg der Ungarn war. Und Deutschland? Benötigten die Deutschen zwischen Rügen und dem Thüringer Wald 1989 Beispiele, die sie zum Handeln motivierten? Schon 1987 hat Günter Zehm in der „Welt“ dem deutschen 17. Juni 1953 international den Rang zugeschrieben, den der französische 14. Juli 1789 historisch erhalten hat, nämlich den, ein tiefer Einschnitt in der Geschichte Europas zu sein. Dieser 17. Juni 1953 sei der erste nachstalinistische Volksaufstand gegen das kommunistische Zwangsregime gewesen. Die Freiheitsrevolutionen in Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen stünden in seiner Folge und wörtlich: „Es ist nicht übertrieben, wenn man feststellt, daß letzten Endes auch Glasnost und Perestroika Kinder des 17. Junis sind“, denn sie entsprängen der Erkenntnis, daß „die da unten“ sich nicht beliebig hin- und herschieben und ausplündern lassen und man nicht immer nur Panzer in Marsch setzen kann. Zwei Jahre nachdem Zehm – dem westdeutschen Zeitgeist zuwider – diese Sätze schrieb, brach der Kommunismus und mit ihm die Sowjetunion zusammen. Deutschland und Europa erhielten die Chance zur Freiheit und zur Einheit. Der 17. Juni hätte es mehr als jeder andere Tag verdient, der deutsche Nationalfeiertag zu werden. Er war der Tag revolutionären Handelns des Volkes und nicht daraus folgendem politischen Vollzugs. Die Kommunisten in der DDR selbst hatten ein feines Gespür für diese deutsche Realität des 17. Juni. Fragte doch Stasi-Chef Erich Mielke am 31. August 1989 seine Generäle angesichts der für die SED kritischen Lage in der DDR: „Ist es so, daß morgen der 17. Juni ausbricht?“ Damit verriet er das tiefe Trauma, das die kommunistische Führungskaste seit dem 17. Juni 1953 beherrschte, als sich die Arbeiter von der angeblichen Herrschaft der Arbeiterklasse selbst befreien wollten, bis die sowjetischen Panzer dann diese deutsche Revolution niederschlugen. Es war kein Ruhmesblatt in der deutschen Geschichte, daß die linke Publizistik in der Bundesrepublik gemeinsam mit den status-quo-Politikern in der SPD in den 80er Jahren den 17. Juni als Feiertag in Frage stellten. Kein Wunder, daß Klaus Bölling (SPD) am 29. April 1985 schrieb, „daß das Streben nach Wiedervereinigung nichts anderes sei, als ein Ausdruck ,westdeutscher Selbstgerechtigkeit‘“ und „eine verdeckte Kriegserklärung an die DDR“. Die antikommunistische Revolution des 17. Juni 1953 mit dem Verlangen nach Demokratie und Menschenrechten und das „Wir sind ein Volk“ der friedlichen Revolution von 1989 sind Ausweis demokratischer Gesinnungen bester europäischer Tradition, aus der die Deutschen leben, wie andere auch, die alle zusammengehören als demokratische Nationalstaaten im Europa der Vaterländer.
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