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Bis heute ungelöst Die „Preußische Treuhand“ – eine Vereinigung von Vertriebenen zur Durchsetzung von Entschädigungs-Ansprüchen für zurückgelassenes Eigentum in den früheren Ostprovinzen des Deutschen Reiches – hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Individual-Beschwerden gegen die Republik Polen eingereicht. Damit hat die Organisation nun realisiert, was seit drei Jahren recht häufig angekündigt wurde. Die politische Klasse in Polen von ganz rechts bis links ist empört. Die Kommentare in den polnischen Zeitungen zu dem Vorgang haben fast durchgängig einen antideutschen Tenor und sind von dem zur Staatsräson erhobenen Vorwurf geprägt, daß die Täter (Deutsche) sich zu Opfern stilisieren wollen. Eine sachliche Diskussion über die berechtigte oder unberechtigte Forderung von Entschädigungsansprüchen kann in Polen im Jahr 2006 noch nicht geführt werden. Die Bundesregierung hat sich, wie auch schon die rot-grüne Vorgängerregierung, von der „Preußische Treuhand“ scharf distanziert und deren Handeln verurteilt. Tatsächlich ist aber durch Versäumnisse der Bundesregierungen seit 1990 bei der Regelung der Kriegsfolgelasten und bei den Vertragswerken mit den Nachbarstaaten im Osten die Situation geschaffen worden, die zur Gründung der Treuhand geführt haben. Durch Aussitzen und „unter den Teppich kehren“ wollte die deutsche Politik die ungelösten Entschädigungsfragen vom Tisch bekommen. Diese Strategie ist zusammengebrochen. Länger als ein Jahrzehnt haben die betroffenen Ostdeutschen auf eine Initiative der deutschen, beziehungsweise der polnischen Regierung für die Regelung der offenen Vermögensfrage gewartet. Es hat sich nichts getan. Die Kohl-Regierung hatte 1990 versprochen, dieses Problem in absehbarer Zeit einer Lösung zuzuführen. Später ist sie, wie auch die Nachfolgeregierungen davon abgerückt. Heute heißt es lapidar, man wolle das nachbarschaftliche Verhältnis zu Polen nicht mit Fragen aus der Vergangenheit belasten. Die Passivität der Regierungen bei der Regelung der offenen Vermögensfragen hat dazu geführt, daß die „Preußische Treuhand“ als Selbsthilfeorganisation der Betroffenen gegründet wurde. Mit Klagen vor nationalen und internationalen Gerichten will man Eigentumsrechte geltend machen und eine wie auch immer geartete Entschädigung durchsetzen. Im Rechtsstaat Deutschland und im Rechtsstaatgebilde EU ist dies legitimes Handeln. Im Rechtsstaat Polen müssen die Menschen und vor allem die politische Klasse dies aushalten, ohne zugleich das gut nachbarschaftliche Verhältnis zu Deutschland zur Disposition zu stellen. Eine zumutbare Entschädigung für konfisziertes und zurückgelassenes Eigentum war und ist immer auch eine, wenn auch nachgeordnete Forderung der Vertriebenenverbände. Die Spitze des „Bundes der Vertriebenen“ hat sich dazu noch 2004 eindeutig bekannt. Allerdings sehen die Vertriebenenverbände die Bundesregierung in der Pflicht. Diese muß endlich der gebotenen Obhutspflicht gegenüber ihren betroffenen Bürgern bei der Entschädigungsfrage nachkommen. Wenn die Bundesregierung nicht in Verhandlungen mit den Nachbarstaaten über die Lösung der Entschädigungsfrage eintreten will – nach vielen amtlichen Verlautbarungen will sie das nicht, obwohl es geboten wäre – bleibt nur noch ein Weg, die Treuhand und deren Aktivitäten gegenstandslos zu machen. Die Bundesregierung muß eine nationale Lösung anstreben und die berechtigten Ansprüche aus eigenen Mitteln entschädigen. Dies würde Deutschland keineswegs überfordern, denn vor dem Hintergrund der noch immer praktizierten deutschen Scheckbuchdiplomatie würden wenige hundert Millionen Euro den deutschen Staat nicht zahlungsunfähig machen. Diesen Weg ist auch Polen gegangen. Einzelklagen von zwangsumgesiedelten Ostpolen aus den heute zur Ukraine gehörenden früheren ostpolnischen Gebieten, sind durch polnische Gerichte positiv beschieden worden. Der polnische Staat hat im Einzelfall entschädigt. Die Entschädigungsproblematik für zurückgelassenes Eigentum bei Vertreibungen und Zwangsumsiedelungen ist durchaus nicht nur eine spezifisch deutsch-polnische Angelegenheit. Dieser Tage erst hat ein zypriotisches Gericht die berechtigten Eigentumsansprüche vertriebener Zyprioten anerkannt. Die italienische Vertriebenenorganisation der vertriebenen Istrier fordert die Entschädigung oder Rückgabe des zurückgelassenen Eigentums. Zur Durchsetzung ihrer Ansprüche wollen die Italiener in wenigen Monaten einen europäischen Vertriebenenverband gründen. Deutsche Vertriebenenverbände sind dazu eingeladen worden. Die Entschädigungsfrage bleibt auf der Tagesordnung nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ungelösten Entscheidungsproblematik in Mitteldeutschland aufgrund der Enteignungen durch die Sowjets und des Regimes der „Sowjetischen Besatzungszone“ am Ende des Zweiten Weltkrieges.
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