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Das Danziger Weltkriegsmuseum droht ein «kleinkariertes nationalistisches Zentrum» zu werden Rund ein Jahr nach seiner Demissionierung als Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig zieht der Historiker Pawel Machcewicz eine negative Bilanz der Arbeit der neuen Museumsleitung. Sie verfolgt die nationale moralische Aufrüstung. Herr Machcewicz, Sie wurden im April 2017 nach der formalen Auflösung des Museums, einem rechtlichen Trick, als Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs abgesetzt. Was wurde an der Ausstellung seither verändert? Im Oktober 2017 liess der neue Direktor Karol Nawrocki den Film am Ende der Ausstellung entfernen. Dieser Film zeigte in der Schlusssequenz Krieg und Leid in Syrien und der Ukraine und wies auf das Potenzial zur Gewalt in uns allen hin. Er wurde durch einen Trickfilm des Instituts für Nationale Erinnerung ersetzt, in dem es nicht mehr um die universale Erfahrung des Krieges, sondern um polnisches Heldentum geht. Nach Ansicht Nawrockis soll das Museum die Bereitschaft der Polen stärken, zu den Waffen zu greifen und das Land zu verteidigen. Das war bisher der wichtigste Eingriff; aber es gab weitere. Auch bei der Darstellung einiger Statistiken wurde «nachgearbeitet». Ja. Zum Beispiel war die Zahl der Partisanen in Jugoslawien und der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs deutlich höher als in Polen. Das fand man wohl zu wenig «heroisch» und hat die Zahlen entfernt. Ähnlich wurde bei den Kriegsopferzahlen verfahren; auch sie wurden entfernt. In absoluten Zahlen hatten nämlich die Sowjetunion und Deutschland die meisten Opfer. Künftig will man die Opferzahlen prozentual darstellen. Durch die Änderung hat dann Polen die höchsten Opferzahlen, nämlich 20 Prozent der Zivilbevölkerung. Das sind kleine Veränderungen, in der Summe haben sie aber eine klare Tendenz. Hat die neue Direktion bereits neue Elemente in der Ausstellung installiert? Man hat die Bereiche über Polen, die Juden retteten, und polnische katholische Priester, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, ausgebaut. Ende 2017 hat man eine Ausstellung über Romuald Rajs, genannt «Bury», gezeigt, einen Kommandanten der «verfemten Soldaten». Diese Partisanengruppen, meist Weltkriegsteilnehmer, kämpften nach 1945 weiter – gegen die sowjetische Besatzung. «Bury» war ein Kriegsverbrecher, der 1946 in Podlasie im Nordosten Polens an die achtzig weissrussische Bauern, Frauen und Kinder ermorden liess. All das steht im Zusammenhang damit, dass die Geschichte der «verfemten Soldaten» von der PiS-Regierung zum zentralen nationalen Mythos aufgebaut wird. Es entstehen derzeit zwei Museen in Polen über diese umstrittene Gruppe.Nun versucht die PiS-Regierung, Sie mit rechtlichen Schritten unter Druck zu setzen. Was wirft man Ihnen vor? Erste Vorwürfe gab es schon zu meiner Amtszeit. Sie hatten den Zweck, meine Glaubwürdigkeit zu untergraben. Eine Kommission des Finanzministeriums kam im April 2018 aber zu dem Schluss, dass der Vorwurf der «Verschwendung öffentlicher Gelder» unbegründet sei. Zusätzlich wurde letzten September ein Ermittlungsverfahren gegen mich eröffnet. Ich hätte dem Museum «finanziellen Schaden» zugefügt, weil ich noch als Direktor gemeinsam mit Pawel Adamowicz, dem liberalen Danziger Bürgermeister, dafür stimmte, die Kooperation von Museum und Stadt Danzig bei Bildungsprogrammen auf der Westerplatte aufzulösen. Das war ein symbolischer Akt, der klarmachen sollte, dass es sich nach meiner Demission und der formalen Liquidierung des Museums um eine komplett andere Institution handelt. Diese Anschuldigung war aber so absurd, dass die Staatsanwaltschaft keine Anklage erheben konnte. Im Mai 2018 wurde ein weiteres Verfahren gegen Sie eröffnet . . . Ja. Nun soll ich dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Baukosten während der achtjährigen Bauzeit um insgesamt fünf Millionen Zloty gestiegen sind. Auch das ist absurd, weil das Budget sowohl von der Regierung als auch vom Kulturministerium überprüft wurde. Das sind Versuche, mich zu diskreditieren, weil ich meinerseits rechtliche Schritte eingeleitet habe. Um was geht es in Ihrer Klage gegen das Museum? Ich klage gemeinsam mit drei anderen an der Ausstellungskonzeption beteiligten Historikern gegen die neue Direktion des Weltkriegsmuseums. Wir verlangen die Wiederherstellung des Ursprungszustands. Der Prozess beginnt am 18. Juli. Die Hasskampagne gegen mich in den rechten Medien und im Staatsfernsehen hat schon begonnen. Zusätzlich haben Sie Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Wie ist da Ihre Argumentation? Ich berufe mich dabei hauptsächlich auf Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, demzufolge jeder EU-Bürger das Recht auf ein faires Verfahren hat. 2017 hat ein Verwaltungsgericht in Polen meine Klage gegen das Kulturministerium abgelehnt und sich für nicht zuständig erklärt. Ausserdem geht es um Artikel 10, das Recht auf freie Meinungsäusserung, das durch die Angriffe der Regierung auf die Ausstellung im Weltkriegsmuseum verletzt wurde. Das Museum des Zweiten Weltkriegs entstand als Antwort auf Erika Steinbachs geplantes «Zentrum gegen Vertreibungen», das in Polen heftig kritisiert wurde, auch von Ihnen. Dessen Konzept wurde inzwischen thematisch geöffnet. Es geht nun nicht mehr ausschliesslich um die Vertreibung der Deutschen. Wie stehen Sie dazu? Das Konzept wurde um einige Länder erweitert, ja. Nun ist auch der Genozid an den Armeniern integriert oder etwa die ethnischen Säuberungen der Jugoslawienkriege. Ich habe 2015 die Ausstellung «Gewaltmigration erinnern» der «Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung» im Deutschen Historischen Museum gesehen. Dort wurden auch Elemente der künftigen Dauerausstellung im «Zentrum» gezeigt. Mein Eindruck war, dass der Genozid an den Armeniern und die Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten auf eine Stufe gestellt werden sollen. Wenn das in der Dauerausstellung tatsächlich so gemacht wird, ist das historisch falsch und wird in Polen und in Tschechien viel Widerstand und Ärger hervorrufen. Im «Zentrum gegen Vertreibungen» ist das Konzept internationaler geworden. Ist es nicht eine Ironie der Geschichte, dass Ihr internationales Museum nun «renationalisiert» wird? Ich würde mein Konzept nicht in erster Linie als «international» bezeichnen. Mein Ansatz hat die polnische und die osteuropäische, aber auch die deutsch-polnische Perspektive in die dominante westliche Erzählung eingebettet. Aber ich gebe Ihnen recht: Hier war Polen einmal schneller als der Westen, vor allem als Deutschland. Das war ein grosser Erfolg, der nun leider zunichtegemacht wird. Das Museum ist in Gefahr, ein kleinkariertes nationalistisches Zentrum zu werden. Ein Trost ist, dass seit der Eröffnung rund 600.000 Besucher dort waren und dass bis heute jedes Detail rund um das Museum in der polnischen Öffentlichkeit breit diskutiert wird. Pawel Machcewicz – ein Marathonmannjlr. · Der polnische Historiker Pawel Machcewicz war Gründungsdirektor – und damit federführend bei Bau und Konzeption – des Danziger Museums des Zweiten Weltkriegs, das von der polnischen Regierung unter Donald Tusk als internationales Leuchtturmprojekt ins Leben gerufen wurde. Die Bauzeit auf schwierigem Untergrund zog sich über acht Jahre hin. Kurz nach der Eröffnung des Museums, im April 2017, wurde Machcewicz aus politischen Gründen als Direktor des spektakulären Neubaus an der Mottlau entlassen.Seitdem hat die nationalkonservative PiS-Regierung das Projekt an sich gerissen und diverse Veränderungen vorgenommen, die der Ausstellung eine «patriotischere» Ausrichtung geben sollen. Neben den Angriffen durch die Staatsmedien sieht sich Machcewicz verschiedenen Anschuldigungen gegenüber, die zu rechtlichen Schritten führten. Umgekehrt hat Machcewicz in zwei Fällen Klage erhoben. Machcewicz, der Professor am Institut für
Politische Wissenschaften der polnischen Akademie der Wissenschaften sowie
Mitbegründer des polnischen Instituts für Nationale Erinnerung (der polnischen
«Stasi-Unterlagen-Behörde») ist, kehrt derzeit nach einem Jahr am Berliner
Wissenschaftskolleg nach Polen zurück. Die Gründungsgeschichte des Museums lässt
sich in seinem Buch «Der umkämpfte Krieg. Das Museum des Zweiten Weltkriegs in
Danzig. Entstehung und Streit», 2018 beim Harrassowitz-Verlag in Wiesbaden
erschienen, nachlesen.
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