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Seehofer, Posselt und der Prager Beton Der 65. Sudetendeutsche Tag ist Geschichte. Die positive Botschaft des großen Pfingsttreffens in Augsburg: Die Volksgruppe lebt. Fast sieben Jahrzehnte. die seit der Vertreibung vergangen sind, haben ihre Vitalität nicht brechen können, auch wenn in den Begegnungshallen so mancher Tisch freigeblieben ist. Die Bekenntnisgeneration rückt immer stärker in die Verantwortung. Daß damit ein Mentalitätswechsel einhergeht, daß die Jüngeren und Jungen sich im politischen Meinungskampf anders artikulieren als die Allen, diese Erfahrung machen alle Organisationen und Institutionen. Das ist der Lauf der Zeit. Dagegen gibt es auch nichts einzuwenden. Entscheidend bleibt, daß man in der Programmatik übereinstimmt, daß gutbegründete Rechtspositionen, etwa in der Eigentumsfrage, nicht geräumt oder relativiert werden. Genau da setzen die Zweifel an. Wenn man so will, so bedeutet Augsburg 2014 eine Zäsur. Gewiß, es wurde nicht versäumt, auf die Fortdauer der rassistischen Beneš-Dekrete hinzuweisen („Gerümpel", das weggeräumt werden sollte, wie SL-Sprecher Bernd Posselt auf der Hauptkundgebung sagte), aber die Forderung wurde eher im Kammerton vorgetragen. Wen wundert es, daß selbst die bei solchen Anlässen so aufmerksamen tschechischen Medien, die jedes Statement auf Revanchismus-Verdacht untersuchen, nur ein paar dürre Zeilen für den Sudetendeutschen Tag übrig hatten. Der Schirmherr der Volksgruppe, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, umging dieses brisante Thema. Er philosophierte lieber über das - eher nichtssagende - ST-Motto „Zukunft braucht Heimat“. Er würdigte die Sudetendeutschen als ein „Herzstück Bayerns". Er fand anerkennende Worte für SL-Sprecher Bernd Posselt, der wegen des CSU-Debakels bei der Europawahl nach zwanzig Jahren seinen Sitz im Straßburger Parlament verloren hat. Er versprach sich dafür einzusetzen, daß demnächst auch einmal ein hochrangiger Vertreter der tschechischen Regierung zum Sudetendeutschen Tag kommen werde, und er stellte das Ganze unter die optimistische Überschrift „Wir sind auf einem guten Weg!" Zeitgleich verkündete das offizielle Prag, die deutsch-tschechischen Beziehungen seien so gut wie nie zuvor. Mit solchen Beteuerungen wird knallharte Politik gemacht. Denn in Wirklichkeit ist man von Normalität im bilateralen Verhältnis noch weit entfernt. Die Regierung der Tschechischen Republik hat zwar die ominöse Klaus-Klausel zurückgezogen, mit der die Benesch-Dekrete auch Eingang in die Rechtsordnung der Europäischen Union gefunden hätten, an der Fortexistenz des unseligen Beneš-Erbes ändert das freilich nichts. Den Entrümpelungs-Appell aus der Augsburger Schwabenhalle konterte Ministerpräsident Sobolka kühl mit der Bemerkung, er sehe keinen Grund für ein Anzweifeln der Dekrete. Noch härter artikulierte Senatspräsident Stech, wie Sobotka ein Sozialdemokrat, seinen Unwillen über die Aussage der bayerischen Schirmherrschaftsministerin Emilia Müller, die Beneš-Dekrete gehörten nicht in einen europäischen Rechtsstaat. „Irrtum, Frau Ministerin, sie gehören zu diesem europäischen Rechtsstaat, und sie werden dazu gehören." Tschechische Betonköpfe setzen also auf europäischer Bühne ein „ermutigendes Zeichen der Offenheit“ (Posselt), machen aber auf nationaler Ebene weiter wie bisher. Geht es noch doppelbödiger? Durchschauen alle Politiker, die aus Deutschland oder aus Österreich an die Moldau reisen und das Gespräch auf „Augenhöhe" suchen, dieses Spiel? Horst Seehofer hat in Augsburg angekündigt, seine Regierung wolle den politischen Dialog „dauerhaft“ führen, „natürlich nur in Rückkoppelung mit Bernd Posselt und anderen Freunden". Für Anfang Juli war ein weiterer Besuch des bayerischen Regierungschefs in Prag angesagt, der Freistaat eröffnet dort eine eigene Vertretung. Für Seehofer eine Gelegenheit, sich in Szene zu setzen. In Deutschland, in der Großen Koalition in Berlin, haben er und seine CSU an Einfluß verloren, der politisch sprunghafte Bayern-Premier ist in den eigenen Reihen nicht mehr unumstritten. Seine Prag-Visite, muß man annehmen, dient primär der Imagepflege. Die sudetendeutschen Themen werden, wenn überhaupt, nur am Rande eine Rolle spielen. Die Frage wird nicht ausbleiben: Wie sturmfest ist der weißblaue Schirm, der über den „vierten Stamm" gespannt ist? Ist er gar schon löchrig geworden? Wie auch immer: Die Vertriebenen aus Böhmen, Mähren und Schlesien erwarten von den politischen Repräsentanten in Berlin und München mehr als die zur Routine erstarrten Hinweise auf die entspannten Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen. Ganz so entspannt sind sie nicht. Nehmen wir nur das Faktum, daß selbst in einer vergleichsweise niederschwelligen Frage eines bilateralen Vertrages über die Gräber Deutscher, die nach dem Kriegsende auf tschechoslowakischem Boden getötet wurden, keine Einigung erzielt werden konnte. Prag weigert sich bis dato, Kriegstote und Vertreibungsopfer gleich zu behandeln. Hier steht wieder einmal die sogenannte politische Klasse gegen einen gewichtigen Teil der veröffentlichten Meinung im eigenen Land. Weshalb ließen es die Regierenden „an elementaren zwischenmenschlichem und zwischenstaatlichem Anstand fehlen?“ fragte das Wochenblatt „Respekt", und es fand gleich eine Antwort: Das Problem liege „in der Unfähigkeit zu einer entgegenkommenden Geste gegenüber den Sudetendeutschen'. Die Politiker hätten panische Angst davor, daß jedwedes Entgegenkommen gegen sie verwendet werde. Beim Thema der „Sudetjaken", wie man die Sudetendeutschen abfällig nennt, stünden die Boulevardmedien, die Kommunisten und ein beachtlicher Teil der Sozialdemokraten wie Konservativen von der einstigen Václav-Klaus-Partei ODS „in breiter Front gegen den gesunden Menschenverstand". Man befürchte, zitierte die „Weh" aus dem „Respekt"-Artikel, daß am Ende Tschechen den Vertreibungsopfern ebenso die Ehre erweisen müßten, wie das deutsche Politiker seit langem mit Besuchen in Lidice und Theresienstadt tun. Damit aber verhindere die Vertreibung auch noch im Jahre 2014 die volle Zugehörigkeit Tschechiens zur westlichen Gemeinschaft. Die konservative Tageszeitung „Lidové noviny" befürchtet, daß sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Prager Parlament an dieser Sachlage so schnell nichts ändern werde. Konkret, es werde kein bilateraler Vertrag zustandekommen. Dabei gehe es doch um eine „in erster Linie moralische Verpflichtung". Selbst Rußland und Polen hätten ein Abkommen mit Deutschland über die Gräberpflege geschlossen, obwohl sie viel mehr unter dem NS-Terror zu leiden gehabt hätten, als die Tschechen im Protektorat Böhmen und Mähren. Damit hat der Kommentator die Realitäten an der Moldau präzise beschrieben. Sie verhindern eine vertrauensvolle, gute Nachbarschaft. Genau dieser Aspekt spielte in den Reden von Augsburg eine große Rolle. Seehofer warb wieder einmal um Geduld, wenn es um schwierige Kapitel der Geschichte geht: „Das ist ein Prozeß. Aber wichtig ist, daß man diese Dinge nicht unter den Tisch kehrt, sondern daß man über sie spricht..." Eben darum geht es. Man darf gespannt sein, ob sich der Schirmherr an seine eigenen Worte hält. Dieser
Kommentar von Gernot Facius erschien in der Sudetenpost Folge 7 vom 3.
Juli 2014.
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