Eine
Erkennungsmarke der deutschen Wehrmacht, die bei Ausgrabungen in der Nähe
der tschechischen Stadt Vrbovec gefunden und zugeordnet werden konnte. Sie gehörte dem Wehrmachtssoldaten Kurt Knispel, der als Richtschütze 126 und als Panzerkommandant 42 gegnerische Panzer abgeschossen hat. Knispel war Sudetendeutscher aus Salisov (Salisfeld) |
Tschechien kümmert sich nicht um deutsche Gräber
Bundespräsident Gauck gedachte in Tschechien der Opfer des NS-Regimes in Theresienstadt. Das fand Anklang bei seinen Gastgebern. Prag tut sich mit den toten Deutschen aus jener Zeit deutlich schwerer.
Nur ein paar dürre Zeilen hatten die tschechischen Zeitungen für den nunmehr 65. Sudetendeutschen Tag über Pfingsten in Augsburg übrig. Zumeist zitierten sie lediglich die neuerliche Forderung des Chefs der Landsmannschaft, Bernd Posselt, die Benesch-Dekrete aufzuheben, die die Grundlage für die kollektive Entrechtung und Vertreibung von drei Millionen Deutschen nach dem Krieg aus ihrer Heimat gewesen waren.
Auf ein Kapitel gingen die Prager Blätter unabhängig vom Landsmannschaftstreffen dafür ausführlicher ein. Es ist ein sehr trauriges und steht im Widerspruch zu den inzwischen ziemlich entspannten Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen: Es geht um das noch immer nicht geschlossene Abkommen zwischen beiden Ländern, das die Pflege der Gräber deutscher Kriegstoten regeln soll.
Tschechien ist das einzige Land in der EU, mit dem ein solches Abkommen bislang nicht geschlossen werden konnte. Zwar heißt es in Prag, die Unterschriften unter ein solches Dokument seien nicht so wichtig. Auch so seien Würde und Pietät beim Umgang mit Kriegsopfern garantiert. Doch ganz so einfach ist das nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt.
Die Vergangenheit wohnt im Prager Bezirk Strašnice (Straschnitz), genauer: auf dem dortigen früheren Gottesacker der deutschen evangelischen Gemeinde Prag. Efeu hat sich über Jahrzehnte ungestört der bis zu 35 Meter hohen Linden und Rotbuchen bemächtigt. An dicken Stämmen kräuselt es sich bis hoch in die Wipfel, in denen wie in jedem Jahr Elstern ihre Nester gebaut haben und lautstark krakelend ihre Nachkommen bewachen. Dabei ist es nur der Wind, der die Zweige ab und zu in Unruhe versetzt.
Hier herrscht, abgesehen vom Elstergeschrei, tatsächlich Friedhofsruhe. Schon deshalb, weil der Friedhof seit Mitte der 50er-Jahre nicht mehr genutzt wird. Nur die Kapelle wird an jedem Sonntag von der Hussitischen Kirche für Gottesdienste geöffnet.
Die letzten Deutschen wurden auf dem Friedhof kurz vor Kriegsende begraben. 598 Gräber und 54 Gruften sind es, die man unter dem wuchernden Grün mitunter nur noch vermuten kann. Deutsche Besucher der Gräber könnten den Schüssel für das mächtige Friedhofstor auf der anderen Straßenseite erhalten, beim Pförtner des Krematoriums Strašnice. Der Hinweis steht aber sinnigerweise ausschließlich auf Tschechisch auf einer Anschlagtafel neben dem Tor.
Deutsche Stadträte liegen auf dem Friedhof begraben, Oberstleutnant-Witwen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Fabrikanten aus Prag, Zwillingskinder, die kaum ein Jahr alt geworden sind, ganze Familien mit ihren Nachkommen, gestorben über den Zeitraum eines Jahrhunderts. Manche Inschrift lässt sich nicht mehr entziffern. Auch tschechische Gräber findet man hier. Mit Toten, die offenbar gemischten deutsch-tschechischen Familien entstammten. Die slawische weibliche Namensendung "-ová" verrät sie bis heute.
Auf dem Friedhof werkeln vier Arbeiter einer tschechischen Firma vor sich hin. Schaffen Ordnung, "pietätvoll, selbstverständlich", wie ihr Chef dem unerwarteten deutschen, glücklicherweise tschechischsprachigen Besucher, erklärt: "Die schönsten Grabsteine werden umgesetzt, enden in Reih und Glied entlang der vor Kurzem rekonstruierten Mauer."
Was mit den Gräbern geschehe, die zu den Grabsteinen gehörten, und was aus den nicht mehr so schönen Grabsteinen? "Wir erhalten alles, was noch einigermaßen Wert hat." Und gleichmütig fügt der Vorarbeiter hinzu: "Hier kommt eh kein Angehöriger mehr hin. Deutsche haben wir ja de facto seit Ende des Krieges nicht mehr bei uns."
Er sagt es ohne Emotionen. Würde seine Straßenbahn an der Haltestelle vor dem Friedhof Richtung Feierabend fünf Minuten Verspätung haben, würde ihn das vermutlich mehr aufregen. Die Deutschen sind ihm herzlich egal. Zumindest die, die hier begraben liegen.
Die Arbeiten auf dem Friedhof hängen damit zusammen, dass er 2002 zum Kulturdenkmal erklärt wurde. Er soll irgendwann wieder als reiner Urnenfriedhof genutzt werden.
Ursprünglich gab es ganz andere Pläne. Der Friedhof hatte eine der letzten Ruhestätten für mehrere Tausend Wehrmachtssoldaten und deutsche Opfer der Nachkriegsvertreibungen nach 1945 werden sollen. Doch die Stadtverwaltung von Prag, in deren Kompetenzbereich der frühere deutsche Friedhof gehört, forderte von Verhandlung zu Verhandlung mehr Geld aus Deutschland.
Angeblich seien die Auflagen des Denkmalschutzes so hoch. 2,5 Millionen Euro wären für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zu viel Geld gewesen, der ja in erster Linie von Spenden lebt. Danach hätte man kaum noch etwas für Ruhestätten in anderen Ländern übrig gehabt. Der Handel also platzte.
Aber nur vordergründig wegen des Geldes. Als die Vereinbarung ruchbar geworden war, hatten sich tschechische "Bedenkenträger" zu Wort gemeldet. Etwa ehemalige Widerstandskämpfer. Nach deren Angaben war auf dem Friedhof auch ein ursprünglich tschechisches Kind bestattet worden, das aus dem Dorf Lidice stammte. Aus jenem Dorf, das aus Rache für das Attentat auf den "Stellvertretenden Reichsprotektor" Reinhard Heydrich von der SS dem Erdboden gleichgemacht wurde. Das Kind aus Lidice war "eingedeutscht" worden, später gestorben und unter seinem neuen deutschen Namen auf dem Friedhof begraben worden.
Andere störten sich daran, dass die Deutschen nur einen Sprung entfernt vom großen tschechischen Friedhof bestattet werden sollten, wo auch Opfer des NS-Regimes ihre letzte Ruhestätte gefunden hätten. Diese "Nähe zu den Deutschen", nur durch eine Straße getrennt, sei unzumutbar, hieß es. Und überhaupt: die beste Lösung wäre, wenn die Deutschen ihre Toten mitnähmen und bei sich begrüben.
Zu einem Skandal weitete sich die Sache aus, als bekannt wurde, dass schon über viele Jahre die für den Friedhof in Prag gedachten Pappkartons in Kindersarggröße mit den Überresten von rund 4.300 deutschen Männern und Frauen wenig würdevoll in einem Schuppen auf einem Industriegelände unweit der nordböhmischen Stadt Ústí nad Labem (Aussig) zwischenlagerten. Die Gebeine wurden rasch auf ein besser gesichertes Gelände der tschechischen Armee gebracht. 2010 dann fanden sie ihre letzte Ruhe auf einem alten deutschen Friedhof der Grenzstadt Cheb (Eger).
Es werden aber immer wieder neue menschliche Überreste gefallener deutscher Soldaten in böhmischer, mährischer oder schlesischer Erde gefunden. 180.000 Männer, die meisten aus der damaligen Heeresgruppe Mitte, sind allein auf heute tschechischem Gebiet gefallen. Dazu kommen nach vorsichtigen Schätzungen 25.000 deutsche Zivilisten, die nach Kriegsende bei Racheakten während der "wilden Vertreibung" umgebracht wurden.
Zu Letzteren gehören die 15 Männer aus Dobronin (Dobrenz) auf der böhmisch-mährischen Höhe. Sie wurden nach Kriegsende von Tschechen nach einem Trinkgelage aus einem Geräteschuppen der Feuerwehr, wo sie interniert waren, herausgeholt, mussten ihr eigenes Grab schaufeln und wurden dann mit Spaten, Schaufeln oder Hacken erschlagen und verscharrt.
Erst kürzlich wurden unterhalb des Riesengebirges beim Bau eines Radfahrweges menschliche Gebeine gefunden, die nach Recherchen des tschechischen Fernsehens von fünf ermordeten deutschen Zivilisten stammen. Im Juni 1945 wurden sie erschossen, weil sie angeblich Waffen bei sich getragen hatten. Der öffentlichen Hinrichtung hätten alle Einwohner eines nahen Ortes beiwohnen müssen, die älter als 14 Jahre gewesen seien.
Die Täter, so sie denn noch leben und ausfindig gemacht werden könnten, hätten nichts zu befürchten. Bis heute gilt ein Dekret des damaligen tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš, das nicht nur Widerstandsaktionen gegen die NS-Okkupanten amnestiert, sondern auch Verbrechen von Tschechen an Deutschen bei der Vertreibung straffrei stellt.
Das ist tragisch für die Opfer der Vertreibung: Da sie nicht infolge von Kriegshandlungen ums Leben kamen, fühlt sich der tschechische Staat für sie nicht zuständig. Prag weigert sich, Kriegstote und Vertreibungstote gleich zu behandeln. Die deutsche Rechtsordnung stellt beide Opfer auf eine Stufe. Dies haben alle Staaten der EU so anerkannt und kümmern sich entsprechend auch um die Gräber Deutscher, die nach Kriegsende getötet wurden.
Die Tschechische Republik macht hier eine Ausnahme. Deutschland hatte 2005 Verhandlungen mit Prag abgebrochen, weil keine Einigkeit über die Definition von Kriegstoten zu erreichen war. 2010 unternahm der damalige Bundespräsident Christian Wulff bei einem Besuch in Prag noch einmal einen Anlauf, um dieses Problem zu lösen. Ohne Erfolg.
Weshalb lässt Prag hier nicht mit sich reden? Weshalb lassen es die Regierenden an der Moldau "an elementarem zwischenmenschlichen und zwischenstaatlichen Anstand" fehlen, wie die renommierte Wochenzeitung "Respekt" es formuliert. Das Problem liege "in der Unfähigkeit zu einer entgegenkommenden Geste gegenüber den Sudetendeutschen", lautet die Antwort der Zeitung. "Die Politiker haben panische Angst davor, dass jedwedes Entgegenkommen gegen sie verwendet wird."
Beim Thema der 'Sudetjaken' – wie man die Sudetendeutschen abfällig nennt – stünden die Boulevardmedien, die Kommunisten und ein beachtlicher Teil der Sozialdemokraten wie Konservativen von der einstigen Václav-Klaus-Partei ODS "in breiter Front gegen den gesunden Menschenverstand".
Am Ende käme es womöglich noch dazu, dass Tschechen den erschlagenen Vertreibungsopfern ebenso die Ehre erweisen müssten, wie das deutsche Politiker seit Langem mit Besuchen in Lidice oder Theresienstadt tun, fügt das Blatt hinzu. Damit aber verhindere die Vertreibung auch noch im Jahre 2014 die volle Zugehörigkeit Tschechiens zur Gemeinschaft des Westens.
Glaubt man der konservativen Tageszeitung "Lidove noviny", dann wird sich am jetzigen Zustand nichts so schnell ändern. Da die deutsche Definition von Kriegsopfern die tschechische übersteigt, müsste ein bilateraler Vertrag vom tschechischen Parlament abgesegnet werden. Ähnliches gelte, falls die bisherige tschechische Gesetzgebung novelliert werden sollte.
In beiden Fällen würde sich wegen der linken Mehrheit in beiden Parlamentskammern nach Meinung von Experten keine Mehrheit finden. Dabei gehe es um eine "in erster Linie moralische Verpflichtung", erinnerte die "Lidove noviny". Selbst Russland und Polen hätten ein Abkommen mit Deutschland geschlossen, obwohl sie sehr viel mehr unter dem Terror der Nationalsozialisten zu leiden gehabt hätten, als die Tschechen im Protektorat Böhmen und Mähren.
Der
neue Kulturminister Daniel Herman zeigte sich völlig überrascht davon, dass
ein solches Problem überhaupt existiere. Der Christdemokrat pflegt ein völlig
unverkrampftes Verhältnis namentlich zu christlichen Teilen der
Sudetendeutschen. Ob er an dem jetzigen Zustand jedoch etwas zu ändern vermag
oder womöglich wie seine Vorgänger aus Rücksicht auf die tschechische
Volksseele oder die Mehrheitsverhältnisse im Parlament besser alles so belässt,
ist völlig offen.
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