Konzeption der Vertriebenenstiftung
Ein Tiefschlag für die Vertriebenen
Ein Kommentar von Rudi Pawelka,
Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien
Nachdem im Herbst 2010 ein Eckpunktepapier für
die Arbeit der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" und für die
Dauerausstellung vorgelegt worden war, liegt seit einigen Wochen die durch den
wissenschaftlichen Beraterkreis und den Stiftungsrat überarbeitete Fassung vor.
Eine unverfälschte und streng an wissenschaftlichen Grundsätzen orientierte
Darstellung war durch die gesetzliche Vorgabe von vornherein in Frage gestellt.
Zweck der Stiftung ist es danach nämlich, "im Geiste der Versöhnung die
Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im
historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen
Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzuhalten." Es liegt auf
der Hand, dass man unter dieser Prämisse leicht dazu kommt, falsch zu werten,
Fakten anzupassen, wegzulassen oder zu fälschen, vor allem dann, wenn man
Versöhnung falsch versteht. Obwohl Politiker immer wieder die Wahrheit als
Grundlage einer friedlichen Zukunft beschwören, bleibt sie in dem Papier
eindeutig auf der Strecke. Deshalb klingt es wie Hohn, wenn der polnische
Intellektuelle Jan Jozef Lipski mit dem Satz zitiert wird: "Wir müssen uns alles
sagen, unter der Bedingung, dass jeder über seine Schuld spricht. Wenn wir das
nicht tun, erlaubt uns die Last der Vergangenheit nicht, in eine gemeinsame
Zukunft aufzubrechen." Ein Schuldeingeständnis finden wir bei den Vertreibern so
nicht, gleichwohl können wir nicht soweit gehen, diese Schuld zu relativieren
und wesentliche Tatsachen ausblenden. Die Mängel in der Konzeption haben einen
so großen Umfang, dass nachfolgend nicht alle aufgegriffen werden können.
Ursachen für die Vertreibung.
Für die Vertreibung der Deutschen wird die
NS-Politik und die von ihr begangenen Verbrechen verantwortlich gemacht. Daraus
ergibt sich das Dilemma, Erklärungen für die Vertreibung anderer Volksgruppen in
Europa zu finden, denen nicht die Taten des NS-Regimes angelastet werden können.
Deshalb finden sich in dem Papier Aussagen, die auf Nationalismus als Grund
hinweisen. Von Triebfedern politischer Entscheidungen und dem Prinzip des
ethnisch homogenen Nationalstaats und neuartigen Mechanismen einer ethnischen
Bevölkerungspolitik ist die Rede. Man muss fragen, warum nur im Fall der
Deutschen Nationalismus nicht die Triebfeder für die Vertreibung war, zumal wir
wissen, dass sowohl die polnische als auch die tschechische Exilregierung auf
die Vertreibung drängten, um alte Pläne umzusetzen. Man folgt auch hier der
platten Formel, die die Vertreibung als Kriegsfolge bzw. als Folge
nationalsozialistischer Verbrechen bezeichnet. Dass Vertreibungen immer
Nationalismus und Rassismus als Ursache haben, lässt sich insbesondere im Fall
der Tschechoslowakei erkennen. Die nichtkommunistische Regierung vertrieb neben
den Deutschen auch die Ungarn, denn auch sie sind keine Slawen. Auch die
polnischen Vertreibungsdekrete atmen den Geist von Rassegesetzen.
Potsdamer Beschlüsse zur
Vertreibung werden als Recht gesehen.
Die von den Vertreiberstaaten organisierten
Vertreibungen vor den Potsdamer Beschlüssen der drei Siegermächte werden als
"wilde Vertreibungen" bezeichnet. Gleichwohl hatten z. B. polnische
Verwaltungsstellen auf Anordnung der Warschauer Regierung in vielen Orten
Vertreibungsbefehle verfügt. Die Vertreibungen nach dem 02.08.1945 sollen
dagegen laut Konzeption Recht sein. So heißt es, organisierte
Zwangsaussiedlungen seien auf der Grundlage der Potsdamer Beschlüsse erfolgt,
Vertreibung und Internierung der deutschen Bevölkerung in Jugoslawien seien ohne
international sanktionierte Grundlage durchgeführt worden, und Ungarn habe durch
das Potsdamer Protokoll das Recht zugesprochen bekommen, seine deutsche
Bevölkerung auszuweisen. Man merkt, das Wort Vertreibung taucht nur noch bei
Jugoslawien auf, denn es soll ja ansonsten eine Rechtsgrundlage gegeben haben.
Es ist allerdings unwissenschaftlich, den drei Staatsmännern in Potsdam das
Recht zuzusprechen, sich über das Völkerrecht hinwegsetzen und Annexionen und
Vertreibungen anordnen zu können, also neues Recht zu schaffen. Ein Vertrag
waren die Beschlüsse im Übrigen nicht, denn der Vertragspartner Deutschland war
nicht beteiligt. Die Abmachungen wurden auch in keinem Parlament ratifiziert.
Die Alliierten saßen im Übrigen zur gleichen Zeit in Nürnberg über Vertreter des
NS-Staates zu Gericht. Ein Anklagepunkt waren die - vorübergehenden -
Vertreibungen durch das NS-Regime. Es entspricht nicht einem demokratischen oder
rechtsstaatlichen Verständnis, Diktaten den Stempel des Rechts aufzudrücken. Die
Vertreibung insgesamt als Verbrechen zu bezeichnen, kommt in der Konzeption auch
nicht vor. Die Vokabel "Vertreibungsverbrechen" wird nur für Einzelgeschehnisse
gebraucht, die im Zuge der Vertreibung geschehen sind, z. B. für die Morde in
Postelberg (Sudetenland). Man will also ausschließen, dass den Siegermächten
vorgeworfen wird, sie hätten ein Verbrechen beschlossen.
Unwissenschaftliche und falsche
Darstellungen.
Die Konzeption geht in grob vereinfachender Weise
über den Sonderfall Stettin hinweg und tut so, als ob Stettin und sein
westliches Hinterland auch von den Potsdamer Beschlüssen erfasst sind. Das
Schicksal hunderttausender Stettiner interessiert nicht. Geschichtsfälschungen
können durch die Vermittlung falscher Fakten, durch Verdrehung von Fakten oder
durch Verschweigen von Fakten begangen werden. Der jüdisch-polnische Historiker
Feliks Tych sprach am 27.01.2010 im Deutschen Bundestag von einem Beschweigen
als probates Mittel der Geschichtsfälschung und meinte damit "die europäische
Komplizenschaft beim deutschen Staatsverbrechen." Daran gemessen, findet sich in
dem Papier eine Fülle von Fälschungen. So wird die Zahl der Deutschen im Polen
zwischen den Kriegen mit 1,2 Mio. angegeben. Tatsächlich waren es 2,3 Mio.
Richtig angegeben ist die Zahl der durch polnischen Druck Verdrängten mit einer
Mio., jedoch wird unterschlagen, dass Deutsche auch ausgewiesen wurden. Positiv
für Deutschland wäre auch der Hinweis gewesen, dass es umgekehrt eine
Fluchtbewegung bei der polnischen Minderheit in Deutschland nicht gab und bis
1933 auch viele tausend polnische Juden aufgrund des Drucks in Polen in
Deutschland Zuflucht suchten. Falsch ist, dass dem deutschen Besatzungsterror
bis zu sechs Mio. polnische Staatsbürger zum Opfer fielen. Zum 70. Jahrestag des
Kriegsbeginns hatte Polen die von Wissenschaftlern erhobene Zahl mit 5,7 Mio.
bekanntgegeben. Gefälscht ist die Zahl von sechs Mio. vor allem deshalb, weil
hierin auch die gefallenen Soldaten an der sowjetischen Ostfront und
hunderttausende den Sowjets zum Opfer gefallene Zivilpersonen enthalten sind.
Auch die Toten von Jedwabne und anderenorts sind wohl eingerechnet. Immerhin
heißt es nicht mehr wie im ersten Eckpunktepapier, die deutsche Besatzung hätte
zur Ermordung von bis zu sechs Mio. polnischen Staatsbürgern geführt.
Unterschlagen werden die Überfälle der polnischen Armee auf Nachbarstaaten. Der
von Polen angezettelte Krieg 1920 gegen die Sowjetunion, brachte Polen
erheblichen Gebietserwerb (sogenanntes Ostpolen). Millionen Weißrussen, Ukrainer
und Litauer (einschließlich der Hauptstadt Wilna) wurden danach bis 1939 von
Polen beherrscht. Unerwähnt bleibt auch der Überfall polnischer Insurgenten und
der polnischen Armee auf das deutsche Oberschlesien im Mai 1921. Für das
Verständnis der damaligen Zeit und der Stimmung in Deutschland wären gerade
diese Ereignisse wichtig gewesen. Verschwiegen wird auch der Einmarsch der
polnischen Armee 1938 in das tschechische Olsagebiet, der neben einer Annexion
auch die Vertreibung dort ansässiger Tschechen und Deutscher zur Folge hatte.
Unwissenschaftlich ist auch von einem Abstimmungsgebiet Oberschlesien zu
sprechen und das Abstimmungsergebnis undifferenziert zu nennen. Korrekt wäre
gewesen, darauf hinzuweisen, dass dreieinhalb oberschlesische Landkreise nicht
zum Abstimmungsgebiet gehörten, weil dort aufgrund fehlender polnischer
Zuwanderung kaum mit polnischen Stimmen zu rechnen war und damit ein besseres
Ergebnis für Deutschland zustande gekommen wäre. An keiner Stelle wird darauf
eingegangen, dass "Ostpolen" ein erobertes Gebiet war, es taucht nur auf als
Argument für eine Kompensation mit ostdeutschen Gebieten. Falsch ist, dass nach
dem 1. Weltkrieg ein Schlusspunkt unter die alten Vielvölkerstaaten gesetzt
wurde. Es entstanden dagegen die neuen Vielvölkerstaaten Jugoslawien, Polen und
die Tschechoslowakei. Russland blieb als Vielvölkerstaat unter dem Namen
Sowjetunion erhalten. Warum wird verschwiegen, dass Polen den Vertrag über den
Minderheitenschutz 1935 beim Völkerbund gekündigt hatte? Warum wird über das
Massensterben von Millionen sowjetischer Kriegsgefangener berichtet, nicht aber
über das Massensterben deutscher Kriegsgefangener? Warum wird die Gewalt an
Sudetendeutschen nicht behandelt, vor allem das Massaker vom 4. März 1919?
Falsch ist im Übrigen auch die Aussage, die Finnen seien geflüchtet und nicht
vertrieben worden.
Verletzung der Menschenwürde
deutscher Opfer.
Die Bagatellisierung der Leiden der Deutschen in
polnischen und tschechischen Zwangsarbeiterlagern ist skandalös. Es heißt
lediglich, die Lager seien Synonyme des Schreckens und Deutsche seien schweren
Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Kein Wort über viele zehntausende Tote,
nichts davon, dass in Zwangsarbeiterlagern fast nur Unschuldige einsaßen, vor
allem Frauen, aber auch viele Kinder. Der Tod so vieler hätte es verdient, in
würdiger Erinnerung zu bleiben, statt kalt übergangen zu werden. Wenigstens den
toten Kindern hätte eine Stimme gegeben werden müssen. Das Herunterrechnen der
Vertreibungstoten ist ein Zeichen der Unmoral und würde bei anderen Opfergruppen
einen Sturm der Entrüstung bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung auslösen. Die
vom Bundesarchiv angegebenen Vertreibungsverluste von 2,2 Mio. werden in Zweifel
gezogen, weil eine Gleichsetzung dieser Zahl mit Vertreibungsverbrechen nicht
möglich sei. Deshalb ist zu fragen, zählen die nicht mit, die angesichts
bevorstehender Gewalt Selbstmord begingen? Was ist mit den Menschen, die in den
Viehwagen beim Abtransport gestorben sind? Was ist mit denen, die auf dem
Fluchtweg totgebombt oder niedergewalzt wurden? Was ist mit den Toten der
Zwangsarbeiterlager? Was ist mit den Toten, die an Hunger starben oder weil es
keine ärzliche Hilfe mehr gab?
Schonung der Vertreiberstaaten.
Drastische Schilderungen der Verbrechen gegen
Deutsche gibt es fast nur in Zusammenhang mit den Taten der Sowjets. Die
Vertreibungsprozesse durch andere werden lediglich als "fast immer dramatisch
und inhuman" beschrieben, die viele Todesopfer forderten. Selbst Polens
Exilreregierung erfährt eine mehr oder weniger wohlwollende Würdigung. Dem
Drängen bei den Alliierten bezüglich der Vertreibung der Deutschen und der
Annexion Ostdeutschlands werden kritische Stimmen von polnischer Seite
gegenübergestellt, die eine Kompensation für "Ostpolen" mit deutschem Gebiet in
geringerem Umfang wollten. Es fehlt allerdings der Hinweis darauf, das Polens
Osten erst 1920 annektiert wurde und dort nur eine kleinere polnische Minderheit
lebte.
Aufrechnung als Methode.
Der Aufrechnung begegnet man an vielen Stellen.
Wiederholt wird auf Untaten des NS-Regimes hingewiesen. Man erkennt die Absicht.
Für Verbrechen gegen Deutsche soll ein gewisses Verständnis erzeugt werden.
Verstärkt wird diese Methode durch Hinweise auf das schwierige Verhältnis der
deutschen Minderheit zu ihren Staaten. Den Rotarmisten wird zugutegehalten, dass
sie bei ihren Verbrechen ihr verwüstetes Land vor Augen hatten. Auch deutschen
Stellen wird eine Mitschuld gegeben, weil sie die Bevölkerung zu spät evakuiert
hätten. Warum war die Evakuierung nur im Osten nötig? Unanständig ist in diesem
Zusammenhang die Aussage, das sowjetische Massaker von Nemmersdorf sei für
Durchhalteparolen missbraucht worden. Gab es nicht auch eine Pflicht, die
Bevölkerung zu warnen?
Konzeption keine Wegweisung für
die Zukunft.
Die Vertriebenen hatten in der jahrelangen
Diskussion immer gehofft, eine würdige Gedenkstätte zu erhalten. Dem eigenen
Projekt "Zentrum gegen Vertreibungen" wurde aber eine staatliche Einrichtung
entgegengestellt, um das Anliegen einzuhegen und unter staatlicher Aufsicht zu
halten. Das Ergebnis liegt nun vor. Es ist für die Vertriebenen zutiefst
enttäuschend. Der Nachwelt wird ein Zerrbild der Vertreibung vermittelt, das den
Opfern nicht gerecht wird. Ein Beitrag zur Versöhnung ist dies nicht. Wenn
Wahrheit ausgeblendet wird, gibt es auch keinen Frieden in der Zukunft. Aus dem
Kreis der Stiftungsratsmitglieder war schon vor einiger Zeit zu hören, dass wir
Abstriche bei der Darstellung hinnehmen müssten, ehe wir keine Einrichtung
bekämen. Allerdings sind in der Konzeption Geschichtsklitterungen in so großer
Zahl und sogar Demütigungen durch Verletzungen der Menschenwürde enthalten, die
einen Verzicht sinnvoll gemacht hätten.
Schlesier ohne Mitwirkung
Leider hat auch der Stiftungsrat der "Stiftung
Flucht, Vertreibung, Versöhnung" die Konzeption einstimmig beschlossen, also mit
den Stimmen der sechs Vertriebenenvertreter. Weder die Landsmannschaft Schlesien
noch die Landsmannschaft der Oberschlesier waren in das Gremium berufen worden.
Die Schlesier, also ein Drittel der Vertriebenen, waren von einer Mitwirkung
ausgeschlossen. Der Makel, der dem fragwürdigen Papier anhaftet, kann deshalb
die Schlesier nicht treffen. Für die Landsmannschaft Schlesien distanziere ich
mich mit aller Entschiedenheit von dieser Konzeption.
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Quellen:
Foto: Archivmaterial;
Text:
Schlesische Nachrichten, Leitartikel, 14.09.2012
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