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Sudetendeutsche
auf dem Weg zum Bahnhof in Liberec (Bild: AP Archiv)
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"Wir ermitteln wegen Mordes" |
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Tschechische Staatsanwaltschaft sucht nach Tätern eines Massakers an Deutschen
Von Christina Janssen |
"Töten auf Tschechisch" heißt ein
Dokumentarfilm, der die tschechische Öffentlichkeit aufgeschreckt hat: Er zeigt
historische Aufnahmen von Massakern an Deutschen kurz nach dem Zweiten
Weltkrieg. Einer der mutmaßlichen Mörder ist noch am Leben.
Ein schlichtes weißes Holzkreuz auf einer Wiese
bei Dobronin (Dobrenz), einem verschlafenen Dorf in Ostböhmen - für den Journalisten
Miroslav Mares ist es ein Symbol von unschätzbarem Wert.
"An einem
Abend habe ich einen anonymen Anruf bekommen - jemand sagte mir, ich solle auf
das Feld bei Dobronin (Dobrenz) fahren. Das habe ich dann gleich morgens gemacht - und da
war das Kreuz schon von Weitem zu sehen. Es ist aus Holz und etwa drei Meter
hoch. Ich gehe davon aus, dass es Leute aus dem Dorf aufgestellt haben."
Das Kreuz erinnert an 15 deutsche Einwohner des Ortes: Sie wurden - so berichten
es Augenzeugen - am 19. Mai 1945 von einer Horde Betrunkener zusammengetrieben,
mussten auf der Wiese bei Dobronin (Dobrenz) ihr eigenes Grab schaufeln und wurden dann
mit Spaten und Hacken erschlagen. Kein Einzelfall in den dramatischen Wochen
nach Ende des Zweiten Weltkrieges. In der Zeit der "Wilden Vertreibungen" kam es
in vielen Orten zu Racheakten an den deutschsprachigen Mitbürgern - in
Postelberg zum Beispiel, wo mehrere Tausend Männer aus der Umgebung umgebracht
wurden. In Dobronin (Dobrenz) recherchierte Lokaljournalist Miroslav Mares - und schaltete
schließlich die Staatsanwaltschaft ein:
"Mir geht
es um die historische Wahrheit in einer Angelegenheit, die auf
tschechoslowakischem Boden geschehen ist, über die es aber auf tschechischer
Seite keinerlei Dokumente gibt. Ich wollte wissen, ob das, was die Deutschen
über die Ereignisse hier erzählen, tatsächlich den historischen Tatsachen
entspricht."
Deshalb sind auf der Wiese bei Dobronin (Dobrenz), die im Dorf "Budinka" genannt wird, nun
Kriminologen und Archäologen zugange: Vor einer Woche sind sie bei ihren
Grabungen tatsächlich auf Skelette gestoßen - doch die Untersuchungen werden
noch lange andauern, so Chefermittler Michal Laska:
"Die
Körper liegen hier übereinander und durcheinander, deshalb ist es keine einfache
Aufgabe, die einzelnen Teile zuzuordnen. Es wird wohl noch mindestens zwei
Monate dauern, bis mit Ergebnissen zu rechnen ist."
Weniger nüchtern kommentiert David Vondracek den grausigen Fund. Der Filmemacher
sorgte erst vor wenigen Wochen mit seiner Dokumentation "Töten auf Tschechisch"
für Aufsehen. Jetzt arbeitet er schon an seinem nächsten Projekt: einem Film
über Dobronin (Dobrenz).
"Wir sind
gerade Zeugen eines historischen Augenblicks geworden. Wir haben hier - und ich
sage bewusst: leider! - einen menschlichen Wadenknochen und einige Reste von
Kleidungsstücken gefunden. Das ist der endgültige Beweis dafür, dass das
Massengrab mit sterblichen Überresten deutscher Zivilisten hier tatsächlich
existiert."
So werden die Bewohner des Dorfes Dobronin (Dobrenz) von der Geschichte eingeholt - und
mit ihnen ein ganzes Land.
"Gegenwärtig ermitteln wir hier wegen Mordes, so Ermittler Laska. Juristische
Analysen sollen außerdem klären, wie das Ganze zu bewerten ist, ob es sich hier
möglicherweise um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt."
Von den mutmaßlichen Tätern - so der Stand der Ermittlungen heute - ist
vermutlich nur noch einer am Leben. Er hat sich nun erstmals im tschechischen
Fernsehen geäußert:
"Das ist
doch alles erfunden. Ich habe der Polizei gesagt, dass ich mich an nichts mehr
erinnere. Die sollen mich in Ruhe lassen."
Sollte der heute 88-Jährige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt
werden, wäre das ein Präzedenzfall. Es wäre das erste Mal, dass dieser
Tatbestand auf den Mord an Deutschen in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg
angewandt würde.
"Das
Wichtigste ist, meint indessen Journalist Miroslav Mares, dass die Diskussion,
ob hier so etwas passiert ist oder nicht, endlich vorbei ist. Sie ist in dem
Moment verstummt, als hier die ersten Knochen gefunden wurden."
Die Debatte über dieses schwierige Kapitel der eigenen Geschichte überschlägt
sich in Tschechien geradezu. Schriftsteller, Historiker und Filmemacher
schockieren die Öffentlichkeit mit ungeschönten Darstellungen der damaligen
Ereignisse. Und die Reaktionen zeigen, wie gespalten das Land in dieser Frage
ist: Während die einen der Ermordeten mit Holzkreuzen gedenken, sprechen andere
von Nestbeschmutzung: Der konservative tschechische Europaabgeordnete Jan
Zahradil schreibt in einem Internetblog, die Gräueltaten der Nationalsozialisten
dürften durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld nicht relativiert
werden. "Angesichts der Berichte über Ereignisse wie die Morde in Dobronin
(Dobrenz) packt
mich die Wut", so der Europaparlamentarier wörtlich. Das sei doch alles
"Humbug".
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weitere Informationen:
PDF-Datei:
19.08.2010: BdV-Pressemitteilung:
BdV-Präsidentin begrüßt
Ermittlungen zum Massenmord
an Sudetendeutschen in Tschechien;
26.08.2010: "Jetzt plötzlich kommen
diese Fragen"
Debatte in Tschechien über Verbrechen an Sudetendeutschen
www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1257760/;
20.08.2010:
Der Massengrab-Fund in den tschechischen Medien
(Tschechische Morde – Deutsch als Fremdsprache – Totalitärismus-Institut)
www.radio.cz/de/artikel/130960;
20.08.2010: 5.600 deutsche Gräber auf neuem Friedhof
www.infranken.de/nc/nachrichten/lokales/artikelansicht/article/5600-deutsche-graeber-auf...;
20.08.2010: TSCHECHIEN: Brisante Knochenfunde könnten
„totes Recht“ beleben
Massaker an Sudetendeutschen wäre Präzedenzfall für „Benes-Dekrete“
www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11873282/492531/Massaker-an-Sudetendeutschen...;
19.08.2010: Vertreibungsverbrechen:
Was geschah in der Iglauer Sprachinsel?
www.fr-online.de/kultur/was-geschah-in-der-iglauer-sprachinsel-/-/1472786/4572362/-/;
19.08.2010: Massaker von Dobrenz: Holzkreuz erinnert an deutsche Opfer
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M547076a38b2.0.html;
18.08.2010: Was verrät das Grab von Bergersdorf?
www.pnp.de/nachrichten/artikel.php?cid=29-29163583&Ressort=pol&BNR=0;
18.08.2010: Tschechien: Die Schreckensnacht von Dobrenz
http://diepresse.com/home/politik/zeitgeschichte/588262/index.do;
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