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Ostpreußen zeigen Selbstbewußtsein Abermals müssen all jene, die eine baldige „Lösung“ der Vertriebenenfrage durch das rasche Aussterben der Ostdeutschen herbeisehnten, ihre schnöde Hoffnung begraben. Zehntausende Ostpreußen aus aller Welt strömten am vergangenen Wochenende zu ihrem Deutschlandtreffen 2002 in die Messestadt Leipzig. Der gewaltige Andrang erstaunte um so mehr, als das letzte Treffen der Ostpreußen erst zwei Jahre her war - über die Jahrzehnte hatte sich ein Dreijahresrhythmus bewährt. Doch Leipzig 2000 - das erste Treffen in Mitteldeutschland - hatte solchen Anklang gefunden, daß man nicht länger warten wollte. Dieses Jahr stand die Mammutveranstaltung ganz unter dem Eindruck unmittelbar bevorstehender, tiefgreifender politischer Weichenstellungen, die das Gesicht Deutschlands und Europas dauerhaft verändern werden. Der Ausgang der Bundestagswahl zeichnet sich bereits schemenhaft ab, ganz sicher steht die Osterweiterung der EU ins Haus. Sie wird die Situation Ostpreußens fundamental verändern. Viele entscheidende Fragen werden in den kommenden Monaten verhandelt werden. Was wird aus Königsberg? Oder aus den Zumutungen der Bierut- und Benesch-Dekrete? Unversehens rücken die ostpreußische Heimat und mit ihr die Ostpreußen aus dem Schatten der Geschichte mitten ins Zentrum des europäischen Geschehens.
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber machte den Ostpreußen ausdrücklich Mut, ihre Stimme in den anstehenden Debatten zu erheben. Als Hauptredner der Großkundgebung am Sonntag bekräftigte der Unionskanzlerkandidat die bereits 24jährige Patenschaft Bayerns mit der Landsmannschaft Ostpreußen (LO). Zu den berüchtigten Erlassen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten zitierte der CSU-Politiker das Regierungsprogramm der Unionsparteien, in dem es heißt: „Die Vertreibungsdekrete und -gesetze sind Unrecht. Sie stehen im Gegensatz zu Geist und Werten der Europäischen Union und des Völkerrechts. Vertreibung und ethnische Säuberung dürfen nirgendwo Teil der bestehenden Rechtsordnung sein.“ Betont kritisch äußerte sich Stoiber im Interview zu einem kürzlich aufgetauchten, umstrittenen Bundestags-Entschließungsantrag zur Zukunft der Region Königsberg. Stoibers Absage an eine Tolerierung der Vertreibungsdekrete schloß sich auch der Sprecher der LO, Wilhelm v. Gottberg, an und warnte: „Die Unrechtsfolgen der Vertreibung finden nicht an dem Tag ihre Erledigung, an dem der Letzte der Erlebnisgeneration die Augen schließt. Die wahrheitsgemäße Aufarbeitung des gesamten Völkermordes an den Ostdeutschen, den Ostpreußen steht noch aus. Es steht noch aus das Schuldbekenntnis der Vertreiberstaaten zum Verbrechen der Vertreibung und eine friedenstiftende symbolische Wiedergutmachung.“ Dabei machte LO-Sprecher v. Gottberg deutlich, daß es die Vertriebenen ernst meinen mit dem Ziel echter Versöhnung und hob hervor: „Die Landsmannschaft Ostpreußen hat nie einer möglicherweise angstmachenden umfassenden materiellen Wiedergutmachung oder Restitution das Wort geredet.“ Die Botschaft ist unmißverständlich: Die Vertriebenen bedrohen niemanden und reichen die Hand zum ehrlichen Dialog. Sie stehen für gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme auf das Schicksal der anderen. Dies aber könne nur auf der Basis einer „wahrheitsgemäßen Aufarbeitung“ (v. Gottberg) gedeihen, „unter den Teppich kehren, Abwiegeln, Schönreden und Diffamieren derjenigen, die auf die ungelösten Probleme der Vertriebenen hinweisen“ habe erkennbar in die Irre geführt: „Ein Beispiel für die in Deutschland zum System erhobene Verlogenheit ist die Schlußstricherklärung der Bundesregierung von 1997 zum Verhältnis Deutschland-Tschechien“, so der LO-Sprecher in Leipzig. „Dieser Erklärung war die Funktion einer Grabplatte für die ungelösten Probleme im deutsch-tschechischen Verhältnis zugedacht.“ Die erst fünf Jahre alte Erklärung ruft heute europaweit nur noch Kopfschütteln hervor. Selbst dem EU-Parlament schaudert es bei dem Gedanken, die damals „unter den Teppich“ gekehrten Benesch- und Bierut-Dekrete könnten in Kürze Eingang in die europäische Rechtsgemeinschaft finden. Die Ostpreußen haben die erwachende Kritik auf europäischer Ebene registriert und sehen sich in der Offensive. Stoiber versprach, daß er sich „dieser europäischen Frage stellen“ werde. Auch sagte der Unions-Kanzlerkandidat zu, die über Jahre auf ein beschämendes Niveau heruntergekürzten Mittel für die Kulturarbeit der Vertriebenen „wieder schrittweise erhöhen“ zu wollen, sollte er am 22. September siegreich sein. Ebenso möchte er die Idee zur Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibung aufgreifen. Nanette Kaiser, die Bundesvorsitzende des „Bundes Junges Ostpreußen“, griff Wilhelm v. Gottbergs Mahnung, daß die offenen Fragen der Vertreibung nicht mit dem Tod des letzten direkt Betroffenen erledigt seien, direkt auf: Mit Hinweis auf die LO-Jugend stellte sie klar: „Es gibt uns! Das sollte bei keiner Diskussion um die Zukunft der ostdeutschen Landsmannschaften vergessen werden.“ Unter stürmischem Applaus der über 10.000 Zuhörer rief Kaiser ihre Vision aus, eines Tages „in einem friedlichen europäischen Königsberg gemeinsam mit Russen, Litauern und Polen vor dem Köngsberger Dom ein Ostpreußentreffen zu veranstalten“. Der Weg von Düsseldorf - viele Jahre Schauplatz der Deutschlandtreffen - nach Leipzig sei für die jungen Ostpreußen nur eine Etappe. „Zusammen mit unseren polnischen und russischen Altersgenossen sowie den Jugendlichen der deutschen Volksgruppe in der Heimat entdecken wir Ostpreußen neu."
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