|
|
Blick durch die Hallen: Spiegel
einer Landschaft Es ist die vielfältige Mischung, die den besonderen Reiz der Stände und Ausstellungen in Halle 3 ausmacht. Auf einem überschaubaren Areal finden gleichzeitig Kunstausstellungen und Aufführungen statt, Spezialitätenhändler und Bücherstände locken ihre Kunden, Vereine, Verbände und Initiativen werben für ihre Projekte, Museen stellen ihre Arbeit vor, Das Ostpreußenblatt gewährt Einblick in die praktische Arbeit dieser Zeitung. Und zwischen allem blüht ein reger Austausch von Informationen und Meinungen. Die Geräuschkulisse eines Bienenstocks schwirrt durch das gewaltige Messegebäude. Die rege Betriebsamkeit täuscht nicht. Manche "alten Bekannten" sind zwar nicht mehr dabei, andere Aussteller wagten sich indes das erste Mal auf ein Deutschlandtreffen. Daß alles im Fluß ist, spüren auch die zahlreichen Reiseveranstalter, die ihre neuesten Angebote gen Osten präsentieren. "Der klassische Heimattourismus nimmt bei uns seit drei Jahren kontinuierlich ab", seufzt Jacek Peplonski vom "OstReiseService". Peplonski meint die klassischen Busreisen kreuz und quer durchs Land: "Die gehen bei uns nicht mehr so, weil die Leute sich mittlerweile viel zu gut auskennen. Die suchen ganz gezielt ausgesuchte Orte auf." Auch machten ihm zunehmend gut organisierte Fahrten der Kreisgemeinschaften Konkurrenz. Sein Reiseservice setze daher auf Ziele weiter östlich, Baltikum, Wolga, "Sankt Petersburg ist der Renner". "Partner Reisen" hingegen will sich nicht so schnell geschlagen geben. Das Rezept: Maßgeschneiderte Reisen auch für Kleingruppen wie Familien und Direktflüge nach Polangen. Das zahlt sich aus: "Bei uns nimmt der Heimattourismus noch zu." Auch "Greif Reisen" behält seinen Schwerpunkt "vor Ort", muß sich aber ebenfalls stets etwas Neues einfallen lassen. Der kommende Kassenschlager sollen Fahrten mit dem Schwerpunkt "Naturparadies Ostpreußen" werden. Mit eigenem Hotel in Insterburg zählt "Greif" schon zu den Ostpreußen-Routiniers. Am kommenden Sonnabend sendet das WDR-Fernsehen übrigens einen halbstündigen Beitrag über "Greif"-Inhaber Aloys Manthey und seine umfangreichen Aktivitäten in seiner pommerschen Heimat (Titel: "Heim in die Fremde", 6. Juli 2002, 18.20 Uhr). "Rogebu-Reisen" verweist stolz darauf, "der einzige deutsche Veranstalter mit eigener Firma in Memel" zu sein - nebst hauseigenem Leihwagenpark. Rogebu-Chef Gerhard Burchard kommt selbst aus Tilsit-Ragnit. Als ausgebildeter Pilot hebt er vor allem sein ausgezeichnetes Orientierungsvermögen hervor, das ihn auch die entlegensten Winkel für seine Gäste finden lasse. Der kleine Veranstalter "Valentin Reisen" setzt ganz auf intime Atmosphäre und "Service mit Herz". Eine Kundin bestätigt den Erfolg: "Da fühle ich mich immer wie in einer Familie." Die Begleiter seien den ganzen Tag für ihre Gäste da, betont "Valentin". Die ebenfalls kleine "Voit" geht einen ähnlichen Weg. "Wir holen unsere Kunden alle an der Haustür ab, und unsere mehrsprachigen Reiseführer stehen die ganze Fahrt über zu Verfügung." Ein Abenteuer kann auch die Reise in die entgegengesetzte Richtung - von Ostpreußen ins Bundesgebiet - sein. Das "Rußlanddeutsche Nationaltheater Kaliningrad" ist das erste Mal auf einem Deutschlandtreffen. "Schade, daß wir nicht schon früher hier waren", bekennt der junge Generalintendant Viktor Pretzer. In einer Art Hans-Wurst-Kostüm steht Pretzer vor dem bunten Stand seines Theaters und erzählt von dessen Geschichte. 1995 wurde die Truppe von staatlich ausgebildeten Schauspielern des deutschen Theaters von Alma Ata (Kasachstan) - damals die einzige deutsche Bühne in der Sowjetunion. Was verwundert: In den vergangenen sieben Jahren in Königsberg hätten sie erst fünf Gruppen aus dem Bundesgebiet besucht. Von seiner Präsenz auf dem Deutschlandtreffen erhofft sich Pretzer nun aber regen Zulauf gerade von den Ostpreußen und berichtet von allerlei interessanten Kontakten, die er in Leipzig schon geknüpft habe. Durch mehr Besucher kommt vielleicht auch der größte Traum der rußlanddeutschen Mimen in greifbarere Nähe: Ein eigenes Haus in der ostpreußischen Metropole. Olga Vollmer ist schon das zweite Mal dabei in Leipzig. Die strahlend blonde Juristin ist Vorsitzende der "Nationalen Kulturautonomie der Deutschen im Kaliningrader Gebiet". Sie lebt seit acht Jahren in Insterburg, geboren und aufgewachsen ist die rührige Rußlanddeutsche in Barnaul am Altai-Gebirge - von Berlin etwa dreimal soweit entfernt wie Moskau. Dorthin hatte man ihre Eltern 1941 aus der Wolgarepublik verschleppt. "In Rußland waren wir die Deutschen, manche nannten uns Faschisten, im Bundesgebiet bezeichnet man uns als Russen. In der Königsberger Region fühle ich mich hingegen sehr gut aufgehoben." In ihrem leicht russisch eingefärbten Deutsch ist der altschwäbische Einschlag der Wolgadeutschen unüberhörbar präsent. Mit den vertriebenen Insterburgern hat sie sich schnell angefreundet. "Das Schicksal der Ostpreußen und der Rußlanddeutschen ist sehr ähnlich. Beide wurden gewaltsam vertrieben. Wir verstehen uns sehr gut." Eben noch hatte Olga Vollmer anhand von Schautafeln des BdV einem ostpreußischen Ehepaar den langen Leidensweg ihrer Volksgruppe ab 1941 erläutern können. Im Leben von Ursel Dörr klaffte über Jahrzehnte ein schmerzliches Loch. "Ich war mir sehr bewußt, wer ich bin, wußte aber nicht, woher ich komme - irgendwie schien ich aus dem Nichts gekommen zu sein." Die Malerin wurde im März 1944 in Osterode geboren. Viele ihrer Altersgenossen sind noch im Säuglingsalter in den Armen ihrer Mutter auf der Flucht durch Eis und Schnee erfroren. Die kleine Ursel hatte Glück: Ihr Großvater schaffte es, die ganze Familie mit einem der letzten Züge am 21. Januar 1945 nach Westen zu bringen. Erst 1987 gelangte Dörr in das Heimatdorf ihres längst verstorbenen, resoluten Schutzengels von damals. Hier, im Dorf des Großvaters, schloß sich die Lücke. Von da an malte Ursel Dörr Aquarelle ihrer Urheimat Ostpreußen, oft in den leuchtenden Farben des Herbstes. Oder sie porträtiert die feinen Schleier eines Wintertages - dann sind es stille Bilder, fein schimmernde Konturen wie von einer japanischen Tuschezeichnung. Dabei bleibt sie jedoch stets gegenständlich: "Ich male es, so wie ich es sehe". Wie sie es sieht - die neugewonnene Ruhe und die Freude über die entdeckte Heimat nämlich spiegeln sich bei aller Gegenständlichkeit in jedem Werk. Einen Teil ihrer Verkaufserlöse stiftet Ursel Dörr für Projekte in Ostpreußen, so für die Kirche in Großvaters Heimatort Rapatten. So einfach wie Dörr macht es LO-Kunstpreisträger Rudolf Kimmina dem Betrachter nicht, den Gegenstand seiner Bilder zu entschlüsseln. Auf den ersten Blick wirken sie wie ein wildes Mosaik bunter Farbflächen. "Wer den Inhalt der Bilder nicht kennt, sieht nur das ästhetische Phänomen." Bei genauerem Hinsehen erst enthüllen sich Landschaften, Tiere, Gebäude - wobei es die optische Erschließung der Gemälde nicht gerade erleichtert, daß Kimmina ganz auf Perspektive verzichtet. Mit Bedacht: "Keine Lügerei durch Raumillusion", lautet die Devise des Puristen. Da dürfte Kimmina in Herdin Radtke einen leidenschaftlichen Widersacher finden. Barocke Opulenz zeichnet die Stilleben des gebürtigen Rastenburgers aus - und der Wille zur technischen Perfektion. Wer malen will, solle erst einmal die Technik richtig erlernen, wie die Klassiker. Die meisten modernistischen Maler hätten ein ebenso simples wie fürchterliches Manko - sie könnten schlicht und ergreifend nicht malen. Radtke, Jahrgang 1943, lebt seit zwölf Jahren in Südfrankreich, wo er mit seinem Stil, den er "Pomponismus" nennt, großen Erfolg habe, wie er zufrieden feststellt. Mit Ostpreußen verbindet Multitalent Radtke heute vor allem seine Liebe zum Volkslied. Vor seinem mitgebrachten plüschigen Zigeunerwagen gibt der graubärtige Barde in Leipzig so allerlei alte Weisen zum besten. Und beweist - Mut zu ein wenig Romantik muß nur stilsicher dargebracht werden und aus der Seele kommen, dann bleibt die Grenze zum Kitsch in sicherer Entfernung. Inge Kies' Gemälde rufen die schlimme Erinnerung an Leid, Not und Tod der Vertreibung, der Flucht und der Deportation wach. Vor einen aggressiv roten Hintergrund setzt die Malerin Figuren in schwarzen Konturen mit leichenhaft-weißen Gesichtern. Kindlich und gleichförmig wirken sie - die hilflose Apathie der Verzweiflung in den Augen. Inge Kies läßt sich Schicksale erzählen und malt dabei die Geschichten, welche die Erzählungen in ihrem Kopf freilegen. Es entstehen Werke, die in ihrem Nebeneinander von bewußt naiven Elementen und brutal anklagendem Farbstrich das Auge fesseln sollen. Den Klassikern der bildenden Kunst Ostpreußens hat sich der Sammler Niederhaus verschrieben. Die Majolika-Sammlung des Unternehmers ist längst Legende in den Kreisen der Liebhaber dieses einzigartigen Kunstzweiges der Keramik. In Leipzig präsentiert Niederhaus zudem unbezahlbare Kleinode der Bernsteinverarbeitung. Etwa die bis ins kleinste Detail originalgetreue Nachbildung einer Statue des Großen Kurfürsten und seiner Frau aus dem 17. Jahrhundert und andere Miniaturen aus dem Gold der Ostsee, die den ganzen Gestaltungsspielraum dieses feurig leuchtenden Materials ausfüllen. Im optischen Mittelpunkt seiner Ausstellung hat Niederhaus prunkvolle Danziger Barockmöbel positioniert - großzügig umgeben von den Bernstein- und Majolikawerken. Ganz dem traditionellen Kunsthandwerk hat sich Irene Burchert verschrieben. Noch in Lyck hat Burchert weben gelernt und widmet sich seither dem Webknüpfen traditioneller Bauernteppiche. Ihre Schwester stellt in Leipzig einige, nach historischen Vorbildern gefertigte Hochzeitsteppiche und kleine Decken vor. Volkskunst aus bester Schule wird dem Betrachter geboten. Derb das Material, echte, handgesponnene Skuddenwolle, reich die Muster und Zeichen, die oft nur noch von jenen entschlüsselt werden können, denen die alten Symbole noch geläufig sind. Ob solche Fertigkeiten die Generation derer überleben werden, die das blühende Ostpreußen noch selbst erlebten? Nun, wenigstens halten sie es für die Nachwelt fest - sie und all die anderen Künstler, die in Leipzig einen Überblick von der vitalen Vielfalt meist zeitgenössischer ostpreußischer Kunst ermöglichten. Um einen alten Kulturschatz der Ostprovinz ringt seit vielen Jahren das "Kuratorium Arnau". In unermüdlichem Einsatz kämpft die engagierte Gruppe für den Erhalt und Wiederaufbau der "zweitältesten Ordenskirche Ostpreußens" im Städtchen Arnau, nur wenige Kilometer pregelaufwärts von Königsberg. Jetzt konnte am Leipziger Infostand auf zahlreichen Schautafeln der erste große Erfolg präsentiert werden: Der Turm steht wieder in einstiger Pracht. Im zweiten Abschnitt nun soll das Kirchenschiff instandgesetzt werden. In Leipzig werben Kuratoriumsvorsitzender Ralph Schroeder und seine Mitstreiter nun um Unterstützung für diesen nächsten Kraftakt. Der Pflege alter Schätze widmet sich seit Jahrzehnten auch das Ostpreußische Kulturzentrum im fränkischen Schloß Ellingen. Auf dem diesjährigen Deutschlandtreffen konnte eine kleine Sensation bewundert werden: Die virtuelle Wiederauferstehung des Königsberger Doms in der Computeranimation von Aribert Nieswandt. Der Rosenheimer Professor hat bereits ungeheure Datenmengen über große Teile des Gebäudes verarbeitet und in seinen Rechner eingegeben. Noch ist die Herkulesarbeit nicht fertig - aber bald wird es Dank Nieswandt möglich sein, am Bildschirm einen Rundgang durch den Dom zu machen. Mit einem einfachen Videofilm hat das wenig zu tun. In Nieswandts Dom wird man sich frei umdrehen und seinen Weg selbst bestimmen und in alle Ecken und Winkel blicken können - ganz nach eigener Neugier, so, als stünde man selbst in dem majestätischen Gotteshaus. Doch nicht allein Gebäude sind im nördlichen Ostpreußen akut bedroht. Die Region leidet unter einem überschwappenden Drogenproblem. Seit 1999 betreibt Matthias Burchard in Disselwethen, Kreis Ebenrode/Stallupönen, ein Drogentherapiezentrum für 16 bis 28jährige. Das Haus hatte sein Vater 1996 bis ´98 auf den Resten des Gutshauses seiner Eltern errichtet. Bei totaler Abstinenz werden hier im "Drogentherapiezentrum Snamenka" (so der russische Name für Disselwethen) Abhängige bei Tätigkeiten in der Landwirtschaft, Tierpflege und Hausarbeit zurück auf einen geordneten Lebensweg geführt. Alle Stände von Museen, Künstlern und anderen Ausstellern ausgiebig zu besuchen, überfrachtet beinahe die Sinne. Vollends in Reizüberflutung stürzen die zahlreichen Bernsteinstände, die das edle Material in allen Schattierungen und Verarbeitungsmöglichkeiten feilbieten. Die Sammlung Niederhaus wartet gar mit einem (natürlich unverkäuflichen) 2.400 Gramm schweren Rohling auf. Oder mit einem ganz aus Bernstein gefertigten Modellsegelschiff. Gesellschaftlicher Mittelpunkt der Ausstellungshalle ist zweifellos das "Cafe Lorbaß" des Bundes Junges Ostpreußen. Der richtige Platz zum Ausruhen - wenn man einen Platz ergattert hat auf den stets dicht besetzten Bänken. Bei Musik, Kaffee und Kuchen packte mancher schon vorzeitig sein gerade erst bei den Traditionsanbietern wie Ewald Liedtke oder Schwermer erstandenes Königsberger Marzipan aus. Andere schaffen es damit wenigstens noch in die benachbarte Halle 5, wo sich an endlosen Tisch- und Bankreihen die Kreisgemeinschaften treffen. Rund herum an den Hallenwänden geben Infostände Auskunft über die Arbeit der Gemeinschaften. Mitten in der Halle finden wir auch Olga Vollmer wieder, die sich zu ihren Insterburgern gesellt hat. Ob sie sich über unseren Besuch freut? Gemischte Gefühle, denn jetzt haben wir unseren Fotographen mitgebracht. Olga ist ein bißchen verlegen. Wir machen es kurz mit den Bildern und verschwinden schnell wieder im Getümmel der brausenden Halle. Olga und ihre Freunde haben sich viel zu erzählen. Da wollen wir nicht weiter stören. _______________________ "Gesellschaftlicher Mittelpunkt" der Ausstellungshalle in Leipzig: Im Cafe Lorbaß gab es nicht bloß Kaffee und Kuchen. Hier informierte der Bund Junges Ostpreußen ausführlich über seine um- fangreichen Aktivitäten Unbezahlbare Kleinodien der Bernsteinkunst: Die originalgetreue Nachbildung einer Statue des Großen Kurfürsten und seiner Frau aus dem 17. Jahrhundert. Die perfekte Kopie gehört heute zur Sammlung Niederhaus, die vor allem durch ihren Schatz an Cadiner Majolika-Werken bekannt wurde, jener typisch ostpreußischen Keramik-Artefakte
|
|