Bei der Stadt Ragnit [Neman, Неман] an der Memel,
aber drüben jenseits des Flusses, erhebt sich ein bewaldeter und zerklüfteter
Berg, der heißt Rombinus. Vorzeiten war auf ihm der alten Litauen berühmtestes
und größtes Heiligtum, mit einem riesigen Steinaltar, auf welchem dem Gotte
Potrimpos seine Opfer dargebracht wurden. Der Gott selbst sollte diesen Stein an
jenen Ort gelegt haben und unter denselben eine goldene Schüssel und eine
silberne Egge begraben, weil er der Gott der Fruchtbarkeit und der Ernte. Da war
des Opferns auf dem Rombinus kein Ende, und die Sage ging schon damals, solange
der Stein auf dem Berge liege, werde Litauen in Glückesblüte stehen, würde aber
der Stein hinweggerückt, so werde der Berg selbst einstürzen und Unglück das
Land heimsuchen, und diese Sage ging von einem Jahrhundert in das andere, als
längst keine Opfer mehr auf dem Rombinus gebracht wurden.
Da kam - im Jahre 1811 soll es geschehen sein - ein deutscher Müller nach dem
Dörfchen Barten (Bardehnen) nordöstlich vom Rombinus, der wollte zwei neue
Windmühlen anlegen und suchte in der Gegend umher nach festen Steinen. Da kam er
auch auf den Rombinus, und der Opferstein dünkte ihm baß geeignet zu seinem
Werke. Allein die Umwohner sagten ihm, diesen Stein dürfe er nicht wegnehmen,
von dem hange das Glück des Landes ab. Der Müller sagte den Leuten, daß sie noch
im heidnischen Aberglauben befangen seien, ging zum Landrat und ließ sich die
Erlaubnis schriftlich geben, den Stein wegnehmen zu dürfen. Diese erhielt er,
denn der Landrat wollte nicht minder aufgeklärt sein wie ein deutscher
Windmüller. Aber siehe da, die Erlaubnis half erst recht nichts, denn es rührte
kein Arbeiter ringsumher eine Hand, auch nicht um den reichsten Lohn, den der
Müller bot. Jetzt mußte der Müller erst im Lande herumreisen, sich herzhafte und
nicht abergläubische Leute zu suchen. Endlich fand er nach langer Mühe drei
kecke Gesellen, die erboten sich, den Stein zu sprengen und vom Berge
wegzuführen, es war aber keiner von ihnen aus der Nähe des Rombinus. Einer war
aus Gumbinnen, der zweite aus Tilsit und der dritte aus Altpreußen bei Tilsit.
Jetzt gingen die vier Männer zum Rombinus hinauf und begannen die Arbeit. Der
Müller tat den ersten Schlag auf den Stein, da fuhren zwei Splitter davon, die
schossen ihm in die Augen, daß er alsobald erblindete und blind blieb sein
Lebelang; vielleicht, daß er noch am Leben ist. Der Geselle aus Tilsit krellte
sich beim zweiten Schlag, den er tat, den Arm so stark, daß ihm die Markröhre
zersprang und er einen dritten Schlag nicht tun konnte. Aber den beiden andern
Gesellen geschahe nichts, sie ließen sich auch nicht warnen, überwältigten den
Stein und schafften ihn vom Berge herab. Als aber der Gumbinner Geselle nach
getaner Arbeit wieder in seine Heimat wanderte, hat er diese nimmer erreicht und
ist elendiglich am Wege hinter einem Zaun verstorben. Die goldene Schüssel und
die silberne Egge, von der die Sage ging, hat keiner gefunden. Seit der Stein
hinweg war, begann der Memelstrom am Berge zu arbeiten und zu nagen und ihn zu
unterhöhlen, und im Jahre 1835, im September, geschahe nachts ein
donnerähnliches Krachen und war ein großes Stück des Rombinus eingestürzt, und
viele fürchteten, es werde noch mehr einstürzen und die alte
Unglücksprophezeiung sich erfüllen.
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