Warschaus Anwalt für
Ostdeutschland
Wandelnde
Geschichtsbetrachtungen des stellvertretenden Leiters des Deutschen Historischen
Instituts in Warschau Andreas Kossert
von Werner Becker
Spätestens
2008 rückte ein jüngerer Historiker mit ostdeutschen Wurzeln ins Rampenlicht der
Öffentlichkeit: Andreas Kossert. Seine bisher
wichtigste Auszeichnung war die am 5. Oktober erfolgte Ehrung mit dem
Georg-Dehio-Buchpreis 2008 für sein Werk "Ostpreußen. Geschichte und Mythos"
(JF 10/06). Kosserts Lebensweg ist aber nicht
nur interessant, weil er über die Historie Ostpreußens und darüber hinaus die
Vertreibungsschicksale von Deutschen mit beachtlichem Fleiß publizierte, sondern
weil seine wissenschaftliche Karriere ein exemplarisches Licht auf die
ideologischen Voraussetzungen medialer Anerkennung wirft.
Seit Ende 2005 ist der aus einer masurischen
Familie stammende, 1970 in Hannoversch Münden geborene Jungwissenschaftler
stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in
Warschau. Dieses weist in Themenauswahl und -gestaltung eine unverkennbare
polonophile Ausrichtung auf, die Kossert früher
als unwissenschaftliche Äußerungen des Zeitgeists weit von sich gewiesen hätte.
Noch während seines Studiums der Geschichte, Slawistik und Politik offenbarte er
eine kompromißlose Begeisterung für das deutsche Geschichts- und Kulturerbe
Ostpreußens. So verteidigte er unnachgiebige Haltungen von
Vertriebenenfunktionären und engagierte sich über lange Jahre im Heimatkreis der
Ostpreußischen Landsmannschaft.
Nach
seiner von Klaus Zernack betreuten Promotion in Berlin erklomm
Kossert immer höhere Stufen der Karriereleiter
und distanzierte sich von den einstigen Überzeugungen. Selbst würde er diesen
Wandel wohl als Reifeprozeß und wachsende Einsicht in die Vielschichtigkeit
historischer Entwicklungen bewerten. Tatsächlich folgen seine offene
Polonophilie kaum mehr verbergenden Publikationen längst
geschichtswissenschaftlichen Moden. Das fängt bei seiner Promotion an, die 2001
vom DHI auszugsweise unter dem Titel "Preußen, Deutsche oder Polen? Die
Masuren im Spannungsfeld des ethnischen Nationalismus 1870-1956" (JF 26/03)
herausgegeben wurde. Seine durchaus legitime und offen gezeigte Sympathie für
dieses kleine slawische Völkchen mündet in eine tiefideologische Antipathie
gegen jedweden integralen Nationalismus, insbesondere aber gegen die
"Masurenpolitik" des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1945. Die für die
deutsche Gesinnung dieser ostpreußischen Bevölkerungsgruppe aufschlußreiche
Volksabstimmung vom 11. Juli 1920 (99,3 Prozent stimmten gegen die polnischen
Ansprüche) bewertete er folglich als Folge nationalistischer
"Instrumentalisierung" der Masuren und Resultat einer "planmäßigen
propagandistischen Vorbereitung".
Im
zeitgleich erschienenen, ebenfalls auf der Doktorarbeit basierenden Buch
"Masuren. Ostpreußens vergessener Süden" (JF 27/02) sowie in seinem Werk
"Ostpreußen: Geschichte und Mythos" (2005) beschwört Andreas
Kossert dann die gute alte Zeit des
vornationalen "multiethnischen Preußen", das im 19. und 20. Jahrhundert nicht
zuletzt am preußisch-deutschen "Chauvinismus" zugrunde gegangen sei. Die
Behauptung, die Ursprünge Preußens könnten "kaum nichtdeutscher sein", weil es
seine Wurzeln in der "nichtdeutschen Welt der Balten hatte", entspringt ebenso
dem multikulturalistischen Ansatz Kosserts wie
der Hinweis, im "Einwanderungsland Ostpreußen" habe sich das Schriftdeutsch erst
seit der Mitte des 16. Jahrhunderts durchgesetzt - als ob dies in westlicheren
Regionen des deutschen Sprachraumes schon vor der Erfindung des Buchdrucks und
der Reformation der Fall gewesen wäre. Seine berechtigte Kritik am
"Germanisierungswahn" im wilhelminischen Deutschland und vor allem im Dritten
Reich paart sich in allen seinen Büchern mit der Apologie eines bis weit ins 19.
Jahrhundert und darüber hinaus prägenden multikulturellen Charakters des
ostmitteleuropäischen Raums, wie er derart idealisiert nur aus einer modischen,
ideologiebefrachteten Position heraus gesehen werden kann.
In
Kosserts
vorletzter Veröffentlichung "Kalte
Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945" (JF 51/08)
stößt man nicht nur auf anerkennenswerte Bemerkungen über die Rolle der
Vertriebenen als Wahrer der Erinnerung an den historischen deutschen Osten und
Brückenbauer gegenüber den ostmitteleuropäischen Nachbarvölkern sowie auf die
anregende Hauptthese, daß die offiziell beschworene geglückte Integration der
Vertriebenen nach 1945 nur ein Mythos sei. Neben der Kritik an der noch immer
verbreiteten "Verhöhnung deutscher Vertreibungsopfer" findet sich auch eine im
Einzelfall angemessene, insgesamt aber weit überzogene Schelte des Bundes der
Vertriebenen (BdV), die die angebliche "Radikalisierung der
Vertriebenenverbände" und deren Deutschtumszentrierung und Revanchismus in den
Mittelpunkt stellt. Andreas Kossert weiß, was
historische Publizistik in diesem verminten Gelände verlangt, wenn es
öffentlichen Beifall geben soll.
Dementsprechend beinhaltet auch sein stilistisch
erneut ansprechendes jüngstes Werk "Damals in Ostpreußen: Der Untergang einer
deutschen Provinz" (München, 2008) eine sprachlich verharmlosende Relativierung
deutscher Opfer, wie sie sich zum Beispiel in der nahezu ausschließlichen
Betonung des Massakers von
Nemmersdorf
im Oktober 1944 als NS-Propagandathema und nicht als schreckliches Verbrechen an
wehrlosen Zivilisten offenbart.
Trotz dieser Zeugnisse einer politisch korrekten,
offenbar sehr weitgehenden inhaltlichen Anpassungsbereitschaft muß man den
Verfasser dagegen in seinem Ansatz loben, die Geschichte Ostpreußens nicht 1945
enden zu lassen und der einzigartigen Kultur dieses Landes - auch im Bewußtsein
möglichst vieler Deutscher - somit eine Zukunft zu geben.
Im Schlußkapitel "Was bleibt? Ostpreußen im
Gedächtnis der Deutschen" formuliert Kossert
ebenjenes nachfolgende Credo: "Jenseits der politischen Ereignisgeschichte ist
Ostpreußen ein Beispiel für die grenzüberschreitende Kraft der Kultur. Es
herauszulösen aus dem deutschtumsbezogenen Kontext, bedeutet, die Geschichte
Ostpreußens nach 1945 fortzuschreiben, denn sie hört nicht mit dem Exodus der
Deutschen auf. Eine im eigenen rückwärtsgewandten Geschichtsbild erstarrte
Position kann das Neue nicht sehen, die Veränderung, die dynamische und zuweilen
auch schmerzhafte kulturelle Aneignung Ostpreußens durch seine jetzigen
Bewohner. Etwas Revolutionäres geht vor: Ostpreußen wächst für Russen, Polen und
Litauer allmählich über den historischen Landschaftsnamen hinaus zu einer als
Einheit begriffenen europäischen Kulturlandschaft zusammen."