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"Die deutsche Minderheit hat zu viele Rechte" Es hagelt schlechte Nachrichten aus Oberschlesien. Erst verkündet der Fiat-Konzern, in seinem dortigen Werk wegen Absatzeinbrüchen 1500 Arbeiter zu entlassen. Dann meldet eine Schule einen Tuberkulosefall. Und jetzt das: Jaroslaw Kaczynski macht gegen die deutsche Minderheit mobil. Am Wochenende trat der Oppositionsführer vor großem Publikum in der Universität in Oppeln (Opole) auf. Er kündigte an, wenn seine Partei an die Macht komme, werde sie folgende Regel anwenden: "Die Deutschen in Polen bekommen so viele Rechte wie die Polen in Deutschland. Die Asymmetrie wird abgeschafft." Kaczynski forderte, die Befreiung der nationalen Minderheiten von der Fünfprozenthürde in den polnischen Parlamentswahlen aufzuheben. Da die Deutschen es als einzige Minderheit auf diese Weise geschafft hätten, ins Parlament zu kommen, und derzeit nur mit einem Mandat vertreten seien, sei diese Regel überflüssig. "Warschau liegt vor Berlin auf dem Bauch" Gegen die Regelung, dass Gemeinden mit einem Minderheitenanteil von 20 Prozent zweisprachige Ortsschilder aufstellen können, hatte er nichts einzuwenden. Doch die "idealistische" Politik der polnischen Regierungen, den Minderheiten im eigenen Land Rechte zuzugestehen, ohne etwas für die Polen in anderen Ländern zu fordern, müsse ein Ende haben. Die Warschauer Regierung liege vor Berlin nicht mehr "auf den Knien, sondern auf dem Bauch". Ein Abgeordneter aus Oberschlesien sekundierte seinem Parteivorsitzenden, die deutsche Minderheit und die oberschlesische Autonomiebewegung inszenierten "ständige Zwischenfälle und Provokationen", welche den Bürgern in der Region "ein ruhiges Leben unmöglich machen". Die Aussagen Kaczynskis riefen heftige Reaktionen hervor. In den Hauptnachrichtensendungen kam Ryszard Galla zu Wort, der Abgeordnete der deutschen Minderheit. "Ich hoffe, dass die (Kaczynski-Partei) PiS nicht an die Macht kommt", sagte er. "Es ist ein Fehler, mit der Frage der deutschen Minderheit zu spielen." Runder Tisch von Deutschen und Polen Führende Politiker der regierenden Bürgerplattform und der linken Parteien kritisierten Kaczynskis Äußerungen als "barbarisch". Damit sollten die Polen gegen Minderheiten und Nachbarländer aufgehetzt werden. Weitere Kritiker argumentierten, solche Auftritte erschwerten den Einsatz für die polnische Minderheit in Polens östlichen Nachbarländern. Erstmals behandeln die Bundesregierung und die polnische Regierung jetzt die Anliegen der Deutschen in Polen und der Polen in Deutschland an einem gemeinsamen runden Tisch. Dabei wurden auch für die Polen in Deutschland, die sogenannte Polonia, im vergangenen Jahr Verbesserungen erzielt. So wurde in Berlin eine Polonia-Koordinationsstelle mit einer Arbeitskraft gegründet, in Bochum wird eine Dokumentationsstelle entstehen, die die Geschichte der Polen in Deutschland erforschen soll. Auf einem Kongress in Berlin am vergangenen Wochenende forderte Wieslaw Lewicki vom Konvent Polnischer Organisationen in Deutschland, in Berlin einen "Erinnerungsort" an die polnischen Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. Oberschlesien leidet unter Abwanderung "Unser Kongress wendet sich heute an die deutsche Regierung, diesen Punkt (der deutsch-polnischen Vereinbarungen) zu verwirklichen und nicht länger aufzuschieben." Dies hatte kürzlich auch der polnische Staatssekretär und frühere Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski gefordert. Der Auftritt Kaczynski kommt in einer Zeit, in der die Region Oberschlesien ihre Identität neu definiert und zugleich unter Abwanderung leidet. Hier wohnen die meisten Deutschen. Allerdings bekennen sich nach der Volkszählung 2011 nur noch 126.000 Bürger Polens zur deutschen Volkszugehörigkeit, während 817.000 sich als Oberschlesier definieren. Darin kommt ein Regionalbewusstsein zum Ausdruck, das auch zu Forderungen nach mehr Autonomie geführt hat. In den zwei Wojewodschaften (Bezirken) der Region wohnen insgesamt 4,6 Millionen Menschen, zugleich ist Oberschlesien das größte Industrierevier Polens. Ziel ist vor allem Deutschland Etwa eine Million Menschen, großenteils Deutschstämmige, sind in den vergangenen 40 Jahren ausgewandert, vor allem nach Deutschland. Die Zahl der Arbeitsmigranten ist weiterhin hoch, bis 2035 droht die Bevölkerung in der Region Oppeln um weitere zwölf Prozent zu schrumpfen. Viele Kinder, sogenannte "Euro-Waisen", wachsen ohne ein oder beide Elternteile auf. Die Geburtenrate, die in Polen seit den 90er-Jahren gesunken und beim niedrigen deutschen Niveau angekommen ist, ist hier noch erheblich niedriger als im Landesdurchschnitt. Deshalb hat die Bezirksregierung die Region jetzt zur "Demografischen Sonderzone" erklärt. Mit hohen Summen, unter anderem aus dem EU-Kohäsionsfonds, sollen ein zusätzliches Kindergeld gezahlt, Krippenplätze und Arbeitsplätze geschaffen und Kleinunternehmer unterstützt werden. Das soll der Entvölkerung entgegenwirken. Premier Tusk ist skeptisch Polens Premier Donald Tusk war kürzlich Gast einer Demografiekonferenz in Oppeln. Er äußerte jedoch Zweifel, ob ein solches Programm sofort helfen könne. Auswanderung werde der Region noch "über viele Jahre" zu schaffen machen. Langfristig würden hoffentlich der wirtschaftliche Aufschwung Polens und mehr Offenheit für Migranten aus den östlichen Nachbarländern die demografische Entwicklung verbessern, auch wenn die Geburtenrate nicht unbedingt steigen werde. "Es ist schade um jeden Oppelner, der auswandert, und um jedes nicht geborene Kind. Machen wir uns also an die Arbeit, wie auch immer ihr das versteht."
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