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Kommentar Es ist ein Skandal, dass Erika Steinbach am Reden gehindert wurde und kaum jemand protestierte. Mögen die Deutschen die Freiheit noch immer nicht? Der Vorfall war unglaublich. Noch unglaublicher aber ist, dass er kaum Proteste auslöste und niemanden so richtig erzürnte. Das Historische Institut und das Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam hatten eine Idee gehabt. Man lud Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, zu einer vierteiligen Vortragsreihe ein. Thema: "Die Siedlungsgeschichte der Deutschen in Ostmitteleuropa". Indes, die Vorlesungen fanden nicht statt. Linke Studentenorganisationen meldeten Protest an, und zu Beginn der ersten Veranstaltung verhinderten 50 bis 100 Demonstranten mit Sitzblockaden die Vorlesung. Die Universität der Stadt, in der durch das Toleranzedikt von 1685 viele hugenottische Glaubensflüchtlinge Aufnahme gefunden hatten, signalisierte, sie sei nicht in der Lage, die Sicherheit der Veranstaltung zu garantieren. Daraufhin sagte Erika Steinbach ihre Vortragsreihe ganz ab: Die Universität gab das umgehend bekannt - ohne auch nur ein Wort des Bedauerns. Die öffentliche Empörung, die diesem Skandal folgte, hielt sich in äußerst engen Grenzen. Die intellektuelle Elite des Landes hüllte sich weithin in ein interesseloses - vielleicht auch klammheimlich erfreutes? - Schweigen. Und keine Institution sah sich, so weit bekannt, veranlasst, diese Niederlage des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht hinzunehmen und der Rednerin ein anderes Podium anzubieten, einfach um des freiheitlichen Prinzips willen. Das vergangene Jahrhundert war - vor allem in seiner ersten Hälfte - ein hoch ideologisches Jahrhundert gewesen. Und zu seiner Aggressivität gehörte der unbedingte Wille an den extremen Rändern rechts und links, den jeweiligen Gegner so hart wie nur möglich anzugehen. Es war da ein radikal ausgrenzender Vernichtungsimpuls am Werk, der oft genug auf die physische Vernichtung des Feindes zielte. Wo das nicht möglich war, galt es zumindest, die andere Seite an der Selbstdarstellung, am Reden zu hindern. Die diskursverhindernde Saalschlacht gehört zum festen Inventar des 20. Jahrhunderts. Und leider erlebte sie - nach zwei Jahrzehnten Verwestlichung - in der studentischen Rebellion Ende der 60er-Jahre eine gewisse Renaissance. Es ging nicht so blutig zu wie während der Weimarer Republik, aber oft ähnlich intolerant. Liberale Professoren, die vor den Nazis geflohen und nun zurückgekehrt waren, mussten erleben, dass man ihnen das Wort entzog, ihre Vorlesungen "sprengte" und sie aus ihren Instituten vertrieb. Es war ein trauriger Höhepunkt des studentischen Protestes, der doch im Namen der Freiheit begonnen hatte. In Deutschland fehlt die Tradition der Freiheit zwar nicht, aber sie war stets schwach. Und es mangelte an dem Gespür, dass es immer um sehr viel und sehr Grundsätzliches geht, wenn das Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht ist. Dass eine offene Gesellschaft sie braucht wie die Luft zum Atmen: Das ist in Deutschland keine allgemein geteilte Ansicht. Wenn A am Reden gehindert wird, kümmert B das nicht unbedingt. Warum muss er oder sie denn auch unbedingt dies und das sagen wollen, wo es doch so viele gibt, die sich dadurch brüskiert fühlen könnten? Dass ihn das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht schert, hat der Sprecher der gegen Erika Steinbach Protestierenden klipp und klar bekannt. Man habe, sagte er in dankenswerter Offenheit, einfach nicht hinnehmen können, dass diese ihre Sicht der Dinge darlege. Und er fügte, sprachlich nah am Duktus der Nazi-Rhetorik, hinzu, hier handele es sich ja um "geistigen Unrat". Linke wie er zitieren gerne einen in sich schlüssigen Satz von Rosa Luxemburg, die eine erklärte Gegnerin von Demokratie und offener Gesellschaft war. Freiheit, so lautet er, sei immer die Freiheit der Andersdenkenden. Das Seltsame ist, dass viele Linke das Andersdenken exklusiv für sich selbst reservieren - und damit wirklich anders Denkende aus dem Kreis derer ausschließen, die sich solcher Freiheit erfreuen dürfen. Traurig, dass die Liberalisierungsbäder der 80er- und 90er-Jahre nicht ausgereicht haben, diesen bösen Spuk endlich zu bannen. Wäre das elende Stück, das an der Universität Potsdam gegeben wurde, nicht ein Fall für Gesine Schwan?
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