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Wird Hindenburg zu Recht getilgt? Als am 2. August 1934 der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg verstarb, schrieb Thomas Manns Schwiegermutter Hedwig Pringsheim, eine kluge gebildete Frau aus einer hochgeachteten jüdischen Familie, an ihre Tochter Katja: „Der gute alte Hindenburg, den wir so treu gewählt haben, ist in die Ewigkeit eingegangen und wir trauern.“ 80 Jahre später ist aus dem „guten alten Hindenburg“ für die SPD, die Grünen, „Die Linke“ und den Südschleswigschen Wählerverein in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel ein böser geworden: Das Hindenburgufer verlor seinen Namen und wurde zur „Kiellinie“. Es war nicht die erste Umbenennung. Auch in anderen Städten und Gemeinden waren politische Putzkolonnen am Werk, so in Münster in Westfalen. Es steht zu befürchten, dass diese aus politischer Korrektheit und historischer Unwissenheit genährte Bilderstürmerei nicht aufhören wird, bis auch das letzte Straßenschild gereinigt ist, immer mit dem Argument, Hindenburg habe Hitler an die Macht gebracht. Doch was ist die Wahrheit? Unbestreitbar ist jedenfalls, dass Hindenburg im August 1914 Ostpreußen vor der Besetzung durch die russischen Armeen bewahrt hat, womit den Menschen in Ostpreußen vermutlich viel Leid erspart geblieben ist. Aus der Rettung Ostpreußens kann Hindenburg selbst von politisch Linksstehenden kein Vorwurf gemacht werden; denn es handelte sich bei den Angreifern um Truppen des Zaren von Russland, und die These von der Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg hat sich inzwischen – interessanterweise vor allem durch Forschungen ausländischer Historiker – als Mythos erwiesen. Tiefgreifende Kritik an Hindenburg kann sich also, wenn überhaupt, nur aus seiner Amtsführung in der Zeit der Weimarer Republik als Reichspräsident ergeben. Zur Erinnerung: Paul von Hindenburg war 1925 als Nachfolger von Friedrich Ebert (SPD) zum Reichspräsidenten gewählt worden. In der zeitgenössischen staatsrechtlichen Beurteilung werden Hindenburg und Ebert einander gleichgestellt: „beide von ehernem Pflichtgefühl beseelte, aufrechte Männer von schlichter Größe und vorbildlicher Gewissenhaftigkeit, klug, bedächtig, behutsam, maßvoll, mit feinem Takt über dem Parteigetriebe von hoher Warte aus als treue Hüter der Verfassung wachend, innerhalb der verfassungsmäßigen Befugnisse leitend und ratend, ausgleichend und mäßigend tätig ... Gerechterweise muss der Erfolg ihrer Tätigkeit an der Schwere der Arbeit gemessen werden“ (Heinrich Pohl, in: „Handbuch des Staatsrechts“, Bd. 1, 1930, Seite 502). Wie viele seiner Mitbürger war Hindenburg in seinem Herzen wohl ein Monarchist, hatte aber 1918 den Thronverzicht des Kaisers befürwortet und hat als Reichspräsident loyal zur Republik gestanden. Bemerkenswert – aber in Deutschland heute kaum bekannt – ist in diesem Zusammenhang, dass die Universität Oxford im Frühjahr 1932 beschloss, Hindenburg einen Ehrendoktor zu verleihen, weil dessen standhafte Verteidigung der Weimarer Verfassung ihm in Großbritannien Anerkennung eingebracht hatte. Zur Realisierung des Beschlusses kam es nur deshalb nicht, weil man Hitler als Hindenburgs Rivalen beim Kampf um das Amt des Reichspräsidenten nicht beleidigen wollte und die wachsende Unterstützung Hitlers in der deutschen Bevölkerung nicht ignorieren mochte. Im selben Jahr hatte sich eine breite Volksinitiative unter dem Motto „Das Volk will Hindenburg“ für seine Wiederwahl zum Reichspräsidenten ausgesprochen. Unter den Initiatoren befanden sich Gustav Noske, Gerhart Hauptmann, Max Liebermann und Max Slevogt, später auch Konrad Adenauer und Ernst Robert Curtius. Der zunächst noch zögernde, im 84. Lebensjahr stehende Hindenburg wurde schließlich durch die über zwei Millionen Unterschriften, die sich in den von der „Frankfurter Zeitung“ aufgelegten Eintragungslisten für seine Kandidatur ausgesprochen hatten, bewogen, seine erneute Kandidatur zu erklären. Hindenburg trat gegen Hitler und gegen Ernst Thälmann an; der zweite Wahlgang wurde zu einem Triumph Hindenburgs (19,3 Millionen Stimmen) und zu einer Niederlage Hitlers (13,4 Millionen Stimmen) – eine Niederlage, die Hitler dem Wahlsieger nicht verzeihen würde. Aber: Die braune Flut stieg. Der Reichstag war gelähmt. Die innenpolitischen Turbulenzen, verschärft durch die Weltwirtschaftskrise, führten zur Bildung von Präsidialkabinetten (Franz von Papen, Kurt von Schleicher) und zu sogenannten Notverordnungen. Eine Koalition von NSDAP mit Deutsch-nationaler Volkspartei bot sich als vermeintlicher Retter aus der Krise an. So kam es, dass Hitler von Hindenburg am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, ein Schritt, den Hindenburg nur zögernd, widerwillig und unter dem Druck einflussreicher Kreise ging, ein Schritt, der heute als unverzeihlich kritisiert wird. Nur: Was war damals die Alternative? Konnte oder musste man schon zu jenem Zeitpunkt (nicht: heute) wissen, was sich daraus entwickeln würde? Hans Sahl, 1902 als Sohn eines jüdischen Industriellen in Dresden geboren, erfolgreicher Film-, Theater- und Literaturkritiker in den 20er Jahren, schreibt dazu in seinem Buch „Die Wenigen und die Vielen“: „Es war alles legal zugegangen. Der Präsident hatte den Vertreter der stärksten Partei mit der Bildung der neuen Regierung beauftragt. Sollte der Mann seiner Aufgabe nicht gewachsen sein, so würde man ihn ganz einfach absetzen. Schluss. Nur nicht die Nerven verlieren. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Selbst der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Reichstag, Rudolf Breitscheid, erklärte, Hitler sei „Reichskanzler auf legalem Wege geworden, nicht durch einen Putsch, durch einen Marsch auf Berlin“. Deshalb wolle man, so Breitscheid, „den Kampf auf dem Boden der Verfassung führen“; wenn Hitler „die demokratische Maske abwirft“ gelte die Losung: „Bereit sein ist alles.“ Wie wir heute wissen, waren nur Hitler und seine Gefolgsleute bereit zu allem, allerdings in einem ganz anderen Sinne. Breitscheid wurde 1944 im KZ Buchenwald ermordet. Am 1. August 1934 erließ die Hitler-Regierung ein Gesetz, durch welches das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers Adolf Hitler vereinigt wurde. Das Schamlose an diesem Gesetz war sein Paragraf 2: „Dieses Gesetz tritt mit Wirkung von dem Zeitpunkt des Ablebens des Reichspräsidenten von Hindenburg in Kraft.“ Der zu diesem Zeitpunkt noch lebende Hindenburg wurde damit schon als Toter behandelt. Nun – im Jahre 2014 – wird Hindenburgs Name auf Straßenschildern getilgt. Wir leben in einem Land, in dem ein Hindenburgufer in Kiel umbenannt wird, eine Ilja-Ehrenburg-Straße in Rostock aber ihren Namen behält.
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