|  |  | Der lange 
Anlauf zum Zweiten WeltkriegDie 
Annexion des Memellandes im Januar 1923 - Teil 2
 von 
Brigadegeneral a. D. Gerd Schultze-Rhonhof
 
 In den Jahren 1934 und 35 belastet ein weiteres 
Ereignis das Memel-Litauen-Verhältnis: der Kriegsgerichtsprozeß von Kaunas. Ab 
Februar 1934 werden ein paar hundert Deutschmemelländer verhaftet und 
verdächtigt, einen Aufstand zur Befreiung des Memelgebiets geplant zu haben. Im 
Januar 1935 stehen 126 Memelländer in Kaunas vor den Schranken des litauischen 
Kriegsgerichts. Ihnen werden „die Aufrechterhaltung des Deutschtums im 
Memelgebiet als staatsfeindliche Haltung“, Waffenbesitz, Geländespiele und zwei 
Racheakte an Litauern nachgewiesen. Die Vorbereitung eines bewaffneten 
Aufstandes ist jedoch nicht zu beweisen. Die Urteile lauten viermal Tod durch 
Erschießen und 89mal Zuchthausstrafen von verschiedener Dauer. Die Todesurteile 
werden später in Zuchthausstrafen umgewandelt. Der Kaunas-Prozeß mit dem 
Anklagepunkt „Aufrechterhaltung des Deutschtums“ verletzt nicht nur die Präambel 
des Memelstatuts, er findet auch im Deutschen Reich ein starkes Echo. In 34 
deutschen Städten gibt es Demonstrationen gegen das Urteil. Das 
deutsch-litauische Verhältnis wandelt sich von kalt zu frostig. Im Laufe des Jahres 1935 bemüht sich Litauen, 
einen Nichtangriffspakt mit dem Deutschen Reich zu schließen. Die 
Reichsregierung lehnt das ab mit Hinweis auf die zu oft verletzte 
Memelkonvention. 1936 verbessern sich zunächst die Wirtschaftsbeziehungen 
zwischen beiden Ländern. Ein Nichtangriffspakt kommt trotzdem wieder nicht 
zustande. Statt dessen übergibt die Reichsregierung der litauischen Regierung im 
März 1938 eine Note mit dem Verlangen, die Memelkonvention ohne Abstrich 
einzuhalten. Die Note besteht aus „11 Klagepunkten“, von denen die 
Reichsregierung fordert, sie alsbald abzustellen. Die Klagepunkte sind: der 
Kriegszustand seit 1926, die Beschränkungen der Vereins-, Versammlungs- und 
Pressefreiheit, Verhaftungen durch den litauischen Kriegskommandanten und die 
litauische Politische Polizei, die weitgehende Lahmlegung der gesetzgeberischen 
Tätigkeiten des Memeler Landtags durch das häufige Veto des litauischen 
Gouverneurs im Gegensatz zu den Bestimmungen der Konvention, unangemessen 
umfangreiche Enteignungen von Memeldeutschen im Memeler Stadtgebiet im September 
1937, Druck auf die Betriebe, deutsche durch litauische Arbeitskräfte zu 
ersetzen, und so weiter. Bemerkenswert bei der Note der „11 Klagepunkte“ ist, 
daß die Reichsregierung mit keiner Silbe das Verlangen äußert, das Memelland an 
Deutschland abzutreten. Die außenpolitische Lage Litauens wird 1938 
brenzlig. Polen zwingt Litauen unter Androhung eines Krieges, ihre Annexion der 
Stadt Wilna von 1920 völkerrechtlich anzuerkennen. Die zwei Verbündeten der 
Litauer, die Franzosen und Russen, lassen Litauen in diesem Streit mit Polen 
ohne Unterstützung. Ein weiteres Ereignis weist in die gleiche Richtung. Im 
September 1938 - während der Sudetenkrise - läßt Frankreich auch die 
Tschechoslowakei trotz eines Beistandspakts im Stich. So erkennt die litauische 
Regierung, daß sie im Falle einer deutsch-litauischen Auseinandersetzung 
gleichfalls ohne Hilfe ihrer Bündnispartner bliebe. Man zieht in Kaunas 
Konsequenzen. Die deutsche Reichsregierung stellt trotz des 
unverkennbaren Wunsches der Memelländer, „heim ins Reich“ zu dürfen, zu der Zeit 
noch immer keine Forderungen territorialer Art. Hitler faßt eine militärische 
Lösung des Problems allerdings schon im Oktober 1938 als Möglichkeit ins Auge. 
Am 21. Oktober gibt er dem Wehrmachtsführungsstab die Weisung: „Die Wehrmacht 
muß jederzeit darauf vorbereitet sein, das Memelland in Besitz zu nehmen.“ 
Konkrete Pläne und Befehle folgen daraus jedoch zunächst noch nicht. Als Konsequenz ihrer außenpolitischen Lage 
beginnt die litauische Regierung nun, bei der deutschen zu sondieren. Der 
litauische Gesandte Saulys trägt am 31. Oktober in Berlin den Wunsch vor, die 
deutsch-litauischen Beziehungen neu zu gestalten, und er bittet um eine 
Erklärung der Reichsregierung zur Unverletzbarkeit des litauischen 
Staatsgebiets. Das kommt dem Wunsch gleich, daß Deutschland endgültig auf das 
Memelland verzichtet. Staatssekretär von Weizsäcker im Auswärtigen Amt hält sich 
bedeckt und verlangt vor weiteren Gesprächen erst einmal die völlige Einhaltung 
der Autonomie fürs Memelland. Am 1. November wird der erste der elf deutschen 
„Klagepunkte“ aus der Welt geschafft. Der Kriegszustand im Memelland wird 
aufgehoben. Doch inzwischen ist der Verdruß der Memelländer über ihre litauische 
Herrschaft zu groß geworden, und der Anschluß Österreichs im März 1938 weckt bei 
ihnen alte Wünsche. Ab November 1938 kommt es im Memelland zu prodeutschen 
Aufmärschen und Fackelzügen sowie zu der offenen Forderung nach baldiger 
Rückgliederung ins Deutsche Reich. Die Reichsregierung hält sich trotzdem 
zunächst weiterhin zurück. Am 20. November läßt der litauische Außenminister 
Urbsys den deutschen Gesandten in Kaunas erstmals wissen, daß seine Regierung 
bereit sei, mit Deutschland über alle offenen Fragen zu verhandeln. Damit kommt 
Bewegung in die Memelfrage. Am 1. Dezember 1938 sucht der litauische 
Generalkonsul in Königsberg, DymsŠa, den Stab des „Stellvertreters des Führers“ 
in Berlin auf und überbringt den Wunsch aus Kaunas, über Memel zu verhandeln. Er 
erklärt im Auftrag der Regierung, Litauen sei nun bereit, dem Memelgebiet die 
volle Autonomie zu geben und die litauische Außenpolitik der des Deutschen 
Reiches anzupassen. Sein deutscher Gesprächspartner, der Diplomat Kleist, 
erwidert, daß die Entwicklung im Memelgebiet nach seiner Meinung automatisch zu 
einer Rückkehr der Memelländer ins Deutsche Reich führe. DymsŠa antwortet: „Die 
glücklichste Lösung sei nach seiner Meinung die sofortige Aufnahme von 
deutsch-litauischen Verhandlungen. Diese Verhandlungen würden deutscherseits 
also von der automatischen Rückkehr des Memelgebiets nach Deutschland ausgehen. 
Von litauischer Seite wäre der Ausgangspunkt das Angebot der vollen Autonomie. 
Das Ergebnis könne als Kompromiß ein Con-Dominium Deutschlands und Litauens über 
Memel sein.“ Die litauische Diplomatie zeigt damit 
Bereitschaft zum Entgegenkommen. Die deutsche legt noch keine Karten offen. Sie 
trifft zunächst in aller Stille Vorbereitungen. Reichsaußenminister von 
Ribbentrop erwägt die Einladung seines litauischen Kollegen und läßt zwei 
Verträge ausarbeiten. Entwurf eins ist ein deutsch-litauischer Vertrag, der die 
Rückkehr des Memellands zu Deutschland und als Gegenleistung einen litauischen 
Freihafen und Wirtschaftsprivilegien in Memel vorsieht. Entwurf zwei verlangt 
nur die volle Autonomie für das Memelland. Ansonsten informiert der 
Außenminister sein Haus, daß eine gewaltsame Rückeroberung des Memelgebietes 
nicht in der Absicht Hitlers liegt. In den Akten des Auswärtigen Amtes aus 
diesen Tagen steht wiederholt die Anmerkung des Staatssekretärs von Weizsäcker: 
„Wir lassen die Litauer über unsere Absichten zu Memel im ungewissen.“ Deutschland und das Ausland warten zu der Zeit 
mit Spannung auf die nächsten Memeler Landtagswahlen. Am 11. Dezember 1938 gehen 
96 Prozent der wahlberechtigten Memelländer unter den Augen amerikanischer, 
polnischer, französischer, italienischer und englischer Wahlbeobachter und 
Journalisten zu den Urnen. Trotz der 48 Prozent litauischer Muttersprachler 
bekommt die deutsche Liste über 87 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das Ergebnis 
wirkt wie ein Votum der Bevölkerung für den Anschluß an das Deutsche Reich. Das 
Vereinigte Königreich und die Französische Republik reagieren alarmiert auf dies 
Ergebnis. Am Tage nach der Wahl schon teilen die Regierungen beider Mächte dem 
Auswärtigen Amt in Berlin mit, „daß sie als Signatarmächte der Memelkonvention 
darauf vertrauen, daß die Deutsche Regierung ihren Einfluß auf die Memelländer 
im Sinne der Aufrechterhaltung des Status quo geltend macht“. Damit verlangen Briten und Franzosen den Verbleib 
des Memellands bei Litauen, und dies trotz des offenbar entgegengesetzten 
Willens der betroffenen Bevölkerung. Zum Zeitpunkt der Memeler Landtagswahl hat 
Hitler seinen ersten Sündenfall, den Einmarsch in die „Rest-Tschechei“, noch 
nicht begangen. So sind die Reaktionen aus Paris und London noch nicht als 
Reflex auf Hitlers spätere Aggressionen zu erklären. Großbritannien und 
Frankreich sind also auch nach ihrem Debakel auf der Konferenz von München und 
dem Anschluß der Sudetengebiete an das Deutsche Reich noch immer nicht bereit, 
ihre Fehler von Versailles selber zu bereinigen. Sie überlassen es den 
Deutschen.
 
  
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     | Quelle:Preußische Allgemeine Zeitung / Das Ostpreußenblatt, Folge 27, 5.7.2003. 
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