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Katyn – das Massaker und die Lüge
In der an Verlogenheit, Niedertracht und Brutalität reichen Geschichte des Zweiten Weltkrieges nimmt Katyn einen besonderen Platz ein. Katyn steht für Josef Stalins Absicht, die Elite Polens durch ein Massaker auszulöschen. Und für Geschichtsfälschung, Jahrzehnte über den Krieg hinaus. Daran waren nicht allein die Sowjets beteiligt. Vor 75 Jahren, am 11. April 1943, gab Berlin die Entdeckung der Massengräber von Katyn bekannt. Sie waren von der Wehrmacht bereits im Sommer 1942 geöffnet worden. Bei dem Dorf Katyn nahe Smolensk erschoss das sowjetische Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) 1940 zwischen April und Mai 4.400 Polen, in der Mehrzahl Offiziere. Sie waren in Gefangenschaft geraten, nachdem die Rote Armee im September 1939 ohne Kriegserklärung im Osten Polens einmarschiert war. Nahezu 240.000 polnische Soldaten gerieten in Gefangenschaft. Die Offiziere wurden, von den Mannschaften getrennt, in drei Sonderlager gesperrt. Im Dezember verhafteten die Sowjets zudem 15.000 polnische Reserveoffiziere. Sie, Polizisten und zahlreiche Intellektuelle galten als suspekt. Lawrenti Berija, Chef des NKWD, hatte in den Lagern Spitzel angeworben. Aus deren Berichten erfuhr er, was er erwartete, nämlich dass die Offiziere ein Sicherheitsrisiko seien. Die Polen seien „allesamt eingefleischte, unverbesserliche Feinde der Sowjetmacht“. Berija schlug dem Politbüro vor: „Tod durch Erschießen“, ohne Anklage. Stalin und führende Mitglieder des Politbüros zeichneten den Befehl zum Massenmord ab. 22.000 bis 25.000 Polen fielen ihm zum Opfer. Mindestens an fünf Orten mordeten die Erschießungskommandos. Mit dem Namen „Katyn“ verbinden Polen heute sämtliche Massaker. Güterzüge brachten die Gefangenen an den Ort der Hinrichtung, auch auf ein Erholungsgelände des NKWD bei Katyn. Dort hatten Bagger Gruben ausgehoben. Mit einem Pistolenschuss in den Hinterkopf wurden die Gefangenen hingerichtet. Nach sechs Wochen, im Juni 1940, endete das Morden, die Lager der Offiziere waren geleert. Die Mörder erhielten eine Geldprämie, sie feierten mit einem großen Besäufnis. In den leeren Lagern verbrannte man die Personalakten der ehemaligen Gefangenen. 1941 drang die Wehrmacht in das Gebiet von Katyn vor. Bewohner berichteten von Erschießungen, man fand von Wölfen ausgegrabene Menschenknochen. Soldaten entdeckten mehrere hundert Leichen in polnischen Uniformen. Die Untersuchung leitete Oberstleutnant Rudolf-Christoph von Gersdorff, der dem militärischen Widerstand angehörte. Im März 1943 scheiterte Gersdorff bei dem Versuch, Adolf Hitler durch ein Selbstmordattentat zu töten. Er blieb unentdeckt und setzte seine Arbeit in Katyn fort. Nachdem durch Briefe, Fotos und Uniformteile Sicherheit bestand, dass es sich bei den Toten um die seit 1940 vermissten polnischen Soldaten handelte, versuchte Propagandaminister Joseph Goebbels, den Fund zu nutzen. Er beorderte Gerichtsmediziner, Journalisten und Schriftsteller verschiedener Nationen sowie US-amerikanische und britische Kriegsgefangene nach Katyn. Mit der Aufdeckung des Massakers wollte er einen Keil zwischen die Kriegsgegner Deutschlands treiben. Das gelang nicht. Stalin behauptete, die Toten seien Opfer der Wehrmacht. US-Präsident Franklin D. Roosevelt glaubte seinem Verbündeten in Moskau, den er „Uncle Joe“ nannte, nur allzu gerne. Dabei war das Weiße Haus spätestens seit 1942 sehr wohl informiert über das Verschwinden polnischer Offiziere. In den USA war das kein Thema. Wenn es doch einmal erwähnt wurde, dann wurde auf „sehr zweifelhafte“ Angaben der Deutschen verwiesen. Die Vermutung einer deutschen Täterschaft wurde zur loyalen Pflicht der US-Bürger erklärt. Ähnlich war die Reaktion in Großbritannien. Der Regierung Churchill lag ein Bericht vor, nach dem es keinen Zweifel geben konnte, dass die Sowjets die Täter von Katyn waren. Dennoch bemühte sich die Regierung, das Thema nicht hochkommen zu lassen. Winston Churchill schrieb an Stalin, er werde verhindern, dass die polnische Exilpresse antisowjetische Polemik betreibe. Er halte es für sinnlos, „sich um drei Jahre alte Gräber zu scharen“. Nachdem die Rote Armee das Gebiet um Smolensk zurückerobert hatte, legten die Sowjets einen Bericht vor, in dem abermals die Wehrmacht der Täterschaft bezichtigt wurde. In London wurde der polnischen Exilregierung geraten, das Thema zu verschweigen. Nach dem Ende des Krieges wurden in westliche Zeitungen Berichte lanciert, die behaupteten, es gebe Zeugen für den Massenmord der Deutschen. Zeitungen in der sowjetisch besetzten Zone berichteten über die „ungeheuerliche Bluttat der Faschisten im Wald von Katyn“. Die Sowjets setzten Katyn in die Anklagepunkte bei den Nürnberger Prozessen. Zwar äußerten die westlichen Ankläger Bedenken, ließen aber die Klage zu. Be- und Entlastungszeugen machten widersprüchliche Aussagen, eine Schuld war nicht nachzuweisen. Der Versuch der Sowjets, die Geschichtsfälschung international abzusichern, scheiterte. In Nürnberg wurde nicht über Katyn geurteilt. Bereits 1945 erschien in den USA ein Buch, dessen Autor Zweifel an der sowjetischen Version anmeldete, seine Ansicht wurde als abwegig abgetan. Das Thema kam wieder hoch, als 1949 in einem Zeitungsbericht den Behörden eine „Verschwörung des Schweigens“ zu Katyn vorgeworfen wurde. Schließlich setzte das US-Repräsentantenhaus 1951 eine Kommission ein, die aufklären sollte, was Präsident Roosevelt von den Massakern von Katyn wusste. Die nach ihrem Vorsitzenden Ray J. Madden benannte Kommission kam zu dem Schluss, dass das Weiße Haus wusste, dass das Massaker vom sowjetischen Geheimdienst verübt worden war. In Polen überdauerte die Version der deutschen Schuld bis zum Ende des
kommunistischen Regimes. Ebenso in der DDR. Erst 1990 erklärte Michail
Gorbatschow, „der Stalinismus sei Ursache der Tragödie“ gewesen. Die Akten
blieben allerdings unter Verschluss, bis Boris Jelzin die Herausgabe erzwang.
Sie wurden gegen Protest der Kommunistischen Partei und des Militärs
veröffentlicht und 1992 dem polnischen Präsidenten Lech Walesa übergeben. |