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Die Kriegsführung der
alten Preußen
von Hans Crome |
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Als der Deutsche Orden das Land
der Preußen betrat, fand er ein Volk vor, das in den vorausgegangenen Zeiten
schon wiederholt seine Freiheit gegen Eindringlinge hatte verteidigen müssen und
das, von Natur kräftig und gesund, in Abwehr- und Angriffskämpfen kriegstüchtig
geworden war. Im Norden hatte es sich gegen das germanische Volk der Wikinger,
im Süden gegen das slawische Volk der Polen zu wehren gehabt. Bevor der Orden
erschien, war es gegen die Polen zu erfolgreichem Angriff übergegangen und hatte
den eroberungslüsternen Feind in solches Gedränge gebracht, daß dieser in seiner
Not den Orden herbeirief. Die Preußen hatten es nicht zu einem einheitlichen
Staat gebracht, sondern waren in mehrer Stämme –nach Dusburg 11- geteilt, die
auch miteinander Stammesfehden ausfochten. Mit dem Auftreten des Ordens treten
sie in das Licht der Geschichte. Erst jetzt erfahren wir aus den Kämpfen, die
sie mit dem Orden um ihre Freiheit zu führen hatten, Näheres über die Art, wie
sie ihre Kriege führten, wie sie bewaffnet waren, wie sie ihre Grenzen und
Siedlungen in der Abwehr verteidigten und die Plätze des Gegners angriffen. Aber
die Nachrichten sind dürftig, und viele Fragen bleiben unbeantwortet. Der
Geschichtsschreiber, dem wir hauptsächlich die Nachrichten verdanken, war kein
militärischer Führer und Sachverständiger, wie es Cäsar war, der uns seine
Kämpfe mit den Galliern und Germanen und die Bewaffnung und Kampfesweise seiner
Gegner mit großer Genauigkeit beschrieben hat, sondern ein geistlicher
Ordensbruder, Peter von Dusburg. Der Zweck seiner Chronik war die Verherrlichung
der Taten des Ordens bei der Niederwerfung des Widerstandes der Ungläubigen.
Dabei kommt der Gegner in der Behandlung seiner Eigenart und seiner
militärischen Eigenschaften leicht zu kurz. Immerhin können wir aus Dusburgs
Darstellungen der Kämpfe doch so viel entnehmen, daß wir uns ein einigermaßen
deutliches Bild von der Kriegsführung der Preußen machen können.
Durch die Funde, die wir in den
Gräbern gemacht haben, haben wir daneben noch manches über die Bewaffnung der
Preußen erfahren, was das Bild weiter vervollständigen kann.
Um mit der Bewaffnung der
Preußen zu beginnen, so war diese eine andere bei dem Preußen, der als Reiter
kämpfte, und dem, der zu Fuß zu kämpfen hatte. Die Truppe, mit der der Preuße
größere Unternehmungen ausführte, war die Reiterei. Jeder preußische Stamm
konnte eine beträchtliche Zahl Reiter ins Feld stellen. Dusburg gibt hierüber
einige Zahlen. Er sagt, daß Sambien 4000 Reiter und 40 000 Kämpfer, Sudauen 6000
Reiter und unzählige Kämpfer hatte. Die Zahlen sind wohl anfechtbar, da sie über
das hinausgehen, was wir über die Menschenzahl in dem verhältnismäßig dünn
besiedelten Lande wissen. Aber die berittenen Truppen waren jedenfalls sehr
zahlreich. Sie bildeten die Kerntruppen, mit denen weite Züge in das feindliche
Land und rasche Überfälle ausgeführt werden konnten. Das Pferd war das kleine,
aber flinke, sehr ausdauernde, abgehärtete einheimische preußische Pferd, das
uns aus dem Weltkriege mit dem verwandten litauischen sogenannten Panjepferd
bekannt ist. Erstaunlich sind die überlieferten Leistungen, die z. B. der
Preußenhäuptling Skomand vollbrachte, der aus dem im weiten Osten des Landes
gelegenen Sudauen überraschend in das Kulmer Land einfiel, oder wenn die den
Preußen stammverwandten Litauer ihre Streifzüge gegen das Ordensland
unternahmen. Die Reiter stellt die wohlhabende Masse der Bevölkerung, der Adel,
wenn wir ihn so nennen wollen, der Pferd und Ausrüstung für sich und sein
Gefolge beschaffen konnte.
Die Rüstung des Reiters bestand
aus Helm, Panzer, Schwert, Lanze und Schild. Helm und Panzer waren
wahrscheinlich aus Leder hergestellt, was daraus zu schließen ist, daß in den
Gräbern keine Reste der Ausrüstungsstücke gefunden sind. Daß sie die Preußen
führten, geht aber aus der Livländischen Reimchronik vom Jahre 1256 hervor, die
eine Totenfeier der Samen vor der Memelburg beschreibt und dabei sagt, daß sie
ihre toten mit ihrem Zeuge, Speeren, Brunje (Panzer), Helmen und Schwertern
verbrannten. Die Schwerter und Lanzen kennen wir aus den Gräbern. Das Schwert
war ein langes, ein- oder zweischneidiges Schwert, zum Hieb und Stich geeignet.
Die Lanze war ein langer hölzerner Schaft mit eiserner Spitze, die mit Hilfe
einer Tülle auf den Schaft geschoben wurde. Neben der Stoßlanze war der Reiter
vielleicht auch mit der Wurflanze ausgerüstet, die leichter war. Der Schild war
ein Rundschild, flach gewölbt, und bestand aus mehreren dünnen gebogenen Latten
aus Holz, die in Lagen kreuzweise übereinandergelegt und verleimt waren. Er war
mit Rindsleder oder Leinen überzogen und hatte innen einen Handgriff und die
Schildfessel, um ihn auf dem Rücken tragen zu können. Einen sogenannten
Schildbuckel hatte er wahrscheinlich nicht, da wir in den Preußengräbern keine
Schildbuckel gefunden haben. Auch die Schilde selbst haben sich, da sie aus
einem vergänglichen Stoffe hergestellt waren, in den Gräbern nicht erhalten. An
den Stiefeln oder Sandalen trug der Reiter die Sporen, Dorne von ungefähr
kegelförmiger Gestalt, die in großer Zahl in den Gräbern gefunden sind. An der
Seite hing ihm vermutlich noch ein kurzes Streitbeil. Die Ausrüstung des Pferdes
bestand aus dem Sattel mit den Steigbügeln, dem Zaumzeug und der Trense.
Die Ausrüstung des Fußsoldaten
war wesentlich einfacher. Sie bestand in der Hauptsache nur aus Lanze und
Schild. Nur diese Ausrüstung verlangte der Orden von den Fußtruppen, die er aus
den Landesbewohnern später einstellte, und bezeichnet sie in seinen Befehlen als
die Bewaffnung der Einheimischen. Ob der Fußsoldat daneben noch ein kurzes
Schwert oder Messer oder eine andere dolchartige Waffe getragen hat, wissen wir
nicht, es ist aber wahrscheinlich. In den Berichten über die Kämpfe mit dem
Orden und auch in älteren Berichten wird ferner noch eine Waffe genannt, die der
Preuße führte, die Keule. Sie diente als Schlag- und Wurfwaffe. In den frühesten
Kämpfen hat sie wie bei allen Naturvölkern eine wichtige Rolle gespielt und mag
dann später mit der Verbesserung der Bewaffnung mehr außer Gebrauch gekommen
sein. Die ältere Hochmeisterchronik erwähnt aber von den Litauern unter ihrem
Heerführer Witowd, daß sie mit Speeren und Keulen warfen. Die Köpfe der Keulen,
die aus Stein oder Eisen hergestellt waren, hat man in den Gräbern gefunden.
Eine weitere Waffe war die Schleuder. Dusburg berichtet wiederholt, daß die
Preußen mit Steinen warfen. Damit kann nur das Werfen aus der Schleuder gemeint
sein, die aus einem Lederstück mit angeheftetem Riemen bestand.
Ein besonderer Teil des
Fußvolks waren die Bogenschützen. Solch einen preußischen Bogenschützen zeigt
eine Darstellung auf einem Pfeiler der Marienburg. Der Preuße schießt mit
rückwärts gewendetem Gesicht seinen Pfeil ab. Der Bügel des Bogens ist nicht
vollgerundet, sondern an der Stelle, wo ihn die Hand erfaßt und der Pfeil zu
liegen kommt, eingezogen. Die Pfeilspitzen bestanden aus Stein und Bronze in der
älteren Zeit und in der späteren Zeit aus Eisen und sind uns in großer Zahl aus
den Gräbern erhalten.
Die Pfeile wurden in einem
Köcher getragen, der an der rechten Hüfte im Gürtel hing. Die Armbrust, mit der
der Ordenskrieger ausgerüstet war und die ihm eine große Überlegenheit im
Angriff und in der Verteidigung der festen Plätze gab, war dem Preußen
unbekannt. Dusburg erzählt anschaulich von einer Begebenheit bei der Belagerung
Königsbergs. Bei einem Ausfall hatte ein Ordenskrieger seine gespannte Armbrust
im Stiche lassen müssen. Ein Preuße nahm sie auf und hing sie sich um den Hals.
Andere stehen dabei, staunen die Waffe an und zerren an ihr herum. Durch den
Druck löst sich der Schlüssel und die losschnellende Bogensehne zerreißt dem
Träger den Hals. Der Vorfall vermehrte bei den Preußen die Scheu vor der
gefährlichen Waffe.
Die Kriegsführung der Preußen
war hauptsächlich auf den Kleinkrieg eingestellt. Sie war nach unseren Begriffen
roh und unmenschlich. Das Ziel war die völlige Vernichtung des Gegners und
seiner Siedlungen. Das Land wurde weit und breit mit Feuer und Schwert
verwüstet, die männliche Bevölkerung erschlagen, Weiber und Kinder wurden in die
Sklaverei geführt und alle Habe, soweit sie nicht vernichtet werden konnte,
mitgenommen. Zu diesem Zwecke führte man Karren und Wagen mit, die bei Dusburg
unter dem Namen currus und quadriga erscheinen; letzterer der größere
vierspännige Wagen, mit dem man auch die Wurfmaschinen befördern konnte.
Eine beabsichtigte Unternehmung
wurde durch Kriegsgeschrei bekann gemacht, dann Heerschau gehalten, der
Kriegsplan beraten und der Führer ernannt.. Ein feindlicher Einfall wurde durch
Feuerzeichen den Bewohnern bekanntgegeben. Auch das Horn wurde zum Signalgeben
verwendet.
Im Feldkriege hatten die
Preußen die besondere Kampfart, ihre Aufstellung durch eine ringsum gezogene
Umwallung zu schützen, die aus einem Verhau aus Bäumen und Gestrüpp, das
miteinander verflochten war, hergestellt wurde. Die Umwallung hatte abseits vom
Gegner einen rückwärtigen Ausgang, oder auch mehrere Ausgänge. Die deutsche
Bezeichnung für diese Schutzwehren ist Hagen. Dusburg nennt sie indagines. Er
schildert uns einen Kampf um einen solchen Hagen aus der Schlacht an der Sirgune.
Der Pommernherzog Swantepolk und sein Bruder, die damals mit dem Orden verbündet
waren, kannten, sagt Dusburg, die Kampfesweise der Preußen besser als die
Ordensbrüder. Sie besetzten die Wege um die Verhaue mit ihren Bewaffneten, so
daß keiner der hinter dem Hagen kämpfenden Preußen entweichen konnte. Das Verhau
war auch eine Art Wagenburg, in der die Fahrzeuge und der Troß untergebracht
wurden und in die man sich, wenn der Kampf im freien Felde ungünstig verlief,
zurückzog und die man verteidigte.
Ein anderes Beispiel erwähne
ich aus dem Jahr 1311. Die Litauer hatten bei ihrem Einfall in das Ordensland
die Gegend um Mehlsack und Heilsberg und andere ermländische Orte furchtbar
verheert und Tausende von Gefangenen mit sich geschleppt. Auf der Rückkehr
erreichte sie der Großkomtur Heinrich von Plotzk in der Nähe von Woplauken im
heutigen Kreise Rastenburg. Dort hatten sich die Litauer unter ihrem König Witen
verschanzt. und mit einem achtfachen Hagen umgeben, der vom Ordensheer gestürmt
werden mußte. Die im Hagen untergebrachte ungeheure Beute mit 1300 gefangenen
Christenweibern und –mädchen fiel dem Ordensheer in die Hände.
Eine beliebte Art in der
Führung des Kleinkrieges war das Legen eines Hinterhalts. Gegenüber dem
überlegenen Gegner suchte man seinen Vorteil in plötzlichen Überfällen aus dem
Versteck. Die Einöden, durch die nur wenige Wege führten, die man mit Verhauen
leicht absperren konnte, waren hierzu besonders geeignet. Wiederholt lesen wir
bei Dusburg von solchen Hinterhalten, in die das Ordensheer geriet und aus denen
es oft nur mit schweren Verlusten herauskam.
Einen Vorteil hatte der Preuße
dem schwerbewaffnete Ordensritter gegenüber in seiner leichteren Bewaffnung.
Dusburg erzählt uns als Beleg hierfür, eine Begebenheit aus den Kämpfen des
Ordens mit Swantepolk, dem Pommernherzog, der damals mit den Preußen verbündet
war. Er befahl tausend hervorragenden Männern aus seinem Heere, von den Pferden
zu steigen und, durch die Schilde gedeckt, die Pferde der Christen zu erstechen.
Er begründete seinen Befehl damit, daß die Ritter mit schweren Waffen bewehrt
seien und zu Fuß nicht kämpfen könnten.
Im angriff auf die festen
Plätze des Gegners hatten die Preußen einige Erfahrung und Gewandtheit und in
den langen Kämpfen mit dem Orden manches hinzugelernt. Da die ersten
Befestigungen des Ordens aus Holz bestanden, konnten sie mit ihren
Angriffsmitteln Erfolge erringen. Die Angriffe gegen die Holzbauten der Burgen
werden uns anschaulich geschildert, so z. B. die Belagerung Wehlaus durch die
Sudauer und Litauer. Die Preußen bringen zwei Wurfmaschinen, sogenannte Bliden,
heran, worunter fahrbare Steinschleudermaschinen zu verstehen sind. Die erste
wird an der einen, die zweite an der anderen Seite der Burg aufgestellt. Die
Burg wird acht Tage durch Anlegen von Leitern an die Mauer berannt, die
Bogenschützen schießen mit ihren Pfeilen, die Maschinen mit Steinen. Andere
Kriegerhaufen bringen Holz und Stroh heran zum Verbrennen der Holzmauern. Dabei
erwähnt Dusburg, wie ein Maschinenmeister der Angreifer auf die Spitze der
Wurfmaschine steigt, um einen Fehler zu beseitigen, und wie ihn ein Ordensmann
mit einem Pfeile so trifft, daß seine Hand an die Maschine festgenagelt wurde.
Den Angriff auf die festen Plätze unterstützte man durch Aufwerfen von Schanzen
im Vorgelände, sogenannte propugnacula, Vorkampfstellungen. Sie dienten den in
vorderster Linie Kämpfenden als Stützpunkte und hatten mitunter Türme,
sogenannte Bergfride. Bei den Angriffen auf Bartenstein während der dreijährigen
Belagerung hatten die Preußen drei solche Schanzen erbaut, die stets mit 1300
Mann besetzt waren. Mit großer Zähigkeit wurde der Angriff auf Königsberg im
Jahre 1262 unternommen. Dort hatten die Preußen eine Brücke über den Pregel
geschlagen und diese durch Schanzen bewehrt, die Türme in mehreren Stockwerken
trugen. Die Ordensburgen, die im ersten Preußenaufstande verloren gingen, wurden
aber von den Preußen meist nicht mit stürmender Hand genommen, sondern durch
jahrelange Einschließung und Aushungerung. In mehreren Fällen gelang es den
Ordensrittern, wenn keine Aussicht auf Entsatz war, die Burg heimlich zu
verlassen.
In der Abwehr und bei der
Verteidigung des Landes bedienten sich die Preußen hauptsächlich der schon oben
erwähnten Verhaue. In der Herstellung hatten sie eine große Fertigkeit und sind
hier auch wohl Lehrmeister des Ordens geworden. Nach Cohausen bestanden diese
Verhaue aus einem tüchtigen Strauchzaune, zu dessen beiden Seiten starke Pfähle
so eingeschlagen waren, daß sie sich über dem Zaune kreuzten und eine Gabel
bildeten, in der Strauch und Dorne befestigt waren, so daß ein Überschreiten
verhindert wurde. Oder man warf Bäume um, deren Seitenäste man mit den
dazwischenstehenden Sträuchern zur Erde bückte, so daß sie miteinander
verschränkt verwuchsen. So konnte man meilenweit ein Dickicht herstellen, das
für Menschen und Pferde undurchdringlich war. Solch ein Verhau schildert die
livländische Reimchronik vom Jahre 1256. Als der Meister von Livland seinen
Vergeltungszug gegen die Samen ausführt, stößt er auf der Kurischen Nehrung auf
einen Hagen, der quer über die Nehrung gezogen ist. Er war, wie es dort, heißt,
groß und dick, und große Bäume waren gefällt und so gestellt, als wenn es ein
Bollwerk wäre. Die Ritter schlugen einen breiten Weg durch den Hagen und
verbreiteten sich plündernd durch das Land. Inzwischen sprengten die Samen
hinten herum und sperrten den Hagen und damit den Rückweg, so daß die Ritter nur
unter schweren Verlusten sich an der See entlang durchschlagen konnten.
Solche Hagen zogen sich
entweder um das gesamte Gebiet des Stammes herum oder wenigstens an den Stellen,
wo es galt, Täler, Schluchten und zum Lande führende Wege abzusperren. Hier
lagen sie oft in mehreren Reihen hintereinander. Vor dem Hagen lag dann zum
weiteren Schutze des Landes eine weite Einöde, die aus dichtent Wald oder Sumpf
bestand und durch die nur ganz wenige Wege führten. Das Verhau hatte nur einen
Durchgang, auf lateinisch introitus, war nur eng. So erzählt die Chronik, daß
bei den Unternehmen des Ordens gegen Oukaym im Jahre 1305 der Ritter Heinrich
von Wolfesdorf auf dem Rückzuge in dem Durchgange durch das Verhau zu Fall kam
und das ganze Ordensheer in dem schmalen Wege über ihn hinwegmußte. Nur dadurch,
daß er sich mit dem Schilde deckte, entging er der Gefahr, zertreten zu werden.
Diese Verhaue hatten weniger den Zweck, verteidigt zu werden, denn dazu hätten
bei ihrer meilenweiten Ausdehnung die Mannschaften gefehlt, als den Gegner
aufzuhalten und dem Stamme Zeit zu lassen, die waffenfähige Mannschaft zu
sammeln und Weiber, Kinder und das Vieh in die Wälder oder in die befestigten
Plätze, die Fliehburgen, zu bringen. Für den Angreifer bildeten die Verhaue eine
große Gefahr. Er konnte, wenn er den Eingang erzwungen und sich plündernd im
Lande zerstreut hatte, auf dem Rückwege von dem Gegner, der sich inzwischen
gesammelt hatte, gegen den Hagen gedrängt, hier umzingelt und niedergemacht
werden.
Befestigte Plätze, in denen die
Preußen in größerer Zahl zusammenwohnten, wird es gegeben haben, wenn auch im
allgemeinen der Aufenthalt in vereinzelten, über das Land verstreuten Höfen
vorgeherrscht zu haben scheint. Solche geschlossenen Siedlungen waren mit einer
Umwehrung versehen, die in der Hauptsache aus einer Holz-Erde-Mauer bestand. Man
hat darunter eine doppelte Reihe von Pfählen zu verstehen, die durch Querbalken
oder Flechtwerk miteinander verbunden und deren Zwischenräume durch Erdmassen,
Geröll und Steine ausgefüllt waren. Die Mauer trug Zinnen und einen mit Steinen
befestigten Wehrgang. Sie war also eine Befestigung, ähnlich wie die uns
bekannte Angrivariermauer im alten Germanien bei Leege an der Weser, die das
Gebiet der Angrivarier gegen die Cherusker schützte. Sie wurde auch gegen die
Römer verteidigt und konnte von diesen erst eingenommen werden, als diese ihre
schweren Wurfmaschinen herangebracht hatten. Vor der Mauer der alten Preußen
lief wohl in der Regel ein Graben. In der älteren Chronik von Oliva lesen wir,
daß Swantepolk beim Angriff auf einen befestigten Ort seinen Leuten befahl,
trockenes Fichtenholz in den Graben zu werfen, um das Kastell mit Feuer zu
vernichten. Im Vorgelände waren Fallgruben angelegt, ferner hatte der
Verteidiger dort ähnliche Vorkampfstellungen, die oben erwähnten propugnacula,
wie der Angreifer.
Neben den befestigten Plätzen
gab es in den Stammengebieten eine große Anzahl Burgen. Schon der Wikinger
Wulfstan, der im 9. Jahrhundert seine bekannte Fahrt nach Preußen, dem damaligen
Aistenlande, unternahm, berichtet, daß viele Burgen im Lande wären. Die Provinz
Ostpreußen in den alten Grenzen, aber ohne das Memel- und Soldauer Gebiet, zählt
rund 250 Orte, an denen sich noch heute Reste ehemaliger Wehranlegen befinden.
Die weit überwiegende Mehrzahl, etwa 200 dieser Befestigungen geht auf die alten
Preußen zurück, soweit sich dies bisher bei einer Besichtigung der anlagen hat
feststellen lassen. Ein sicheres Urteil über den Erbauer könnte allerdings erst
gewonnen werden, wenn mit dem Spaten Grabungen gemacht worden sind, an denen es
bisher aus Mangel an Mitteln hat fehlen müssen. Die Burgen sind von sehr
verschiedenem Umfange. Sehr kleine Burgen gibt es neben solchen von recht
ansehnlicher Ausdehnung. In den kleineren Befestigungen haben wir wahrscheinlich
Stammessitze der Häuptlinge oder anderer führender Persönlichkeiten zu
erblicken, während die geräumigen Burgen solche waren, in denen die Bewohner bei
feindlichen Einfällen Aufnahme finden konnten. Viele Burgen haben neben dem
eigentlichen Kernwerk noch eine Vorburg zur Aufnahme der Flüchtlinge, des Viehs
und der sonstigen Habe. Der Aufbau der Burgen ist verschieden, er richtete sich
nach dem Gelände. Mit Vorliebe haben die alten Preußen die sogenannte Zungenburg
angewandt. Man wählte, wie der Name sagt, eine Landzunge aus, wie sich solche
Zungen im Preußenlande an den vielen Seen und den Krümmungen der Flüsse und
Bäche in großer Zahl finden, und schnitt die dem Land zugekehrte Seite dadurch
ab, daß man hier die Hauptbefestigung zog. Die anderen, dem Wasser zugewandten
Seiten, die oft steil abfielen, brauchte man dann nur mit einem geringeren
Schutze, einer Palisade, zu versehen. Die dem Angriffe ausgesetzte Seite erhielt
die Holz-Erde-Mauer, wie sie oben beschrieben ist. Wollte man sie besonders
stark machen und erlaubte es das Gelände, so zog man eine zweite Holz-Erde-Mauer
oder auch mehrere solcher Mauern. Das Vorgelände schützte man durch die
erwähnten Verhaue und hatte so einen wohlgesicherten Platz geschaffen. durch die
größere Zahl hintereinander liegender Mauern und Wälle erreichte man den
Vorteil, daß der Gegner nach Erstürmung der ersten Verteidigungsstelle zwischen
der ersten und zweiten und weiter der zweiten und dritten Umwallung in einen
Flankenangriff geriet, der ihn zwang, seine Kräfte auseinanderzuziehen, und ihm
sehr gefährlich werden konnte.
Eine andere Befestigung war die
Bergburg. Man wählte einen aus der Erde hervorragenden Hügel aus, flachte ihn
oben ab und umzog ihn mit einer Holz-Erde-Mauer, so daß eine ringsförmige
Wehranlage entstand. Die weiter unten gelegenen Stellen am Abhang des Hügels
umzog man auch wohl mit einer zweiten ringförmigen Mauer und erhielt so eine
Befestigung in mehreren Stockwerken. Den Weg nach oben führte man in
Schneckenlinien und legte ihn in sinnreicher Weise so an, daß der den Berg
ersteigende Angreifer dem Verteidiger die durch den Schild nicht bewehrte rechte
Seite zukehren mußte.
Eine weitere Art der
Befestigung war die Wasserburg, die auf einer von Sümpfen oder Morästen
umgebenen festen Landstelle angelegt und mit einer Holz-Erde-Mauer oder mehreren
solcher Mauern umzogen wurde. Diese Befestigungen finden wir in Ostpreußen aber
nur vereinzelt.
Die Befestigungen haben nicht
immer einen einheitlichen, ausschließlichen Charakter. Wie sich aus dem Gelände
von selbst ergibt, gehen die Zungenburgen und die Bergburgen in ihrer Anlage oft
ineinander über, so daß man von Zungenburgen mit Bergburgencharakter und von
Bergburgen mit Zungenburgencharakter sprechen kann.
Die Holz-Erde-Mauern stürzten,
wenn sie durch das Feuer des Angreifers verbrannt oder von dem Verteidiger
aufgegeben waren, nach vorne und hinten zusammen und bildeten bei ihrem Einsturz
eine feste Schicht am Boden, die sich allmählich mit Erde, Gestrüpp und Bäumen
überzog und so im Laufe der Zeit den Wall bildeten wir heute als Rest der
ehemaligen Anlage vor uns sehen und der den alten Wehranlagen den Namen Burgwall
gegeben hat. Legt man durch einen solchen Burgwall den Querschnitt, so findet
man zwar nicht die Reste der alten Pfähle und Balken, denn diese sind inzwischen
vergangen, aber an den Seiten des Durchstichs bemerkt man in den
verschiedenfarbig gelagerten Erdschichten die Überreste der alten Umwehrung und
findet die Steine, mit denen der Wehrgang gepflastert war.
Auch in der Verwendung von
Schiffen im Angriffe gegen an Flüssen oder an der See gelegene feste Plätze
hatten die Preußen einige Erfahrung, zumal sie ein seetüchtiges Volk von alters
her waren. So wurden beim Angriff auf Königsberg Schiffe auf dem Pregel benutzt,
die mit 20 bis 35 Mann besetzt waren. Zur Erstürmung der Memelburg, dem
Krähennest, wie es die Preußen nannten, das ausgehoben werden mußte, fuhren die
Samen auf Schiffen über die See und das Haff. Zum Überschreiten der Memel
stellten sie ihre Kähne zu einer Schiffbrücke zusammen.
Ich habe versucht, ein
möglichst zusammenhängendes Bild von der Kriegsführung der alten Preußen zu
geben. Wir sehen daraus, daß sie nicht zu verachtende Gegner waren. Im Verlaufe
der Kämpfe mit dem Orden erlagen sie der besseren Bewaffnung des Ordens und
seiner überlegenen Kriegsführung sowie ihrer eigenen Zersplitterung und dem
Mangel an einem Führer, der es vermocht und verstanden hätte, die Kräfte des
Gesamtvolkes zu einer einheitlichen Stoßkraft zusammenzufassen.
Der Tirklo. Eine gut erhaltene
prußische Befestigungsanlage am Tirklo-See in Sudauen.
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Quelle:
Quelle: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte von Ost- und Westpreußen
Jahrgang 8. 1. Januar 1934, Nummer 3 |
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