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»Die zweite Geburt einer Kirche« Diesen Herbst konnte die Kirche von Heiligenwalde mit einem Konzert eingeweiht werden. Vor zwei Jahren hatte das Gymnasium Nummer 2 die Kirche in sein Schulprogramm als Nutzer übernommen. Die Schwerpunkte Landeskunde und Denkmalpflege werden damit abgedeckt, die Arbeitsstellen unterstehen dem Direktor, und die Schüler bringen sich mit der Pflege der Anlagen und mit Veranstaltungen ein. So kam es Anton Iwanowitsch als Direktor der Schule zu, die Gäste des Konzertes zu begrüßen. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Ja, die Ordenskirche aus dem 14. Jahrhundert, die nach Kriegsende 50 Jahre lang als Getreidelager gedient hatte, sah an diesem Herbsttag wie eine richtige Kirche aus. Die Renovierungsarbeiten waren abgeschlossen, ein gepflasterter Weg führt um die Kirche herum, bunte Blumenanlagen begrüßen die Besucher, und innen waren 120 im Sommer gelieferte Stapelstühle so aufgestellt worden, daß sie wie das Gestühl in der Vorkriegszeit angeordnet waren. „Einst stand hier ein Schuppen für die Traktoren“, fuhr der Direktor fort, „nun erklingt in diesem Gebäude Musik, und kulturelles Leben kann stattfinden. Zudem ist die restaurierte Kirche ein Zeichen für den neuen Geist, für die Wertschätzung der alten Kulturdenkmäler und für den Einsatz für die gemeinsame deutschrussische Geschichte. Es ist das Werk von Georg Artemjew. Er hat alle seine Kräfte für die Restaurierung der Kirche eingesetzt. Ihn ehren wir mit diesem Konzert.“ Ein Porträt von Georg Gawrilowitsch Artemjew, dem langjährigen Schulleiter von Heiligenwalde, hing rechts neben dem Chorraum, dort, wo früher die kunstvoll geschnitzte Kanzel von 1675, wie auch der barocke Beichtstuhl von dem Königsberger Meister Clodssey geschaffen, gestanden hat. An der Kanzeltür waren einst Petrus und Paulus malerisch dargestellt, an der Treppe und am Kanzelkorb Moses und Szenen aus der Offenbarung. Heute ist die Kirche kahl. Die Kunstschätze, eine gotische Madonna mit Kind, eine gotische Heiligengruppe mit Madonna und mit dem heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Kirche, eine Kreuzigungsgruppe, Abendmahlskelche und Taufbek- ken gibt es nur noch in einer Foto-Ausstellung, die im Sommer 2006 in sorgfältiger Kleinarbeit zusammengestellt wurde und seitdem regen Zuspruch findet; das Königsberger Fernsehen zeigte sie komplett. Nur noch der mittelalterliche Taufstein und das Weihwasserbecken sind vorhanden. Beides dekorierte Kunstlehrerin Natalja Nikolajewna mit prachtvollen Blumenarrangements für das Konzert. Bemalte hölzerne Emporen zogen sich einst an den Wänden entlang. Dort befanden sich die Plätze der Patronatsherren, unter anderem die Grafen zu Dohna-Schlobitten aus Willkühnen, Nachfolger derer von Wallenrodt, die ebenfalls Patronatsherren der Kirche von Heiligenwalde waren. Die geschnitzte Pracht wird wohl, ebenso wie das Gestühl und die gedrehten Säulen, verfeuert worden sein. Aber eine Empore gibt es wieder, gemauert an der Turmseite, die zwei zusätzliche Räume birgt, „Kabinette“, in denen man allerhand aufbewahren kann. Eine Holztreppe führt hinauf, liebevoll gestaltet wie die hölzerne Balustrade. Für die Kinder des Gymnasiums ist es ein Erlebnis, auf die Empore steigen und die Kirche von oben betrachten zu dürfen. Solche beglückenden Szenen konnte Georg Artemjew nicht mehr erleben. Er starb am 9. Januar dieses Jahres im Alter von 67 Jahren; die restaurierte Kirche wurde sein Vermächtnis. 15 Jahre seines Lebens hatte er in dieses Werk investiert. Auf einen zehnjährigen Kampf mit der Bürokratie folgten vier Jahre intensiver Aufbauarbeit, von Georg Artemjew mit Umsicht geleitet und günstig durchgeführt durch die Mithilfe der Dorfbewohner. Den Hinterbliebenen war das Herz schwer an diesem sonnigen Herbsttag. Der Verlust ist zu groß, besonders für die Mitglieder des „Vereins zur Erhaltung der Kirche von Heiligenwalde“, die in dem Deutschlehrer Georg Artemjew ihren eigenen Dolmetscher hatten. (Vergleiche PAZ Nr. 9.) Um so fröhlicher waren die kleinen Künstler vom Gymnasium bei der Sache, die mit ihrem Schulbus nach Heiligenwalde gekommen waren. Alles war spannend: Das Umziehen in der Sakristei, das letzte Üben vor dem Konzert, das Beobachten des Königsberger Fernsehens, das Aufnahmen von der Kirche machte und den Baumeister Viktor Michailowitsch Staruschkin interviewte. Und dann begann das Konzert mit dem Auftritt der Singgruppe „Liedchen“ unter der Leitung von Larissa Iwanitzkaja und Elena Lapschina. Ihr Lied „Weit – weit“ schien die ostpreußische Landschaft zu beschwören. „Kultur gehört allen Menschen.“ Das war einer der ersten Sätze von Georg Artemjew, der sich seinen deutschen Freunden einprägte. Seine Lebensweisheiten sind es wert, gesammelt zu werden. Musik gehört erst recht allen Menschen. Auf dem Cembalo spielte Natalja Wislawckaja Tschaikowskys „Feentanz“ und die „Arie“ aus der Suite Nr. 3 von Johann Sebastian Bach, Elena Lapschina spielte Händels „Alemanda“ und „Sarabanda“. Die jüngsten Sängerinnen und Sänger, der Chor „Sonnenscheinchen“ unter der Leitung von Tatjana Mandrikina, hatten den neugierigen Gästen schon vor dem Konzert stolz mitgeteilt, daß sie „Das gute alte Klavier“ von Joseph Haydn vortragen würden. Nun sangen sie voller Inbrunst. Besondere Höhepunkte waren der Auftritt eines Gastchores aus Powunden, der geistliche Lieder vortrug, und der Solistin Tatjana Schiwowa, die im Programm als eine der berühmtesten Sängerinnen Rußlands vorgestellt wurde. Als sie mit ihrem Mezzosopran das „Ave Maria“ in der Kirche erklingen ließ, waren die Herzen mit Dankbarkeit erfüllt. Bedauerlich nur, daß keine deutschen Gäste da waren. Die Planung war zu kurzfristig gewesen, um eine Gruppenreise durchzuführen, und die Vorsitzende des Vereins, Bärbel Beutner, zählt nicht als deutscher Gast. Im Jahre 2007 aber soll ein deutscher Einweihungsgottesdienst gefeiert werden, was sicherlich besonderes Interesse bei den russischen Medien hervorrufen wird, die sehr gern über die früheren deutschen Bewohner berichten. Nach dem Konzert fand eine Zusammenkunft in der Schule von Heiligenwalde statt. Nach russischer Sitte gedenkt man eines Toten 40 Tage nach seinem Tode, dann neun Monate nach seinem Tode, und das Jahresgedenken schließt die Trauerzeit ab. Verwandte und Freunde finden sich zu einem Tisch ein, es wird nur von dem Toten gesprochen und zu seinem Gedächtnis gegessen und getrunken. Nun trafen sich Georg Artemjews Freunde – ein Ehepaar war aus Angerapp gekommen –, Vertreter der Verwaltung und Kollegen an seinem langjährigen Wirkungsort. Alle waren als Pädagogen tätig oder früher tätig gewesen, wurde erheiternd festgestellt. Die einzige Ausnahme bildete der Referent für Öffentlichkeitsarbeit der Administration, Wladimir Orloff. Aber seine Frau ist Deutschlehrerin. „Kirche und Schule bildeten in den deutschen Dörfern eine Einheit“, sagte eine Lehrerin. „Diese Tradition wird in Heiligenwalde heute wieder verwirklicht.“ Tatsächlich zeichnet sich auch für die Schule in Heiligenwalde – der deutsche Bau stammt aus dem Jahre 1936 – eine neue Zukunft ab. Ein Jugendbildungszentrum hat im September 2006 mit der Arbeit begonnen. Galina Engelewna, die Ehefrau von Georg Artemjew, hat die Leitung übernommen. Ein Kulturzentrum, in dem die Kirche als Veranstaltungshaus und Museum und die Schule als Tagungs- und Bildungsstätte dienen sollen, ist angedacht. Ein breites Presse-Echo
folgte dem ersten Konzert in der wieder erstandenen Ordenskirche. „Die zweite Geburt
einer Kirche“, schrieb die Neuhausener Zeitung „Unsere Zeit“ auf der Titelseite,
um in der nächsten Sonnabendausgabe noch einen zweiseitigen Bericht zu bringen.
„Neues Leben in alter Kirche“ stand in einer größeren Regionalzeitung. Ein ausführlicher
Report kam im Königsberger Fernsehen, in dem die Kirche in ihrem Glanz erstrahlte
und das Porträt von Georg Artemjew groß auf dem Bildschirm erschien. „Soviel Aufhebens
um meine unbedeutende Person!“ hätte er mit einem feinen Lächeln gesagt. Er war
das Herzstück von Heiligenwalde, zu ersetzen ist er nicht. Die Spitze der Administration
von Neuhausen dankte Bärbel Beutner mit einem besiegelten, kunstvoll gestalteten
und gerahmten Schreiben für die geleistete Arbeit. Die Arbeit geht jedoch weiter.
Das Werk in Heiligenwalde hält noch viele Aufgaben bereit.
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