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Der geniale Spieler In Erinnerung ist noch immer der Deutsche Historikertag 1980 in Hamburg. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sprach zur Eröffnung und mahnte mit der ihm eigenen Verve die versammelten Historiker, nicht nur hochwissenschaftlich, sondern zugleich für interessierte Laien „populärwissenschaftlich“ zu schreiben. Er pries Engländer und Amerikaner als Vorbilder und nannte Beispiele: „Ich denke an George Kennan und Henry Kissinger.“ Auffallend oft sind von dort in jüngster Zeit solche Werke und gerade zur preußisch-deutschen Geschichte gekommen: Etwa Christopher Clark über die Hohenzollern und über Preußen, John C. G. Röhl über Wilhelm II. und Ian Kershaw über Hitler und das Ende der NS-Zeit. In diese Phalanx reiht sich nun auch der 1934 in New York geborene Historiker Jonathan Steinberg mit seinem voluminösen Bismarck-Buch ein. Es ist ebenso kenntnisreich, unterhaltsam und mit Humor, stilsicher und mit abwägenden Urteilen, denen man widersprechen, die man aber nie wirklich verwerfen kann, geschrieben. Die anfängliche Scheu vor dem etwas einschüchternden Umfang macht rasch einem Lesevergnügen Platz, das bis zur letzten Seite anhält. Naturgemäß bringt Steinberg nichts wirklich Neues mehr. Die politischen Abläufe sind zur Genüge bekannt – Bismarcks Aufstieg, die Berufung zum preußischen Ministerpräsidenten und die Auseinandersetzungen um die Heeresnovelle (hier die „Blut- und Eisen-Rede“), die „Einigungskriege“ gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71), die Schaffung des Deutschen Reiches, die virtuose Außenpolitik bis zum Sturz 1890 und die endlosen innenpolitischen Querelen. Eine Ereignisgeschichte ist das Buch denn auch nicht. Steinberg will erklärtermaßen eine „Lebensgeschichte“ Bismarcks schreiben. Er rückt den Menschen und Politiker Bismarck in den Mittelpunkt, zeigt, wie dieser agiert und reagiert, und tut dies auf zweierlei Weise: Zum einen zitiert er Bismarck selbst, mit Redeausschnitten, Briefen und Erinnerungen, die bestätigen, welch unglaublich politisch denkender Mensch Bismarck – Steinberg nennt ihn „eines der größten politischen Genies aller Zeiten“ – gewesen ist, aber auch, welch ein begnadeter Stilist er war. Zu Recht sagt der Autor: „Als er sich für die Politik entschied, verlor die deutsche Literatur einen begabten komischen Erzähler.“ Die zweite „Technik“ Steinbergs, und sie gibt dem Buch vollends die Würze, ist, dass er zahlreiche Zeitgenossen über Bismarck sprechen lässt, wodurch ein in dieser Vielfalt wohl doch noch nie erreichtes Panorama entsteht. Seien es Briefe, Tagebücher und Erinnerungen etwa der Baronin von Spitzemberg, des Geheimen Rats von Holstein, des Grafen von Waldersee, des treuen Roon, seien es bewundernde Freunde oder erbitterte Gegner – die Vielfalt der Meinungen bringt in das Buch eine Dynamik, die genau dieses „außergewöhnliche, gigantische Selbst“, so Steinberg, widerspiegelt. Im Grunde hatte Bismarck all jene Eigenschaften, die einen Menschen widerwärtig machen: Er war rechthaberisch, prinzipienlos (Steinberg spricht von „eisigem Realismus“), hypochondrisch, rachsüchtig, eitel, skrupellos und oft einer maßlosen Völlerei ergeben. Und doch wuchs in Deutschland aus anfänglicher Ablehnung spätestens nach 1870/71 eine Bewunderung, ja Verehrung, die ihresgleichen in Deutschland nie zuvor hatte. Bismarck war zum Nationalhelden geworden, wenn auch seine engere Umgebung immer in Angst vor seinem „dämonischen“ Charakter (dieser Ausdruck wird von Freund und Feind oft gebraucht) schwebte. Auf der anderen Seite konnte man bei ihm Charme, Esprit und Herzlichkeit, Höflichkeit gegenüber Besuchern ungeachtet ihres Standes, äußere Bescheidenheit und eine unverbrüchliche Treue zu Kaiser Wilhelm I. erleben. Als auf dem Berliner Kongress 1878 Bismarck und der britische Premier Benjamin Disraeli zusammentrafen, begegneten sich zwei politische Genies auf Augenhöhe; jeder spürte das sofort, und aus der Hochachtung vor dem anderen machte keiner ein Hehl. Durch eine Kamarilla war Bismarck 1862 an die Macht gekommen, durch eine Kamarilla um den jungen Kaiser Wilhelm II. wurde er 1890 gestürzt. Er war in jeder Hinsicht an ein Ende gekommen: in der Außenpolitik ließ sich sein virtuoses „Spiel mit fünf Bällen“ nicht fortführen; in der Innenpolitik stand er vor einem Scherbenhaufen. Nicht umsonst hegte er Pläne für eine Neuverfassung des Reiches, die als „Staatsstreich von oben“ gelten. Bismarck spielte stets Vabanque, und er wusste es auch: „Mein ganzes Leben war hohes Spiel mit fremdem Gelde. Ich konnte niemals mit Sicherheit voraussehen, ob meine Pläne gelingen würden.“ Der Leser nimmt an diesem aufregenden Politikerleben Anteil, als erlebe er es gerade heute. Jonathan Steinberg: „Bismarck. Magier der
Macht“, Propyläen-Verlag, Berlin 2012, gebunden, 745 Seiten, 29,99 Euro
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