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Nach zwölfjähriger Bauzeit wurde am 28. September 1883 im Beisein von Kaiser Wilhelm I. das Niederwalddenkmal eingeweiht. Es erinnert an die Einigung Deutschlands nach dem Krieg von 1870/71 und dessen Aufstieg zum Kaiserreich. Die Stadt Rüdesheim begeht die 125-Jahr-Feier der Einweihung mit einem Festprogramm. Das Deutsche Reich war gerade drei Monate alt, da machte der Schriftsteller Ferdinand Heyl mit einem Artikel im „Rheinischen Kurir“ vom 13. April 1871 die Idee des Niederwalddenkmals publik. Dieser Zeitungsartikel wurde zur Initialzündung für die Errichtung des Denkmals. In Rüdesheim griff der Landrat die Idee auf und bewirkte eine zustimmende Erklärung des Gemeinderates. Damit wandte er sich an die nächsthöhere Dienststelle in Wiesbaden, an den dortigen Regierungspräsidenten Botho Graf zu Eulenburg. Eulenburg erklärte sich zur Unterstützung bereit, wenn die Idee auch an allerhöchster Stelle Anklang fände. Nachdem Eulenburg sich dessen versichert hatte, fiel am 29. September 1871 in Wiesbaden die Grundsatzentscheidung, auf dem Niederwald ein nationales Denkmal zur Erinnerung an die Jahre 1870/71 zu errichten. Eulenburgs nächste Schritte waren Sammelaufrufe, um die Mittel für das Vorhaben zusammenzubekommen sowie ein Wettbewerb, um einen geeigneten Entwurf zu erhalten. Das Projekt hatte inzwischen einflußreiche Förderer in Berlin. 44 Personen folgten der Einladung des Grafen für den 16. November 1871 in das Reichstagsgebäude, darunter 35 Reichstagsmitglieder. Für den Vorsitz konnte Eulenburg Reichstagspräsident Max von Forckenbeck gewinnen. Für die praktische Arbeit wurde ein geschäftsführender Ausschuß gebildet. Mit 300.000 Thalern, umgerechnet 900.000 Goldmark, wurde das Denkmal ursprünglich projektiert. Das entsprach dem Wert von fünf Tonnen Feinsilber, die übrigens heute rund 1,3 Millionen Euro wert wären. Da die Spendensammlungen weit hinter den Erwartungen zurückblieben, wurde der Betrag schon 1872 um 50.000 Thaler gesenkt. Im Februar 1872 erfolgte die erste „Konkurrenzausschreibung“. Bis zum 1. September des Jahres sollten die Entwürfe eingereicht werden. 28 architektonische und zwölf plastische Entwürfe wurden eingesandt. Die Jury aus Architekten und Bildhauern vergab den ersten Platz an einen architektonischen Entwurf von Hermann Eggert und den zweiten an einen plastischen von Johannes Schilling. Zur Ausführung mochte die Jury jedoch keinen der Entwürfe empfehlen, weil kein Entwurf mit dem vorgesehenen Budget zu realisieren war, da alle so konzipiert waren, daß sie vom Rhein aus „total sichtbar“ waren. Das aber setzte angesichts der örtlichen Verhältnisse ein monumentales und dementsprechend teures Denkmal voraus. Da man davon ausging, daß Monumentalität bei einem architektonischen Denkmal leichter zu haben sei als bei einem plastischen, wurden zum nun folgenden zweiten Wettbewerb nur Architekten eingeladen. Eine Ausnahme bildete allerdings Johannes Schilling. Er wurde mit der Begründung zur Teilnahme eingeladen, daß er einen großen architektonischen Aufbau mit seinen Skulpturen verbunden habe. Doch die zweite Ausschreibung im Frühjahr 1873 blieb insofern wieder erfolglos, als keiner der diesmal 14 eingereichten Entwürfe mit dem vorgegebenen Betrag zu realisieren war. Man unternahm nun einen dritten Anlauf. Nun sollte es nur noch einen Wettbewerb zwischen zwei Künstlern geben. Um den Kostenrahmen endlich einzuhalten, war nun die Sichtbarkeit vom Rhein aus nicht mehr gefordert, angestrebt wurde vielmehr ein plastisches Denkmal für „den Kamm des Niederwaldes, inmitten des Waldes“, womit der faktische Zwang zur teuren Monumentalität entfiel. Mit dieser veränderten Ausschreibung war Schilling konkurrenzlos. Anfang April 1874 reichte er seinen nunmehr dritten Wettbewerbsentwurf ein. Am 23. April gab die Jury ihm den Zuschlag. Allerdings übermannte auch Schilling die Verlockung, ein Denkmal zu schaffen, das vom Rhein aus zu sehen wäre. So setzte er einen Standort vor dem Waldrand durch und erklärte sich bereit, die Germania auf eigene Kosten erheblich zu vergrößern, was ihn fast ruiniert hätte. Am 16. September 1877 wurde in Anwesenheit Wilhelms I. der Grundstein gelegt, und sechs Jahre später, am 28. September 1883 wurde abermals im Beisein des Kaisers das Niederwalddenkmal schließlich eingeweiht. Heute polarisiert das Denkmal kaum noch. Doch sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg und dann sogar noch einmal in den siebziger Jahren gab es Bestrebungen, das Monument wegen angeblicher Frankreichfeindlichkeit zu zerstören. Dabei fokussiert sich das Denkmal weniger auf den Sieg der Deutschen über die Franzosen 1870/71 als auf die danach gewonnene nationale Einheit. Das insgesamt 38,18 Meter hohe Werk gliedert sich in drei Hauptteile. Auf dem 13,37 Meter hohen Postament mit der vorgelagerten Rhein-Mosel-Gruppe rahmen die beiden Allegorien von Krieg und Frieden das Hauptrelief und den Liedtext „Die Wacht am Rhein“ ein. Es folgt der 12,43 Meter hohe Sockel mit der Widmungsinschrift „Zum Andenken an die einmuethige siegreiche Erhebung des deutschen Volkes und an die Wiederaufrichtung des deutschen Reiches 1870 – 1871“, den Namen der Hauptschlachten und Belagerungen des Deutsch-Französischen Krieges sowie den Namen der deutschen Bundesstaaten und der Freien Städte. Darüber schließlich erhebt sich als dritter Teil der Komposition das 12,38 Meter hohe Standbild der Germania. Auf dem Postament wird in der Horizontalen von links nach rechts die Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges geschildert. Das Relief auf der linken Seite zeigt den Beginn des Waffenganges. Im Vordergrund steht der Trennungsschmerz der sich verabschiedenden Soldaten, ohne eine Spur von dem den Deutschen jener Zeit so gerne unterstellten Hurra-Patriotismus oder von Kriegsverherrlichung. Auf diesem Relief wird noch zwischen den Angehörigen unterschiedlicher deutscher Staaten und Regionen differenziert. Das Land ist sich zwar einig, aber besitzt noch nicht die Einheit. Dem „Abschied der Krieger“ folgt der durch eine Figur versinnbildlichte Krieg. Das 10,78 Meter lange und 2,62 Meter hohe Hauptrelief zeigt das vereinigte Heer mit König Wilhelm I. zu Pferde im Felde. Den Krieg beendet der wie der Krieg durch eine Figur versinnbildlichte Frieden. Es folgt als drittes Relief auf der rechten Seite die „Heimkehr der Krieger“. Anders als beim linken Seitenrelief kann nun nicht mehr zwischen Soldaten unterschiedlicher Staaten und regionaler Herkunft unterschieden werden, die Nation ist jetzt geeint. Während in der Vertikalen die Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges erzählt wird, werden in der Horizontalen die Ergebnisse aufgezählt. Elsaß-Lothringen wurde deutsch, und Ernst Moritz Arndts Forderung „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“ war Wirklichkeit geworden. Deutschland ist durch die Vereinigung kein Fleckenteppich mehr, sondern eine starke Nation mit großen Hoffnungen, versinnbildlicht durch einen Reichsadler oberhalb des Hauptreliefs, der im Begriff ist aufzufliegen. Den Höhepunkt im doppelten Wortsinne bildet die Germania. Sie setzt sich sich die Kaiserkrone auf das Haupt und versinnbildlicht so, daß Deutschland Kaiserreich geworden war. Germania schaut dabei nicht, wie immer wieder gerne behauptet wird, provozierend nach Westen, sondern in ihr eigenes Land, zu ihrem Volk, in den Osten. Sie erhebt dabei auch nicht drohend das Schwert, vielmehr ruht die Waffe in ihrer Linken. Mit Rücksicht auf die Franzosen wurde beim verwendeten Metall auch auf eingeschmolzene französische Kanonen verzichtet. Ebenso fehlt beim Text der „Wacht am Rhein“, auch jene Strophe, in der mit dem Wort „Welsche“ explizit die Franzosen angesprochen werden. Insoweit kann man also sogar von einem Friedensdenkmal sprechen. Im Schnittpunkt der Horizontalen, welche die Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges erzählt, und der Vertikalen, welche die Folgen aufzählt, findet sich Kaiser Wilhelm I. Insofern tat Bismarck dem Denkmal unrecht, wenn er dessen Grundsteinlegung wie dessen Einweihung aus Protest gegen dessen vermeintlich zu geringe Würdigung Kaiser Wilhelms I. mit Abwesenheit strafte. Während übrigens weder nach dem Ersten noch nach dem Zweiten Weltkrieg die Sieger den Abbruch des Denkmals forderten – obwohl entsprechende Stimmen vor allem 1923 während der französischen Besetzung des Rheinlandes zu vernehmen waren – tat dies viel später ein Deutscher. „Der Monumentalbau verherrlicht den Krieg gegen Frankreich im Zeitalter der deutsch-französischen Annäherung. Anläßlich des 100. Jahrestages der Entscheidung zum Bau sollte die Möglichkeit einer guten Geste zu unserem befreundeten Nachbarn Frankreich genutzt werden.“ Mit dieser Begründung beantragte 1972 ein gewisser Kurt Köhler beim Petitionsausschuß des Hessischen Landtags den Abriß. Zum Glück kam es nicht dazu, und heute sieht man die Dinge wieder entspannter, die Stadt Rüdesheim begeht das 125jährige bestehen des Denkmals an diesem Wochenende mit einem dreitägigen Festprogramm und einer Ausstellung im Rathaus, die noch bis morgen zu sehen ist. Der Aufruf zur Errichtung des Monuments „In Köln und Bonn, sowie am ganzen Niederrhein ist in den letzten Wochen das Projekt aufgetaucht, an den Ufern des Rheines ein Erinnerungszeichen, einen sichtbaren Markstein an den glorreich erkämpften Sieg des letzten Jahres zu errichten. Ein Denkmal, darstellend eine Germania, aus Erz gegossen, soll sich als verkörperte ‚Wacht am Rhein‘ nach den bisherigen Vorschlägen auf dem Drachenfels erheben. Dieser Gedanke findet allseitigen Beifall und es dürfte an der Ausführung eines solchen Denkmals früher oder später nicht zu zweifeln sein. Die Bewohner des Rheines haben alle Ursache, dem Gefühle des Dankes für die von den Stromufern ferngehaltenen Greuel des Krieges einen sichtbaren Ausdruck zu geben. In patriotischem Sinne sollte und müßte der Rhein dem gesamten deutschen Volke, seinen Helden-Feldherren und dem sieggekrönten Heere wohl eine Erinnerungsstätte bereiten, spätere Zeiten und Generationen daran gemahnend, was unsere Brüder in Waffen zu des Vaterlands Ehre und Wohlfahrt in dem letzten heißen Kampfe gegen Frankreich errungen. Gehört doch jetzt und erst jetzt durch die Erfolge unserer heldenmüthigen Krieger der Rhein ganz und ungetheilt dem deutschen Vaterlande, sind doch jetzt erst seine Ufer sicher vor einem frevelnden Übergriff des streitsüchtigen Nachbarvolkes … Am Strome auf und ab gibt es keine entsprechendere Stelle für die Errichtung jener ‚Wacht am Rhein‘, als die vorspringende Höhe des Niederwaldes gegenüber der Nahe-Mündung. Hier, umrahmt von der Buschwaldung, etwa über der Ruine Ehrenfels, weithin sichtbar, fände eine Germania als Wacht am Rhein den geeignetsten Platz. Gegenüber dem Eisenbahnknotenpunkt Bingerbrück, über den sich der Strom unseres siegreichen Heeres nach Frankreich ergoß, auf dem rückkehrende verwundete Krieger, die aus Frankreich ausgewiesenen Deutschen und die lorbeergeschmückten Sieger auf dem Heimweg den einigenden Mittelpunkt fanden, sollte jenes Denkmal füglich sich erheben. Hier, wo, dem Lauf der Nahe folgend, der erste Angriff auf eine deutsche Stadt und auf unser deutsches Heer geschah, hier, wo in der Ferne die neuen Landesgrenzen sich durch die blauen Linien ihrer Berge kennzeichnen, hier, wo bis vor Kurzem drei deutsche Länder ihre Grenzsteine hatten, die jetzt geeint unserem Volke seine Wiedergeburt künden – hier erhebe sich die zu errichtende ,Wacht am Rhein‘, umrahmt von den lebendigen Thyrsusstäben unserer rheinischen Edeltraube. Wie drunten die Stromschnellen des Binger Loches durch das jugendlich frische Ringen und Schäumen des schönsten deutschen Stromes sinnbildlich das Streben des deutschen Volkes nach nationaler Einigung veranschaulichen, so würde ein Standbild gerade an dieser Stelle, am eigentlichen Mittelpunkt des ganzen Stromes, sicher den entsprechendsten Platz finden: winkt doch von drüben, von Ingelheim herüber, als Zeuge früherer Reichsherrlichkeit, der Lieblingsaufenthalt unseres großen Kaiser Karl, entquillt doch hier die edelste Gabe des Rheinstromes – der ächt deutsche Feuertrank aus rheinischer Rebe. Kein Punkt, selbst der Drachenfels nicht ausgenommen, wird so häufig von Fremden aller Nationen besucht, als der Niederwald. Feiert doch hier der Ober-, Mittel- und Niederrhein seine gemeinschaftlichen Frühlingsfeste in den Pfingsttagen. Hier, im Dufte der Rebenblüten während des Frühsommers, im reichen Glanze unserer poetischen Weingärten während des Herbstes, wandert der Strom aller Rheinfahrer vorüber …“ Aus: Ferdinand Heyl, Rheinisches Erinnerungs-Denkmal an den letzten französischen Krieg, in: Rheinischer Kurir, Wiesbaden, 13. April 1871, 2. Nummer.
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