Skulptur „Frau, komm!“: Eine antifaschistische Geschichtsideologie überlagert alles.

Geschichte
Die Provokation
Von Thorsten Hinz

Ein Künstler, der das Konsens-Gesäusel übertönen will, muß auf die Pauke hauen. Ein Paukenschlag ist die Skulptur, die der polnische Kunststudent Jerzy Bohdan Szumczyk vergangene Woche in Danzig aufgestellt hat. Sie blieb nur wenige Stunden an ihrem Platz, dann räumte die Polizei sie ab. Ihren Zweck hatte sie da längst erfüllt.

Sie stellt einen Rotarmisten dar, der mit Pistole und geöffneter Hose über eine schwangere Frau herfällt. Damit kein Zweifel besteht, wer und was gemeint ist, trägt die Skulptur den Titel „Komm Frau“ in deutscher Sprache.

Szumczyk plazierte sein Werk neben einem russischen Panzer, der den Sieg der Roten Armee symbolisiert. Er setzte einen Kontrapunkt, indem er die Begleitumstände des Sieges zeigte. Die Aktion sei „der geschichtlichen Wahrheit gewidmet sowie dem Schicksal der Frauen während des Krieges“, erklärte er. „Das Denkmal zeigt eine harte Vergewaltigung, ohne etwas zu verschweigen, zu vermeiden, es zeigt die Tragödie von Frauen, die nicht erwähnt wird.“

Das verdrängte Wissen um zugefügte Verletzungen

Die Skulptur hätte seiner Meinung nach vor das Brandenburger Tor in Berlin gehört. So nahe der Gedanke einerseits liegt, erscheint er angesichts der politischen, geistigen und psychologischen Situation in Deutschland absurd. Die Tabuisierung der Massenvergewaltigungen, der deutschen Kriegsleiden überhaupt, möchte man als ein Zeichen der Scham und inneren Not ansehen. Eine „verletzte Nation“ (Elisabeth Noelle-Neumann) scheut sich, in die Abgründe erlittenen Schreckens vorzudringen, weil sie dort unerträgliche Schmerzen erwarten.

Die Wollust, mit der die industriemäßige Vergangenheitsbewältigung bemüht ist, immer neue Schuld und Schande auf den deutschen Namen zu häufen, wäre dann als Autoaggression aus Not zu werten: Das verdrängte Wissen um die zugefügten Verletzungen, das an die Oberfläche will, wird durch Selbstverletzungen überlagert und abgewehrt.

Eine antifaschistische Geschichtsideologie überlagert alles

Doch das erklärt nicht alles. Selbst die Frauen- und Genderbewegung, die sich rühmt, tradierte Muster wie die Geschlechterrollen als „Konstrukte“ zu widerlegen, hat sich konformistisch verhalten und das Leid der deutschen Frauen als Folge eigener Schuld gedeutet. Der bilderstürmerische Gestus endet da, wo die antifaschistische Geschichtsideologie anfängt. Denn in der manifestiert sich eine Macht, mit der man sich besser nicht anlegt.

Wie hoch der künstlerische Wert der Skulptur zu veranschlagen ist, steht auf einem anderen Blatt. Szumczyk ging es um die Wucht und Wirkung der Aussage, dafür hat er die agitatorische Anmutung in Kauf genommen. Die heftigen Reaktionen zeigen, daß seine Kalkulation richtig war. Zugleich hat er aufgezeigt, wie lächerlich angepaßt die bundesdeutsche Kulturszene ist, die sich ständig ihrer Tabubrüche und des damit verbundenen Mutes rühmt.

In Wahrheit propagiert und befestigt sie die aufgestellten Tabus. Wobei „Tabu“ hier ein viel zu hohes Wort ist, weil es natürliche, anthropologische oder religiöse Dimensionen nahelegt. Es handelt sich bloß um geschichtspolitische Geßlerhüte, die jeder, der gesellschaftsfähig bleiben und Subventionen erhalten möchte, grüßen und verehren muß.

Ängstlich um Bestätigung offizieller Geschichtsbilder bemüht

Und sie erhalten, grüßen und verehren sie. Die Hoffnung, daß diese Praxis von innen aufgesprengt wird, kann man nach einer langen Kette von Enttäuschungen fahrenlassen. In allen deutschen Filmen, die sich zuletzt mit den Themen Flucht, Vertreibung, Krieg, Vergewaltigung beschäftigt haben – „Die Gustloff“, „Anonyma“, „Unsere Mütter, unsere Väter“ –, wurde ängstlich darauf geachtet, die offiziellen Geschichtsbilder zu bestätigen. Die Werke erzählen viel über die geistige Situation zur Zeit ihrer Entstehung, aber nichts über die Vorgänge und die Zeit, die sie behandeln. Künstlerisch sind sie wertlos. Erneuerung kann höchstens von außen kommen.

Nun zeigt tatsächlich ein Ausländer, ein Pole, in einem provokativen Akt, daß die Geschichte des Zweiten Weltkriegs nicht so eindimensional verlief, wie sie gewöhnlich dargestellt wird und daß die verdrängte deutsche Leidensgeschichte auch andere etwas angeht. Interessanterweise hat die Provokation in Danzig stattgefunden, das bis 1945 deutsch war und heute zu Polen gehört. Das fügt sich in eine Tendenz ein, die seit längerem zu beobachten ist. Polen, Tschechen oder Russen, vor allem die jüngeren, versuchen, die Geschichte der deutschen Gebiete, die sie heute bewohnen, zu erkunden und anzunehmen. Zu diesem Zweck räumen sie sogar ihre nationalen Nachkriegsmythen beiseite.

Der Blick auf Gemeinsamkeiten, die es längst gibt

Solche Annäherung ist kompliziert, sie braucht Zeit, man kann sie nicht anweisen, das Bedürfnis danach muß in den Menschen selber wachsen. Als Deutscher sollte man sich darüber freuen und Kollektivzuschreibungen wie „Vertreiberstaaten“ künftig vermeiden. Sie sind ebenso fatal wie Kollektivvorwürfe gegen Deutschland und verstellen den Blick auf die Gemeinsamkeiten, die es längst gibt.

Der russische Botschafter hat erwartungsgemäß seine Empörung geäußert. Ernster zu bewerten sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Szumczyk wegen „Volksverhetzung“. Sie wurden zwar rasch wieder eingestellt, doch der Bazillus der Gesinnungsschnüffelei greift in ganz Europa um sich. Selbst Stalin könnte Schutz unter dem Schirm der EU-Empfehlungen und des internationalen Antifaschismus beanspruchen.

Dieser Irrsinn zeigt, daß die auf den Nationalsozialismus fixierte, tendenziell antideutsche Geschichtserzählung keine Grundlage für ein Europa freier Völker sein kann. Sie blockiert und korrumpiert den Kontinent geistig, kulturell, moralisch und politisch. Auch davon erzählt die Danziger Skulptur.

Quelle:
JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co., Kommentar, 26.10.2013,
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5ff18cb7eb9.0.html