Geschichtsdebatte: Das deutsche Urheberrecht für
die Eskalation des Zweiten Weltkriegs ist bedroht
Rettet die Alleinschuld!
Von Thorsten Hinz
Das Buch „Kampfplatz Deutschland“
des polnisch-deutschen Historikers Bogdan Musial schlägt bereits Wellen. Musial
bestätigt nach neuen Aktenstudien, was unter ausgeschlafenen Historikern in Deutschland
längst Konsens ist: Mit seinem Überfall auf die hochgerüstete Sowjetunion am 22.
Juni 1941 ist Hitler einem sowjetischen Angriff auf Deutschland zuvorgekommen.
Wenn auch nicht um wenige Tage oder
Wochen, wie in manchen Präventivkrieg-Thesen behauptet. Kollegen wie Walter Post,
Heinz Magenheimer, Joachim Hoffmann oder Stefan Scheil wird Musial damit freilich
nichts Neues sagen. Es gehört nur zu den Verrücktheiten der deutschen Verhältnisse,
daß Musial wegen seiner vorsätzlichen Weglassungen, Einschränkungen und Verneigungen
vor geschichtspolitischen Geßlerhüten eine vergleichweise größere Wirkung entfaltet.
Das Thema ist so brisant, weil das Bekenntnis zur deutschen Alleinschuld am Zweiten
Weltkrieg – neben der permanenten Vergegenwärtigung des Holocaust – den einzigen
Identitätsanker in diesem sonst identitätslosen Land darstellt. Es berührt den geschichts-
und staatspolitischen Lebensnerv der Bundesrepublik.
1960 wies Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm (CDU) – zugleich Sprecher
der Sudetendeutschen Landsmannschaft – in öffentlicher Rede auf die 54 Sudetendeutschen
hin, die am 4. März 1919 gemäß dem Selbstbestimmungsrecht der Völker für den Anschluß
an das Deutsche Reich demonstriert hatten und vom tschechischen Militär niedergemetzelt
worden waren.
Der Beginn des Zweiten Weltkrieges
Diese
Bluttat, so Seebohm, habe bereits den Beginn des Zweiten Weltkriegs markiert.
Darauf reagiert der
Staatsrechtler Theodor Eschenburg in der Wochenzeitung Die Zeit: „Bei der Frage nach der
Schuld am Zweiten Weltkrieg, die wissenschaftlich sehr schnell und eindeutig beantwortet
ist, handelt es sich nicht etwa um eine fachhistorische Angelegenheit. Die Erkenntnis
von der unbestrittenen und alleinigen Schuld Hitlers ist vielmehr eine Grundlage
der Politik der Bundesrepublik.“
Eschenburg hatte recht und unrecht
zugleich. Die deutsche Alleinschuld wurde in der Tat schnell, jedoch nicht wissenschaftlich,
sondern juristisch vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal notifiziert. Der Verteidigung
wurde regelmäßig das Wort abgeschnitten, sobald sie auf den internationalen Kontext
der politischen und militärischen Entscheidungen zu sprechen kommen wollte. Eine
Siegerjustiz also, der die meisten deutschen Historiker dennoch lemminghaft folgen.
Im übrigen hatte Eschenburg die
Sachlage korrekt benannt. Nicht historische Fakten und Zusammenhänge waren maßgeblich,
sondern politische Kräfteverhältnisse und Interessen. Seebohms Äußerungen könnten
von der sowjetischen Propaganda als „Mittel der weltpolitischen Isolierung Deutschlands“
verwendet werden. In der Tat: Der antifaschistische Konsens war blockübergreifend
und galt auch für die westliche Führungsmacht.
Gemeinsamkeiten zwischen
USA und UdSSR
Roosevelts Botschafter in Moskau,
Joseph E. Davies, konstatierte während des Großen Terrors, es gebe keine Interessenkonflikte
physischer Natur zwischen den USA und der UdSSR, vielmehr ergänzten sich die natürlichen
Hilfsquellen Rußlands und der USA. Die zweite Gemeinsamkeit lag darin, daß beide
Staaten die Identität einer konkreten Gruppe unterhalb der Menschheit nicht akzeptierten
– was freilich nicht hieß, daß sie deswegen die eigenen machtstaatlichen und imperialen
Ambitionen aufgegeben hätten.
Hitler-Deutschland bot ihnen die moralische Handhabe, den Kampf um das von Tocqueville
vorhergesagte globale Kondominium aufzunehmen. Die Deutschen beugen sich dieser
Logik bis heute.
In „Ursprünge und Elemente der totalen
Herrschaft“ definiert Hannah Arendt ein Handeln als totalitär, das sich über Tatsachen
und Identitäten hinwegsetzt und historische Situationen analytisch gleichsam zerhackt,
um die brauchbaren Einzelteile nach außerhistorischen, interessendefinierten Gesichtspunkten
neu zusammenzusetzen.
Widerspruch wird kriminalisiert
Dieser Systementwurf (bzw. Ideologie)
gibt die Handlungsgrundlage ab für die Politik mit den bekannten Begleiterscheinungen:
Widerspruch wird kriminalisiert; Tatsachen, die sich gegen das System sperren, werden
unterdrückt, unter Verschluß gehalten. Die Bundesrepublik ist somit ein Beispiel,
daß auch demokratische Verfassungsstaaten totalitäre Elemente enthalten können,
sofern sie einer echten historischen Identität entbehren.
Ihre Implementierung erfolgte in einem total besiegten Land. Um die Qualität der
deutschen Niederlage zu kennzeichnen, benutzte der Historiker Hans-Joachim Arndt
die Vokabel „debelliert“ – völlig vernichtet. Die Debellation manifestierte sich
massenhaft in der Verteilung von Melde- und Fragebögen an die Besiegten.
Die Angaben darin waren entscheidend
für eine mögliche Eröffnung eines Spruchkammerverfahrens oder eine Einlieferung
in ein Internierungslager sowie für Lebensmittelzuteilungen und eventuelle
Berufsverbote. Nur wer die richtige Gesinnung bekundete, konnte mit einem gefüllten
Brotkorb rechnen.
Abgepreßte Heuchelei
Die Heuchelei, die der Erlebnisgeneration
abgepreßt wurde, tradiert sich bis heute als existentieller Verblendungszusammenhang.
Es geht nicht nur um falsches Bewußtsein, sondern um eine substantielle, kollektive
Fehlkonditionierung. Weil die offene Rebellion dagegen international unmöglich ist,
müßten die deutschen Funktionseliten in Politik, Presse und Wissenschaft schlau
wie die Füchse sein und diese Konstellation insgeheim unterlaufen.
Doch sie sind dumm wie die Hühner,
sie befestigen sie und befinden sich wohl dabei. Auch die Debatten und Kampagnen
zum „Patriotismus“ bleiben „in der Ideologiekritik der erpressenden und Ohnmacht
erzeugenden Bewältigungsindustrie“ stecken (G. Maschke) und sind bloß läppisch.
Sollte es ausgerechnet einem gebürtigen Polen gelingen, die Verhältnisse aufzumischen,
müßten seine eingangs genannten Kollegen das als professionelle Ungerechtigkeit
empfinden – aber Charme hätte es.
___________________________
weitere Informationen:
Ein Beispiel, wie man die Aussagen des obigen Artikels verdrehen kann finden Sie
auf der Netzseite der
Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn:
Verleugnete Kriegsschuld
Mit der
Präventivkriegsthese gegen den Lebensnerv der Bundesrepublik
http://www.bpb.de/themen/4ZEQ65,0,Verleugnete_Kriegsschuld.html
|