Stettin - Szczecin 1945-1946 Dokumente - Erinnerungen
Interview mit Piotr Zaremba anläßlich der 750-Jahr-Feier Stettins.
Das Interview führte Dietrich Schröder für die
Märkische Oderzeitung.
Die öffentliche Bekanntmachung über die
Ausweisung der deutschen Bevölkerung, die am 14. Juli 1945 in Stettin verbreitet
wurde, trägt ihre Unterschrift. Wie sehen Sie heute Ihre damalige Rolle?
Zunächst einmal: daß die Deutschen auszuziehen
hatten, war nicht mein Beschluß und war auch kein polnischer Beschluß. Das war
ein amerikanischer, englischer und russischer Beschluß im 13. Paragraphen des
Potsdamer Abkommens. Die Deutschen hätten für immer in der Stadt Stettin bleiben
können, die Preußen für zwei Millionen Taler von den Schweden gekauft hatte.
Aber der deutsche Angriff auf Polen im Jahre 1939 war ein historischer Fakt.
Hätte es ihn nicht gegeben, dann wären wir nicht hier. Das ist die Konsequenz
der deutschen Angriffspolitik. Für viele Leute in Westpolen war es 1945 eine
selbstverständliche Sache, daß die deutsche Landverbindung nach Danzig nicht
bestehen bleiben konnte. Dann wären wir kein unabhängiger Staat gewesen.
Aber Polen wurde doch auch nach Westen
verschoben, die Menschen aus Ostpolen mußten ebenfalls ihre Heimat verlassen?
Im Prinzip haben die Polen so etwas Ähnliches
gemacht wie die Preußen, die Städte wie Posen und Bromberg germanisieren
wollten. Die Städte wurden deutsch, aber die Umgebung war polnisch. In Ostpolen,
wo jetzt die Ukraine, Weißrußland oder Litauen sind, da gab es auch Städte wie
Wilna oder Lemberg, die wirklich polnisch waren - von der Kultur und den
Einwohnern her. Die Umgebung aber nicht. Man kann also fast sagen, der deutsche
und der polnische Drang nach Osten wurde durch die Geschichte korrigiert. (Um
dies zu unterstreichen, zeigt Zaremba eine Karte, auf der Polen im Jahr 1138 und
das jetzige Polen dargestellt sind. Die Grenzen sind fast identisch.) Deshalb
sollte insbesondere das Schicksal Stettins Polen und Deutsche verbinden.
Wie sind Sie zum ersten polnischen
Stadtpräsidenten Stettins geworden?
Ich bin studierter Stadtbauingenieur und war vor
dem Krieg als Stadtbeamter in Posen tätig. Sowohl meine Familie als auch viele
meiner Bekannten hatten unter der deutschen Okkupation zu leiden. Ich wußte also
sehr gut, was mit den Polen geschehen wäre, wenn der Krieg verloren gegangen
wäre. Als die russische Armee kam, haben wir eine neue Stadtverwaltung in Posen
formiert, und ich wurde Direktor aller technischen Betriebe. Ende März fragte
man mich dann, ob ich bereit sei, dieselbe technische Organisation in den
deutschen Provinzen zu machen, die von Polen übernommen würden. Ich war ein
Zivilist, nie zuvor Mitglied einer Partei oder Angehöriger des Militärs.
Sie kamen bereits am 28. April, nur zwei Tage
nach der Einnahme Stettins durch die sowjetischen Truppen in die Stadt. Wie
waren Ihre ersten Eindrücke?
Ich kam mit nur einem Adjutanten und einem
Fahrer. Wir sahen, daß die Stadt leer war. Das war für uns eine Überraschung.
Die meisten deutschen Einwohner waren schon durch die deutschen Behörden
evakuiert worden. Am 1. Januar 1945 lebten in Stettin ungefähr 230.000
Einwohner. Von ihnen waren nur 6.500 geblieben, vor allem alte Leute, die sich
versteckt hielten, weil sie im Winter nicht an der Evakuierung teilnehmen
konnten. Die Russen standen sechs Wochen am rechten Oderufer, für die Deutschen
gab es also noch Zeit, Behörden und Fabriken zu evakuieren.
Sie lebten also als polnischer Staatspräsident
von 6.500 Deutschen?
Wenig später kamen viele Deutsche wieder zurück,
weil es noch keine offizielle Grenze gab. Dann waren es 60.000 bis 80.000
Deutsche, aber nicht 355.000 wie 1939. Sie lebten hauptsächlich in einem
Stadtbezirk in Weststettin und haben damals einen deutschen Distrikt mit einer
deutschen Verwaltung eingerichtet. Das war keine offizielle Autonomie, sondern
nur eine mündliche Vereinbarung.
Nach einer Protestnote der Amerikaner an die
Sowjets mußten Sie die Stadt vom 19. Mai bis zum 9. Juni und später noch einmal
vom 5. Juli an verlassen. Warum?
Wir waren schon vor der
Potsdamer Konferenz hier,
und es mußte noch darüber verhandelt werden, ob die polnische Grenze an der Oder
verläuft oder ganz Stettin einschließt.
Wann zogen Sie endgültig in die Stadt ein?
Am 3. Juli war ich ins sowjetische Hauptquartier
nach Berlin zu Marschall Shukow eingeladen. Er übergab mir im Namen der
Alliierten offiziell Stettin. Das war immer noch einen Monat vor Abschluß des
Potsdamer Abkommens. Daraufhin war ich ab 5. Juli offiziell Stadtpräsident. Die
deutsche Verwaltung wurde aufgelöst.
Später habe ich nicht nur das
Potsdamer Abkommen,
sondern auch die Originalkarte mit den Unterschriften von Stalin, Attlee und
Truman gesehen, auf der die Grenze von Greiffenberg bis westlich von Swinemünde
eingetragen war. Das erste Vorhaben bestand darin, durch die Grenze Swinemünde
zu teilen, aber Attlee war der Meinung, man könne nicht eine Stadt und einen
Hafen teilen. Ich war dann auch Mitglied der Kommission, die die Grenzlinie an
Ort und Stelle festlegte. Am 23. September unterschrieben wir ein Abkommen in
Schwerin und am 4. Oktober haben wir den Kreis westlich von Stettin übernommen.
Diese Grenze blieb bis auf eine Kleinigkeit bis heute so. Denn die
Potsdamer
Konferenz hatte vergessen, daß die Wasserversorgung von Swinemünde noch zwei
Kilometer westlich in Deutschland lag.
Laut einer Ausstellung zur Stadtgeschichte
kamen aber schon am 4. Mai die ersten polnischen Umsiedler nach Stettin?
Ja. Die ersten kamen aber noch nicht aus
Ostpolen, sondern aus dem zerstörten Warschau, aus Posen und aus Südpolen. Erst
1946/47 trafen die Transporte aus Ostpolen ein. Das waren ganze Gruppen, zum
Beispiel ein Theaterensemble oder eine Kirchengemeinde mit Priester aus Lemberg.
Nach Breslau kam die gesamte Universität aus Lemberg. Das waren große
Wanderungsbewegungen, aber es ging nicht so zu wie jetzt in Jugoslawien.
Dafür begann jedoch eine breite polnische
Kampagne, die die Aussiedlung der Deutschen vorantrieb?
Was für eine Kampagne? Es war hier nicht so wie
in Schlesien, wo noch der Großteil der Deutschen in den ehemaligen Wohnorten
geblieben war. Es gab eine leere Stadt, in der Menschen leben mußten. Die
Ausreise der etwa 80.000 Deutschen dauerte noch rund ein Jahr. Es war eine
Ausnahme hier in Stettin, daß sie ohne Genehmigung ausreisen und auch alles
mitnehmen konnten, was sie wollten. Wir hatten dann in Weststettin auch eine
englische Besatzung und 250 Militärs, die deutsche Land- und Seetransporte von
Westpolen nach Deutschland überwachten.
Und wieviele Russen waren da?
Gott weiß es, sie waren in zwei oder drei
Kasernen und blieben bis 1992. Sie unterhielten auch eine Kriegsmarinebasis in
Swinemünde. Zu Beginn war der Umgang mit den Russen eine schwere Situation für
einen polnischen Oberbürgermeister. Denn ich mußte sehr energisch gegen die
Fortsetzung der Evakuierung von Betrieben nach dem 3. Juli vorgehen. Dasselbe
Problem gab es mit dem Hafen, denn er war ein russischer Militärhafen für die
sowjetische Besatzungszone in Deutschland. Wir haben ihn erst Ende 1947 in einem
sehr schlechten Zustand übernommen.
Wie lange blieben Sie Stadtpräsident?
Demokratisch gewählte Stadtverwaltungen mit einem
Präsidenten an der Spitze existierten in ganz Polen bis 1950, dann wurden sie
liquidiert. Aber als ein guter Städtebauer bin ich geblieben. 28 Jahre lang habe
ich einen internationalen Kurs für Städtebau mit Studenten aus 45 Ländern
Asiens, Afrikas und Lateinamerikas geleitet. Zwölfmal war ich in China. Heute
bin ich Professor und Ehrenmitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften.
Sie haben Bücher über Ihre Erinnerungen
geschrieben. Sollten diese nicht ins Deutsche übersetzt werden?
Das hängt von den Deutschen ab. Ich bin der
Meinung, daß sie meine Erinnerungen interessieren sollten. Aber bisher ist noch
kein Verlag an mich herangetreten.
Die neue Ausstellung zur Stettiner
Stadtgeschichte, die anläßlich der 750-Jahr-Feier im Stadtmuseum eröffnet wurde,
erinnert an alle Abschnitte der Stadtgeschichte, auch an die deutschen Jahre.
Damit ist ganz offensichtlich die Hoffnung auf eine gute Zusammenarbeit mit den
Nachbarn in der Zukunft verbunden. Auch Sie haben zum Auftakt des Jubiläums die
Deutschen zur Zusammenarbeit eingeladen. Wie sind Ihre heutigen Empfindungen
gegenüber Deutschland?
Die Hauptsache ist, daß es jetzt keinen Streit
zwischen Deutschland und Polen gibt. Dadurch gibt es schon viele Kontakte. Wir
müssen jetzt in Stettin Profit aus unserer geopolitischen Situation schlagen. So
wie zum Beispiel Basel oder Straßburg. Da weiß jeder, daß es sich um eine
schweizerische und eine französische Stadt handelt, aber niemand fragt danach.
Die Agglomerationen bestehen aus mehreren Ländern, und das lebt. So soll es bei
uns auch werden.
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weitere Informationen:
Piotr Zaremba (* 10. Juni 1910 in Heidelberg; † 8. Oktober 1993 in Stettin) war
ein polnischer Architekt und Stadtplaner. Er war der erste polnische
Stadtpräsident von Stettin.
http://de.wikipedia.org/wiki/Piotr_Zaremba
Pommersche Bucht: STREIT UM DIE
RINNE
http://www.dpg-brandenburg.de/nr_8_9/stettgaz.htm;
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