Die Leitgedanken stimmen nicht
- Vertriebenenstiftung missachtet Würde
der Opfer -
Rudi Pawelka, Bundesvorsitzender
der Landsmannschaft Schlesien
Die vorgelegte Konzeption der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ hat alle enttäuscht, die daran geglaubt hatten, dass dieses Projekt ein würdiges Gedenken an die Opfer der Vertreibung in den Mittelpunkt stellen würde. Leider wird nicht sauber dokumentiert, vieles wird verfälscht, verschwiegen oder bagatellisiert. Dabei geht es nicht um Nebensächlichkeiten, sondern um tragende Leitlinien. Die Vertreibung gleitet damit ab zu einem Zerrbild mit vielen Wenn und Aber.
Diejenigen, die mit der Abfassung der Konzeption befasst waren, loben sie dennoch und weisen Kritik pauschal zurück, ohne dabei auf Einzelheiten einzugehen. Damit jeder selbst leichter überprüfen kann, welche gravierenden Mängel in dem 46-seitigen Papier enthalten sind, werden aus der Fülle der fragwürdigen Darstellungen einige herausgegriffen und mit den Fundstellen versehen.
Zwangsaussiedlung- bzw. -ausweisung statt Vertreibung.
Die Konzeption spricht nur dann von Vertreibung, wenn der Akt vor den Potsdamer Beschlüssen vom 2. August 1945 oder in Gebieten durchgeführt wurde, die nicht in den Regelungsbereich von Potsdam fielen. Ansonsten werden nur die Begriffe Zwangsaussiedlungen- oder -ausweisungen verwendet. Wörtlich: „Auf die Phase der wilden Vertreibungen folgen organisierte Zwangsaussiedlungen auf der Grundlage der Potsdamer Konferenz“ (S. 37). Die Aussage zu Ungarn lautet: „Ungarn … erhält im Potsdamer Protokoll das Recht, seine deutsche Bevölkerung auszuweisen“ (S. 38). Bezüglich Jugoslawien (nicht von Potsdam erfasst) heißt es auf Seite 39, dass „die Vertreibungs- und Internierungspolitik gegenüber der deutschen Bevölkerung ohne international sanktionierte rechtliche Grundlage durchgeführt wird.“ Damit ist unstrittig, dass Potsdam als Rechtsgrundlage für die Vertreibung angesehen wird. Dies beleidigt die Vertriebenen zutiefst, denn eine Vertreibung ist etwas Weitergehendes als eine Zwangsaussiedlung oder Zwangsausweisung. Nach den einschlägigen Wörterbüchern bedeutet Vertreibung, jemand von seinem Grund und Boden zu vertreiben, ihn aus dem Staat weisen und den weiteren Aufenthalt zu verbieten. Eine Aussiedlung oder Ausweisung (die Begriffe werden wechselweise verwendet) bezieht die Vertreibung von Grund und Boden nicht ein, sondern richtet sich regelmäßig gegen Ausländer, die polizeilich aus einem Staatsgebiet ausgewiesen werden. Die Konzeption geht von einer rechtmäßigen Zwangsausweisung aus, die mit Zwang durchgeführt werden musste, weil die Deutschen der Anordnung nicht freiwillig Folge leisteten.
Das Völkerrecht wurde durch die Vertreibung in eklatanter Weise verletzt. Vertreter des NS-Staates klagten die Siegermächte wegen des gleichen Verbrechens 1945 in Nürnberg an. Der tschechische Außenminister Schwarzenberg stellte im Präsidentschaftswahlkampf deshalb zu Recht fest, dass Präsident Benes und andere sich heute vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wiederfinden würden. Das Bewusstsein, ein Verbrechen beschlossen zu haben, war den Alliierten auch damals klar. So schrieb Präsident Truman im Januar 1946 an seinen Außenminister Burns: „In Potsdam wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt und durch die Umstände gezwungen zuzustimmen. Es war ein willkürlicher Gewaltakt.“ Niemand hätte sich vorstellen können, diesen Gewaltakt einmal als Recht zu bezeichnen. Die Konzeption leugnet damit den Kernbereich des Verbrechens an den Vertriebenen.
Die Reichweite des Potsdamer Protokolls wird verfälscht.
Das Gebiet westlich der Oder, insbesondere der Großteil von Stettin, ist vom Potsdamer Protokoll nicht erfasst, wird aber in der Konzeption in grob vereinfachender und verfälschender Weise in das Polen zur Verwaltung unterstellte Gebiet einbezogen. Die Sowjetunion hatte dieses Land aber erst Ende Juni 1945 eigenmächtig aus der sowjetischen Besatzungszone herausgelöst und Polen zur Verwaltung übergeben, nachdem bereits ein deutscher Bürgermeister eingesetzt worden war. Wie unwissenschaftlich die Konzeption vorging, wird auch in Bezug auf Danzig deutlich. Für die ehemals Freie Stadt konnte die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches gar nicht handeln und auch keine Verträge abschließen. Auch dies bleibt unerwähnt.
Verharmlosung der Verbrechen an Deutschen.
In den in Polen und der Tschechoslowakei eingerichteten Zwangsarbeiterlagern hätten die Deutschen schwere Misshandlungen erdulden müssen, wird beschönigend ausgeführt (S. 37). Allein im polnischen Bereich muss man von etwa 100.000 Toten in den Lagern ausgehen, darunter auch tausende Kinder. In einem Gutachten an die Bezirksstaatsanwaltschaft Hirschberg vom 30. April 2004 der polnischen Professoren Karol Jonca, Wojciech Sitek und Wojciech Wrzesiński (Universität Breslau) geben diese Wissenschaftler die Zahl der toten Deutschen in polnischen Zwangsarbeiterlagern immerhin mit 60-80.000 an, obwohl sie ansonsten andere Gewalttaten schwerpunktmäßig den Sowjets zuschreiben. Wenn die Konzeption diese Toten einfach verschweigt, verletzen die Verfasser die Würde dieser Menschen zutiefst und fälschen die Geschichte.
Herunterrechnen der Vertreibungstoten (S. 39).
Die Stiftung kennt nur noch 600.000 Vertreibungstote statt der 2,2 Millionen, die von der Bundesregierung bisher veröffentlicht wurden. Bei der niedrigen Zahl beruft man sich auf eine Bemerkung des Bundesarchivs, wonach eine Gleichsetzung ungeklärter Fälle mit Vertreibungsverbrechen nicht möglich sei. Deshalb werden Verluste der Zivilbevölkerung während der Kriegshandlungen oder bei der Flucht nicht mitgezählt, so als ob sie nicht mit dem Gesamtgeschehen um die Vertreibung zu tun hätten. Wer also auf der Flucht erschossen, tot gebombt oder durch Hunger oder Kälte umgekommen ist, bleibt unberücksichtigt. Frauen, die Selbstmord begingen, um Vergewaltigungen zu entgehen, Menschen, die wegen fehlender ärztlicher Behandlungen oder erst nach der Ankunft im Westen starben, ebenso keine Vertreibungsopfer? Eine menschenverachtende Logik, die bei anderen Opfergruppen strafbar wäre. Andererseits wird behauptet, dass dem deutschen Besatzungsterror bis zu sechs Mio. polnische Staatsbürger zum Opfer fielen (S. 30), obwohl polnische Wissenschaftler 2009 nur 5,7 Mio. Tote durch Krieg und Besatzung errechnet hatten. Hunderttausende von den Sowjets umgebrachte Polen oder die über 100.000 Toten, die am Kriegsende durch die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Polen und Ukrainern im sogenannten Ostpolen zu beklagen waren, werden den Deutschen zugerechnet. Während man also die deutsche Täterrolle überhöht, werden die deutschen Opfer kleingeredet, übrigens nicht nur an dieser Stelle.
Vertreibung soll Kriegsfolge sein (S. 3).
Die abstruse These, auch von deutschen Spitzenpolitikern gern gebraucht, dass die Vertreibung eine Kriegsfolge gewesen sei, findet sich auch in der Konzeption wieder. Zwar wird die in der Politik gern verwendete Formel von Ursache und Wirkung nicht direkt genannt, jedoch kann der Leser aus den wiederholten Aufrechnungen nur denselben Schluss ziehen. Das Denkmodell der gerechten Strafe ist korrupt, stellte der SPD-Politiker und Förderer des Zentrums gegen Vertreibungen, Peter Glotz, fest. So zu tun, als ob es üblich wäre, nach einem Krieg immer große Volksteile des Verlierers zu vertreiben oder umzubringen, ist nachweislich falsch. Kein Verbrechen rechtfertigt ein nachfolgendes Verbrechen. Vertreibungen beruhen immer auf Rassismus oder Nationalismus und auf verbrecherischen Entscheidungen politisch Verantwortlicher. Ex-Bundespräsident Herzog sah im Fall der Sowjetunion auch den Grund der Machtfestigung- und -ausweitung. Warum wurden wohl nach Kriegsende Finnen, Ungarn, Italiener, baltische Völker, Ukrainer und Polen vertrieben?
Aufrechnung mit NS-Untaten.
Immer wieder werden NS-Verbrechen in der Konzeption hervorgehoben und in Beziehung zur späteren Vertreibung gesetzt. Die Rede ist dann von der Verantwortung für die Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, der Kriegs- und Besatzungsherrschaft, vom Kontext mit der nationalsozialistischen Expansions-, Vernichtungs- und Lebensraumpolitik, vom NS-Völkermord. Ganz deutlich soll Verständnis für die Vertreiber geweckt werden nach der Devise: Selbst schuld! Auch Hinweise auf das Massensterben von sowjetischen Kriegsgefangenen und von Exzessen bei der Partisanenbekämpfung fehlen da nicht. Von einem Massensterben deutscher Kriegsgefangener erfährt man nichts. Man merkt die Absicht. Man muss dem Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Péter Esterházy, zustimmen in der Feststellung, dass es eine europäische Gewohnheit ist, die eigenen Missetaten durch die deutschen Missetaten zu verdecken. Wie man sieht, ahmen Deutsche dies nach.
Verfälschung der Vorgeschichte (S. 23/24).
Es war das Ziel des BdV, die vor 1933 liegenden Ursachen für die nachfolgenden Spannungen in die Konzeption einzubauen. Nur dadurch kann auch die damalige Lage und Stimmung in Deutschland verstanden werden. Zwar gibt es einzelne Ausführungen zu den ungerechten Regelungen nach dem 1. Weltkrieg und auch zu den Diskriminierungen, denen Deutsche als Minderheit in Polen und der Tschechoslowakei ausgesetzt waren, das wahre Ausmaß von Unterdrückung und Gewalt wird aber nicht deutlich. Das Massaker an den Sudetendeutschen am 4. März 1919 durch das tschechische Militär, die Entlassung der meisten Deutschen aus dem öffentlichen Dienst und die systematische Diskriminierung bleiben im Dunkel des Vergessens. Als noch schwerwiegender einzustufen ist das Verschweigen polnischer Gewalt gegenüber den Deutschen in Polen und im deutschen Oberschlesien. Dem Überfall der polnischen Armee und von ihr bewaffneter Insurgenten im Mai 1921 in Oberschlesien fielen tausende Deutsche zum Opfer. Warum ist dies eine Leerstelle? Verschwiegen wird auch die Kündigung des Minderheitenvertrages durch Polen 1934 beim Völkerbund. Die Konzeption versteigt sich stattdessen zu der Behauptung, die deutsche Minderheit hätte sich in Polen in Presse, kulturellen Vereinen oder politischen Parteien artikulieren können (S. 26). Wieso flüchtete dann eine Mio. von ihnen nach Deutschland, ebenso wie tausende jüdische polnische Staatsbürger? Die Zahl der Deutschen in Polen soll nach Kriegsende nur 1,2 Mio. betragen haben (S. 27). In Wahrheit waren es 2,3 Mio.
Die polnischen Aggressionen bis 1939 gegen seine Nachbarstaaten, die in Deutschland für das Polenbild maßgeblich waren, bleiben außen vor. Schon vor dem Überfall auf Oberschlesien erfolgte 1919/1920 der Überfall auf die Sowjetunion und Litauen, der mit der Einverleibung umfangreicher Gebiete mit überwiegend nicht polnischer Mehrheit abschloss (sogenanntes Ostpolen). 1938 folgte dann die Annexion des tschechischen Olsa - Gebietes unter Vertreibung der dort ansässigen Deutschen und Tschechen.
„Wie in Deutschland gibt es auch in anderen Ländern Revisionsbestrebungen, die teilweise in neue Kriege oder kriegsähnliche Auseinandersetzungen münden.“ Mit dieser beschönigenden Aussage der Konzeption (S. 24) werden wiederum Fakten zugedeckt.
Beschweigen ist ein probates Mittel der Geschichtsfälschung, sagte der jüdisch-polnische Historiker Feliks Tych am 27.01.2010 im Deutschen Bundestag. Diese Methode wird dem Stiftungsauftrag, der Versöhnung zu dienen, nicht gerecht. Falls sich die künftige Dauerausstellung streng an die Vorgaben der Konzeption hält, präsentieren die Deutschen der Welt ein Zerrbild über die Vertreibung. Die Vertriebenen verlieren damit ihre Würde.
„Gute Nachbarschaft kann nur wachsen, wenn unsere Völker sich dem Grauen ihrer jüngsten Geschichte mit dem Mut zur vollen Wahrheit stellen. Nichts hinzufügen, aber auch nichts aufrechnen.“ Dieser Forderung von Ex-Bundespräsident Roman Herzog können wir uns nur anschließen. Für eine an wissenschaftlichen Erkenntnissen und an der Wahrheit orientierte Darstellung zu kämpfen, muss unser Ziel bleiben.
siehe dazu auch:
Aggression gegen Deutsche von 1919-1939
- Bedeutsame Tatsachen werden verschwiegen -
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