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Zu den Wahlen in Polen schreibt Tobias Norbert Körfer, Sehr geehrte Damen und Herren, die Wahlen zum Sejm in Warschau, dem gesamtpolnischen Parlament, liegen nun über eine Woche zurück und sind von vielen umfassend analysiert und bewertet worden. Als Vorsitzender der AGMO e.V. möchte ich Ihnen in Abstimmung mit dem Vorstand die folgende Bewertung zukommen lassen. Nach dem sehr schlechten Abschneiden der Liste des „Wahlkomitees der deutschen Minderheit“ am 9. Oktober 2011, richte ich mich in wirklich brennender Sorge um den politischen Fortbestand der deutschen Volksgruppe als organisierte nationale Minderheit in der Republik Polen an Sie. Die Stimmenausbeute der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen bei den landesweiten Sejm-Wahlen vom vergangenen Sonntag ist kein „Gesundschrumpfungsprozeß“, sondern kommt einem Offenbarungseid gleich. Wieder einmal hat es nur zu einem Sitz im Sejm gereicht, der darüber hinaus unabhängig vom Wahlergebnis ohnehin per Gesetz garantiert wäre. Obgleich eine professionelle polnische PR-Agentur für viel Geld damit beauftragt worden war, den Wahlkampf des „Wahlkomitees der deutschen Minderheit“ inhaltlich und organisatorisch durchzuführen, mussten erhebliche Stimmenverluste hingenommen werden. Noch bei der Regionalwahl im November 2010 erhielt das „Wahlkomitee der Deutschen Minderheit“ in der Woiwodschaft Oppeln 18 % der Stimmen. Am vergangenen Sonntag waren es im Rahmen der landesweiten Sejmwahl im selben Stimmbezirk nur 8 %. Ich bin der Auffassung, daß unterschiedliche Gründe zu den erheblichen Stimmeneinbußen von weit über 50 % geführt haben mögen. Das deutliche Verfehlen des Ziels, mindestens drei deutsche Abgeordnete in die zweite Kammer des polnischen Parlaments zu entsenden, hat jedoch weitaus tiefer liegende Ursachen, als dass das „Wahlkomitee der deutschen Minderheit“ von den Bürgern in erster Linie als regionale politische Kraft wahrgenommen wird und dessen Wahlkampf trotz teuer bezahlter professioneller Unterstützung die Menschen nicht angesprochen hatte. Der vergleichsweise geringe Stimmenanteil, die Abwanderung von Stammwählern zu polnischen Parteien, all das könne aus Sicht der AGMO e.V. zu einem guten Teil auch auf einen nunmehr signifikant zutage tretenden Mangel an Sprach- und Identitätsbindung von Einigen in der Führung der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen zurückgeführt werden. VdG-Präsident Bernard Gaida sprach diese Fehlentwicklungen, die nicht nur das deutsche Minderheitenschulwesen in der Republik Polen betreffen, in einem wenige Tage vor der Wahl im „Wochenblatt“ aus Oppeln in Nr. 40/2011 veröffentlichten Gespräch („Erfolg durch Fingerspitzengefühl“) offen und mutig an. Er, Bernard Gaida, stünde für die Einrichtung „echter deutscher Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache“. Darin muss der Vorsitzende des VdG politisch und durch aktive Lobbyarbeit unterstützt werden! In den seit 1990 möglichen, jedoch bisher nicht eingerichteten durchgehend deutschsprachigen Kindergärten, Grund- und auch weiterführenden Schulen hätten in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten diejenigen jungen Deutschen heranwachsen und ausgebildet werden können, deren Stimmen bei der jetzigen Wahl gefehlt haben. Der demographische Faktor macht sich auch in den Reihen unserer Landsleute östlich von Oder und Neiße bemerkbar. So haben bei den Sejm-Wahlen 1991 in der Woiwodschaft Oppeln über 130.000 Wähler ihr Kreuz bei der Liste des „Wahlkomitees der deutschen Minderheit“ gemacht. 2001 waren es immerhin noch 42.340 Stimmberechtigte. 2011 hingegen konnten sich nur noch 28.014 wahlberechtigte Bürger dazu entschließen. In den letzten 20 Jahren hat die deutsche Liste bei den Sejm-Wahlen somit über 100.000 Stimmen allein im Bezirk Oppeln verloren. Die Tendenz, wie auch deren Ursachen sind erkennbar. Sie zu benennen und eine Behebung von den politisch Verantwortlichen hüben wie drüben einzufordern ist keine Besserwisserei, sondern vielmehr gelebte Solidarität mit unseren Landsleuten in der Republik Polen. Hier helfen keine Ausflüchte, die sich an den üblichen politischen Erklärungsmustern orientieren. Die Interpretation des einzigen deutschen Sejm-Abgeordneten Ryszard Galla (www.net-tribune.de/nt/node/64703/news/Galla-Deutsche-in-Polen-wollten-vor-allem-Kaczynski-verhindern), daß deswegen viele Deutsche ihre Stimme der Bürgerplattform von Ministerpräsident Tusk und nicht der Liste des „Wahlkomitees der deutschen Minderheit“ gegeben hätten, um Kaczsynski und dessen Partei PiS zu verhindern, ist schlicht und ergreifend nicht nur äußerst gewagt, sondern lässt auch einen deutlichen Unwillen vermuten, sich die dramatische Lage bewusst vor Augen zu führen und das offensichtliche Verfehlen sämtlicher selbstgesteckter Ziele einzugestehen. Es passt ins Bild, dass das „Wahlkomitee der deutschen Minderheit“ ausschließlich polnischsprachige Wahlkampfmaterialien herausgegeben hat und Interviews größtenteils in polnischer Sprache geführt wurden. Die dadurch sichtbar werdende fehlende Identitätsbindung, die man für einen erfolgreichen Wahlkampf jedoch braucht, erklärt größtenteils den Stimmenverlust. So werden polnische Wähler, denen man sich besonders öffnen wollte, keinesfalls erreicht. Es ist daher zu verstehen, daß unter derartigen Umständen kaum einem der angesprochenen Wähler nahegebracht werden konnte, wie dringend notwendig eine starke Vertretung der deutschen Volksgruppe im Warschauer Sejm ist. Dennoch muß die sich in der Niederlage bietende Chance genutzt und entsprechend den unterstützenswerten Zielvorgaben des VdG-Präsidenten Bernard Gaida mit umso stärkerem Nachdruck nun auf die flächendeckende Einrichtung „echter“ deutscher Kindergärten und Grundschulen mit Deutsch als Unterrichtssprache gedrängt werden. Nicht anders kann langfristig das kulturelle, gesellschaftliche und dementsprechend auch politische Überleben der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen gesichert werden. Mit Bruno Kosak, Vorsitzender der Deutschen Bildungsgesellschaft (DBG) des VdG, hat ein führender Vertreter der deutschen Volksgruppe beim Tag der Heimat 2011 in Würzburg vor wenigen Tagen für sich persönlich klarstellt, seine Herzensangelegenheit sei die Förderung von deutscher Sprache und Identität in Oberschlesien. Angesichts dessen stellt sich jedoch nicht nur für potentielle Wähler in Oberschlesien die Frage, warum in der Angelegenheit der schulischen (Aus-)Bildung in der deutschen Muttersprache gerade vor dem Hintergrund des vor 20 Jahren unterzeichneten deutsch-polnischen Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrages bisher keine wesentlichen Fortschritte zu verzeichnen waren? Eine bloß sogenannte, derzeit praktizierte Zweisprachigkeit: Polnisch zu reden und ins Deutsche zu übersetzen, ist eine Sackgasse. In der Hoffnung auf Ihre Unterstützung für die Deutschen in der Republik Polen wünsche ich Ihnen alles Gute. Mit freundlichen Grüßen,
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