Euro-Kriese:
Die Stunde der Richter
Von Wilhelm Hankel
In
vordemokratischen Gesellschaften standen Gesetz und Richter über dem Staat und seinen
Politikern. Das war im Judentum so und in der griechischen Polis, sei es Athen oder
Sparta. Doch das System schützte nicht vor Justizskandalen wie den Morden an Sokrates
und Jesus Christus oder den späteren Ketzerverbrennungen im Namen des Kirchenrechts.
Seit der Aufklärung regiert in den westlichen Demokratien die Göttin der Vernunft,
versachlicht in der Herrschaft der Gesetze, institutionalisiert in den Gerichten.
Zwei von ihnen lassen die nur zu
oft einseitige und interessenbezogene Gesetzgebung des modernen Parteienstaats durch
Verfassungsgerichte kontrollieren: die USA und Deutschland. Die Unterschiede in
der Praxis beider höchster Gerichte sind aufschlußreich. Der U. S. Supreme Court
greift nur zögerlich in Staatsaktivitäten ein. Aber wenn, dann massiv, um strukturelle
Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu beseitigen wie Rassendiskriminierung,
Beschränkungen der Bürgerfreiheit oder der Religionsausübung. Die soziale Unterentwicklung
der US-Gesellschaft liegt ihm weniger am Herzen.
In Deutschland liegt der Fall eher
umgekehrt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat großes Verdienst am bis heute
sozial ausgewogenen Binnenklima unserer Gesellschaft. Es hat der Mitbestimmung der
Arbeitnehmer zum Durchbruch verholfen, zahlreiche Diskriminierungstatbestände gegenüber
Familie, Frauen und sozial Schwachen behoben oder die Rechte von Minderheiten gestärkt.
Es hat viel dazu beigetragen, Deutschland sozial und wohnlich zu machen.
Zur Staatsdoktrin erhobene Entleerung
der Eigenstaatlichkeit
Dagegen legt das BVerfG eine merkwürdige
Scheu an den Tag, wenn es gilt, Staat und Verfassung vor den „großen“ Herausforderungen
und Zumutungen unserer Zeit von außen zu schützen – selbst wenn diese die Substanz
angreifen. Das betrifft den Kriegseinsatz der Bundeswehr in fremden Erdteilen, mehr
noch die zu deutscher Staatsdoktrin erhobene Entleerung der Eigenstaatlichkeit durch
die Übertragung ältester Staats- wie Parlamentsrechte an die EU und deren Organe,
etwa der Geldhoheit und neuerdings der Fiskalhoheit, ihres einstmals siamesischen
Zwillings.
Im Maastricht-Urteil von 1993 erklärte
das BVerfG Deutschlands Verzicht auf seine eigene Währung für rechtens. Es machte
jedoch den Vorbehalt, daß der neue Euro gleich stabil sein und bleiben müsse wie
die D-Mark. Das Gericht prüfte weder die Verfassungsmäßigkeit dieses die Staatsfunktion
aushöhlenden Vorgangs noch den Realitätsgehalt der von ihm selber für zwingend erachteten
Voraussetzungen dafür. Es handelte nicht wie ein Verfassungsschützer, sondern wie
ein Notar.
1998 nahm das BVerfG seine Kompetenz
als Schutzorgan der Verfassung noch mehr zurück. Es wies die Verfassungsklage von
vier Professoren „als offensichtlich unbegründet“ zurück, weil ja – siehe das Urteil
von 1993 – die Formalien des Währungsverzichts gestimmt hatten und der Wahrheitsbeweis
für die eindringlich dargelegten ökonomischen Konsequenzen dieses Schritts nicht
erbracht sei. Sprich: Erst wenn die Katastrophe des Verzichts auf die eigene Währung
eingetreten sei, könne sich das Gericht mit dem Vorgang befassen.
Das ist jetzt der Fall. Bei der
neuen und erweiterten Verfassungsklage der jetzt fünf Professoren gegen den sogenannten
Finanzmarkt-Stabilisierungsfonds und Stabilisierungsmechanismen der Mitgliedstaaten
der Europäischen Währungsunion (EWU) geht es nicht um die Prüfung von Formalien
bei der jetzt notwendig gewordenen Stützung des Euro, sondern um die Ahndung klarer
und folgenreicher Rechtsbrüche in den EU-Verträgen. Und es geht auch nicht um das
hypothetische Abwägen von Folgen, die eintreten könnten – sie sind es bereits und
sollen auch in Zukunft in Kauf genommen werden.
70 Prozent der deutschen Fiskalhoheit
zur Disposition?
Mit Euro-Stabilitätspakt und „No
Bailout“-Klausel werden die beiden Stabilitätsanker der EU-Verträge beseitigt. Nach
der Geldhoheit werden jetzt bis zu 70 Prozent der deutschen Fiskalhoheit (nämlich
der Jahressteuereinnahmen des Bundes) zur Disposition einer dubiosen EU-Zweckgesellschaft
luxemburgischen Privatrechts gestellt. Das ist rechtlich gesehen ein Staatsstreich
und ökonomisch ein Blankoscheck für die Schuldnerländer, weiterzumachen wie bisher.
Deutschlands Bürger wie die der
anderen in die Haftpflicht genommenen EU-Staaten (allen voran Niederlande, Finnland,
Österreich) dürfen sich fragen: Was ist ihr Euro noch wert, wenn er durch Subventionen
aus ihrem Steuersäckel gestützt werden muß? Was ist von einem Europa zu halten,
das sich nur durch die Preisgabe seiner Wurzeln (Demokratie, Rechts- und Sozialstaat)
zusammenhalten und weiterentwickeln läßt?
Europas Staaten sind für ihre Bürger
geschaffen worden, nicht für eine EU, die diese Bürgerrechte in Frage stellt. Die
EU steht nicht über diesen Rechten und Werten, sie lebt von ihnen. Und diese sind
ohne ein stabiles Geldwesen und handlungsfähige Staaten nicht zu verwirklichen.
Das ist nicht Nationalismus, sondern Konstitutionalismus. Ob sie dem Volk, dem sie
als Souverän ihr Mandat verdanken, dieses aus den Fugen geratene Europa zumuten
können – darüber müssen Deutschlands Verfassungsrichter jetzt entscheiden.
Prof. Dr. Wilhelm Hankel
klagt zusammen mit den Professoren Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider,
Dieter Spethmann und Joachim Starbatty gegen die Finanzhilfen Deutschlands für Griechenland
und den sogenannten Rettungsschirm der EU.
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Prof. Hankels Brief an deutsche Bundesregierung
www.dr-hankel.de/brief-an-die-bundesregierung/
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Daher folgt nun ein zweiter Brief.
Zum Mitunterzeichnen:
Prof. Hankels Brief an deutsche Bundesregierung
www.dr-hankel.de/zweiter-brief-an-die-bundesregierung/
18.06.2011: Vorschlag zum Europäischen
Marshall-Plan von Prof. Hankel
http://www.dr-hankel.de/ein-europaischer-marshall-plan/
Deutsche Staatsanleihen verlieren nach Karlsruher Votum
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5083450e2bb.0.html;
07.09.2011: Schuldenkrise: Video nimmt Euro-Rettungsschirm unter die Lupe
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5abdad426d9.0.html;
06.09.2011: Der europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM)
Informationen als
PDF-Datei;
06.09.2011: Euro-Kläger kritisieren Bundesregierung
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M54ae7fb83e7.0.html;
29.08.2011: Rettungsschirm:
Bosbach für Aufhebung des Fraktionszwangs bei Euro-Abstimmung
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5ff45cf7b53.0.html;
25.08.2011: Euro-Krise: Finnlands Außenminister gegen Beteiligung an
Rettungspaket
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5485ad9f3f9.0.html;
24.08.2011: Währungskrise:
Euro-Kritiker verklagen Bundesverfassungsgericht
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M512bd48413d.0.html;
20.08.2011: Euro-Bonds: So klappt’s nicht. Von Wilhelm Hankel
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5d349e9bb25.0.html
17.08.2011 - 19:15 Uhr: Prof. Wilhelm Hankel im
Deutschlandfunk (www.dradio.de)
mit dem Diskussionsteilnehmer Ruth Berschens, Daniel Gros und Werner Mussler zum
Thema
"Mit
Eurobonds in die Transfer-Union" (MP3-Datei);
16.08.2011: Schuldenpolitik: SPD-Chef Gabriel fordert Euro-Bonds
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5351fbf8117.0.html;
15.08.2011: Anleihenkäufe:
Verfassungsrechtler kritisiert Europäische Zentralbank
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M504c683b8d3.0.html;
10.08.2011: Bis zum bitteren Ende
Schritt für Schritt führt die Euro-Rettungspolitik ins sichere Fiasko
http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/bis-zum-bitteren-ende.html;
09.08.2011: Euro-Rettung:
CDU-Bundestagsabgeordneter fordert Sondersitzung des Parlaments
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5c197642367.0.html;
31.07.2011: Euro-Krise - Deutschland in der Falle
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M558bc162157.0.html;
26.07.2011: Die maximale Lösung - Interview mit Focus Money
www.dr-hankel.de/2011/07/26/die-maximale-losung-interview-mit-focus-money/;
25.07.2011: Deutsche Republik im freien Fall
www.wiwo.de/politik-weltwirtschaft/deutsche-republik-im-freien-fall-474643/;
24.07.2011: Dr. Wilhelm Hankel: Europa droht der Konkurs in der jungen Freiheit
http://www.dr-hankel.de/2011/07/24/europa-droht-der-konkurs-in-der-jungen-freiheit/;
24.07.2011: Das Erfolgsrezept Europas ist die Kleinstaaterei
www.faz.net/artikel/C30638/schuldenkrise-das-erfolgsrezept-europas-ist-die-kleinstaaterei...;
21.07.2011: Die Demokratie in Griechenland wird abgeschafft - Interview mit Zeit
Online
www.dr-hankel.de/2011/07/20/die-demokratie-in-griechenland-wird-abgeschafft-interview...;
18.07.2011: Schwere Vorwürfe gegen das Bundesverfassungsgericht
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5496f168f3c.0.html;
13.07.2011: Am Rande der Panik
Nun auch noch Italien: Die Euro-Regierungen sind mit ihrem Latein am Ende
http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/am-rande-der-panik.html;
12.07.2011: Währungskrise: Marine Le Pen: Der Euro ist tot
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M54f6c603af1.0.html;
12.07.2011: CDU-Abgeordneter Georg Schirmbeck fordert Transferunion in der
Euro-Zone
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M567b83e8a5e.0.html;
07.07.2011: Streiflicht - High Noon für den Euro
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5346ddbeef3.0.html
06.07.2011: Euro-Putschisten
Der »Gouverneursrat« des ESM soll über das Geld der Deutschen bestimmen
http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/euro-putschisten.html;
05.07.2011: Euro-Befürworter und Gegner streiten über Rettungsfonds
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5dd1ba98032.0.html;
05.07.2011: Petition gegen dauerhaften Euro-Rettungsschirm
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5921c2075c6.0.html;
04.07.2011: Warum Deutschland die Euro-Zone verlassen sollte
www.handelsblatt.com/politik/international/warum-deutschland-die-euro-zone-verlassen...;
03.07.2011: Die verzockte Währung
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M51f3f967154.0.html;
30.06.2011: Streiflicht - Wer spricht für die deutsche Wirtschaft?
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5f5016bf684.0.html;
18.06.2011: Vorschlag zum Europäischen Marshall-Plan von Prof. Hankel
http://www.dr-hankel.de/ein-europaischer-marshall-plan/;
06.06.2011: Ökonom Sinn spricht sich gegen EU-Hilfe für Griechenland aus
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M532588dcebb.0.html;
12.05.2011: Gauweiler: Euro-Krise bestätigt Notwendigkeit der
Verfassungsbeschwerde
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5c97609906b.0.html;
23.02.2011: Pressekonferenz pro Europa e.V. (Videobericht)
http://pressekonferenz.tv/ondemand/ProEuropa23022011.html;
17.12.2010: Angst um unser Geld
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M508ef81acc3.0.html;
27.09.2010: „Versailles mit friedlichen Mitteln“
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M50b4bfa7123.0.html;
24.09.2010: Euro-Gegner rufen zum "Volkswiderstand" auf
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5f98c7323b8.0.html;
01.09.2010: Wehrlos gegen Brüssel
Muss EU-Rettungsschirm bald erstmals zahlen? − Karlsruher Richter enttäuschen
Hoffnungen
www.preussische-allgemeine.de/zeitung/nachrichten/artikel/wehrlos-gegen-bruessel.html;
18.06.2010: Euro-Rettungsschirm: Verfassungsrechtler Murswiek vertraut auf
Karlsruhe
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5b2835405dc.0.html;
10.06.2010: Euro-Rettung: Verfassungsgericht lehnt Gauweilers Eilantrag ab
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M569f82aa8fa.0.html;
07.06.2010: Ökonomen erwarten Scheitern des Euros – Henkel will die D-Mark
zurück
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M55291e4c2aa.0.html;
22.05.2010: Raus aus dem Euro!
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M552136b3d6d.0.html;
21.05.2010: Eurokrise: Gauweiler klagt gegen Rettungsschirm
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M54866474137.0.html;
07.05.2010: Zustimmung im Bundestag, Klage in Karlsruhe
http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M56119a84022.0.html;
04.05.2010: Geschenk an die Milliardäre?
Vermögensverwalter kritisiert Griechenland-Hilfspaket
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1176314/;
29.04.2010: Härte vor der Wahl. Kommentar Von Karl Albrecht
Schachtschneider
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5f49098f5d1.0.html;
28.04.2010: Die bessere Lösung
Viele Fragen zur Griechenlandhilfe – Warum kein geordneter Staatsbankrott?
www.preussische-allgemeine.de/zeitung/nachrichten/artikel/die-bessere-loesung.html;
26.04.2010: Kein Geld für Griechenland!
www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M55e758fa8c0.0.html;
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