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Stiftungsrat ohne Steinbach |
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Von Berthold Kohler, "Frankfurter Allgemeine Zeitung" |
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Wo
sind die Fanfaren? Wo das Halali? Wo der Vorschlag, den 11. Februar zum
Gedenktag der deutsch-polnischen Versöhnung zu erklären? Schließlich ist an
diesem Tag die "blonde Bestie" zur Strecke gebracht worden, wie Erika Steinbach
in Polen mitunter genannt wurde.
Nach Ansicht ihrer Gegner diesseits und jenseits der Oder stellte sie die größte
Bedrohung für die Versöhnung von Polen und Deutschen dar seit Alfred Dregger.
Selten hat man einen über Jahre und Grenzen hinweg tobenden politischen Streit
erlebt, der so von Übertreibungen, Hysterie, Propaganda und auch Verleumdung
geprägt war wie der Kampf um die Vertreibungsgedenkstätte in Berlin und die
Kraft hinter ihr, Erika Steinbach.
Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen hielt mit ihrem Projekt des
"Zentrums gegen Vertreibungen" gleich zwei Staaten in Atem. Zwei deutsche
Regierungskoalitionen stritten sich wegen ihr. Dafür einte sie immerhin Polen in
dem Glauben, sie verkörpere den Gottseibeiuns.
Dabei wollte Frau Steinbach nicht etwa Bundeskanzlerin werden und auch nicht
EU-Kommissarin für die Disziplinierung unbotmäßiger Mitglieder. Sie wollte nur
den dreizehnten Sitz im Beirat der unselbständigen Bundesstiftung "Flucht,
Vertreibung, Versöhnung" einnehmen, der dem Gesetz nach ihrer Organisation, dem
Bund der Vertriebenen, zusteht. Einen Sitz im Rat einer Stiftung, die es ohne
ihr Engagement nicht geben würde.
Erika Steinbachs Vorhaben, in der deutschen Hauptstadt dauerhaft an das Leid und
das Unrecht der Vertreibung von vierzehn Millionen Deutschen nach dem Zweiten
Weltkrieg zu erinnern, war von Anfang an auf erbitterten Widerstand gestoßen -
zuerst in Deutschland, wohlgemerkt. Die deutsche Linke wollte nicht ihr
Geschichtsbild revidieren und sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es
nicht nur deutsche Täter, sondern auch deutsche Opfer gab.
Insbesondere der SPD fiel es nicht schwer, polnische Ängste zu verstärken, die
Deutschen suchten über Projekte wie das Steinbachsche die Verbrechen Hitlers zu
relativieren und von der Täter- in die Opferrolle zu wechseln. Am Schluss, so
hieß es in Warschau bitter, sollen dann wohl nur noch die Polen Täter gewesen
sein.
Der Revisionismus-Vorwurf ist jedoch unberechtigt - auch gegenüber Erika
Steinbach und ihrem Projekt, das in dieser Hinsicht völlig unverdächtige
Politiker und Publizisten wie Peter Glotz, Ralph Giordano und Milan Horacek
unterstützten. Erika Steinbach wäre nie so weit gekommen, wenn ihr Vorhaben
gegen die Grundregeln des deutschen Geschichts- und Staatsverständnisses
verstoßen hätte. Kein zweites Volk bekennt sich so vorbehaltlos zu den dunklen
Seiten seiner Vergangenheit und hat so radikal Konsequenzen daraus gezogen wie
das deutsche.
Der deutsche Imperativ, die eigene Geschichte restlos ausleuchten, musste aber
zwangsweise eines Tages auch in das Reich der letzten Tabus führen: hin zur
Beschäftigung mit den eigenen Opfern, auch den Opfern der Vertreibung. Wenn
jetzt darüber frei gesprochen werden kann, wie manche behaupten, um damit im
selben Atemzug zu begründen, dass es deswegen keiner Erinnerungsstätte mehr
bedürfe, dann ist das in weiten Teilen der Beharrlichkeit Erika Steinbachs zu
verdanken.
Sie aber musste auf den Stiftungssitz verzichten, weil es Polen und seinen
deutschen Fürsprechern bis hinauf zum Außenminister nicht begreiflich zu machen
war, worum es in dieser Sache wirklich geht. Es geht nicht um
Geschichtsverdrehung oder gar Gebietsansprüche. Es geht nicht einmal zuerst um
das Verhältnis zu Polen.
Erika Steinbachs Projekt war vor allem ein Angebot an die Deutschen: die
Erinnerungen der Vertriebenen und die Erfahrung des Heimatverlusts als Teil der
kollektiven Erinnerung dieses Landes anzunehmen. Jahrzehntelang hatten die
Heimatvertriebenen über das ihnen widerfahrene Unrecht zu schweigen, so sie
nicht als Revanchisten beschimpft werden wollten, diesseits und jenseits der
Oder.
Deutschland hätte Wiedergutmachung durch öffentliche Anerkennung des besonders
schweren Schicksals der Vertriebenen leisten können. Das "sichtbare Zeichen",
auf das man sich am Ende des Streits um die Gedenkstätte und ihre Initiatorin
geeinigt hat, repräsentiert jedoch mindestens so sehr anhaltende Distanz und
fortdauerndes Misstrauen wie aufkeimende Empathie.
Die Vertriebenen und ihre Vertreter stehen, das hat insbesondere der
FDP-Vorsitzende und Außenminister Westerwelle deutlich gemacht, weiter unter
politischer, um nicht zu sagen: polnischer Kuratel. Die Parteien der Koalition
verkaufen natürlich auch das noch als Erfolg. Wie daraus wahrhaftige Versöhnung
entstehen soll, im Inneren wie im Verhältnis zu Polen, bleibt ihr Geheimnis.
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