|
|
»Im Krieg sterben viele Unschuldige« Gefesselt, ja gekreuzigt ist der Mann ans Mühlrad gebunden. Wenn er nach jeder Umdrehung wieder aus dem Mühlbach auftaucht, dreschen Leute mit Knüppeln auf ihn ein. Die Schläger sind Tschechen, ihr Opfer ist Deutscher, und das Ganze ist eine Szene aus dem Film „Habermann“ des tschechischen Kultregisseurs Juraj Herz. Anfangs hatte der 1934 im slowakischen Käsmark geborene Herz Skrupel vor solchen Brutalitäten, erkannte aber bald: „In Wirklichkeit war alles, was die Leute nach Kriegsende durchzustehen hatten, weitaus schrecklicher und grausamer.“ Tschechen, Deutsche und Österreicher teilten sich die Kosten des Films von 3,5 Millionen Euro, realisiert haben ihn vor allem Tschechen mit Exilerfahrung: Regisseur Herz lebte lange in Deutschland, Produzent Karel Dirka wohnt in München, Komponist Elia Cmiral in den USA. Heimisch ist allein Erfolgsautor Josef Urban, auf dessen Roman „Habermanns Mühle“ der Film fußt. Das Buch löste bei seinem Erscheinen 2001 einen ungeheuren „poprask“ (Krach) aus, dabei hatte Urban nur eine Geschichte aufgegriffen, die er als Kind von seinem Vater bei einer Bootstour durch Nordmähren gehört hatte: „Bei der Mühle dort haben sie einen Deutschen erschlagen, der Tschechen geschützt hat.“ Gemeint waren die Mühle und das Sägewerk, welche die deutsche Familie Habermann seit 110 Jahren im Örtchen Blauda (Bludov) bei Mährisch Schönberg betrieben hatte – in bestem Einvernehmen mit allen Nachbarn. Der letzte Besitzer Hubert (im Film August) Habermann wollte das gute Verhältnis über die Jahre 1938 bis 1945 retten, was ihm mit einer Taktik à la Schindler auch halbwegs gelang. Diese Analogie gefiel Urban, der sie in einen dramatischen Schlusseffekt münden ließ: Habermann sei, hieß es bislang, 1945 „unter rätselhaften Umständen verschwunden“, in Urbans Buch wird er Opfer einer tschechischen Gewaltorgie, in der sich (so Regisseur Herz) „Feigheit von Kollaborateuren und Gier nach deutschem Besitz“ austoben. 2009 kam die Bestätigung: Habermann wurde im Mai 1945 ermordet, seine Frau und Kinder vertrieben – die Täter kamen zwar vor Gericht, das sie aber freisprach. Urban hatte den Stoff 2001 zu einem Drehbuch verarbeitet, vor dem viele Angst hatten. Also verkaufte er die Filmrechte nach Deutschland, wo die Geschichte viele Änderungen erfuhr. Die sind dem Film nicht bekommen, auch nicht der Ehrgeiz des Regisseurs, drei Umbrüche im deutsch-tschechischen Verhältnis – Münchner Abkommen 1938, Protektorat Böhmen und Mähren ab 1939 und Vertreibung ab 1945 – dramaturgisch so zu verweben, dass am Ende die wechselseitige Schuldbilanz von Deutschen und Tschechen ausgeglichen erscheint. Der Film startet mit Vertreibungsszenen von ausgesuchter Brutalität, schwenkt zurück auf Protektorats- und Kriegszeit und landet am Ende erneut bei der Vertreibung. Bis Ende November wollten nur 30.478 Tschechen den Film sehen, und einen zweiten tschechischen Film über Vertreibungen dürfte es vorerst nicht geben. Die Tschechen fühlen sich mittlerweile zu oft mit diesem Thema konfrontiert, wovor auch Juraj Herz fast kapitulierte: „Die Brutalitäten bleiben ein Tabu. Viele Tschechen wollen daran nicht erinnert werden.“ Ältere nicht, wo Jüngere sich in demonstrativem Desinteresse üben. Laut deutschen Blättern ließ der ehemalige Staapräsident Vaclav Havel „Habermann“ wegen der Feiern zu seinem 74. Geburtstag ausfallen. Nicht doch! Er fehlte bei der Eröffnung einer Ausstellung „Vaclav Havel – Bürger und Dramatiker“, bleibt aber der eigentliche Anreger der Debatte. Im März 1990 lud er den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ein und sagte vieles, was wie eine Vorwegnahme von „Habermann“ anmutet: „Uns hat nicht das deutsche Volk gequält, sondern konkrete menschliche Personen. Oder haben wir nicht genug schlechte Tschechen und Slowaken kennengelernt? Gab es nicht auch unter uns genug Denunzianten der Gestapo?“ „Habermann“-Produzent Dirka besitzt einen Brief von Havel, dass Prag „sich für die Exzesse an der deutschen Bevölkerung entschuldigen sollte und für die wahnsinnige Idee, Völker zu vertreiben“. So etwas verzeihen viele Tschechen nie, die sich derzeit wieder melden: „Ich verabscheue Havel, der sich bei Sudetendeutschen entschuldigt, unser Volk beschmutzt und dafür von Deutschland bezahlt wird.“ - Wolf Oschlies
Diskutieren Sie diese Meldung in unserem Forum _____________________________________
|