| |
Vergewaltigungen fanden nicht statt ...
medica mondiale und prominente
Intellektuelle protestieren gegen das Bonner “Haus der Geschichte“, dessen
Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ das Thema Massenvergewaltigungen
ausklammert.
Karfreitag 2006 ist ein geeigneter Tag, auf diesen Protest aufmerksam zu machen:
Flucht vor einem Thema, Vertreibung eines Themas, Nicht-Integration eines
Themas. Ganz analog zum Ausstellungsmotto ging man hier vor.
Medica Mondiale schreibt:
Am Ostermontag (17. April 2006), geht im Bonner „Haus der Geschichte“ die große Ausstellung
„Flucht, Vertreibung, Integration“ zu Ende.
Die Schau hat in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit gefunden, und die
Ausstellungsmacher verweisen stolz auf stattliche Besucherzahlen. Doch was die
Verantwortlichen gerne verschweigen: Es hat hinter den Kulissen auch massive
Kritik und Protest gegeben. Der Grund: ein wichtiger Themenkomplex fehlt in der
Ausstellung, nämlich die historisch belegte Tatsache, dass Frauen während Flucht
und Vertreibung zu Hunderttausenden vergewaltigt wurden – dies übrigens auf
allen Seiten der Fronten. Viele tausend Frauen sind in Folge dieser Gewalt ums
Leben gekommen. Wenn sie verletzt überlebten, waren sie schwer traumatisiert,
ebenso wie ihre Kinder, die oftmals Zeugen des schrecklichen Geschehens werden
mussten.
All dies wird in der Ausstellung des „Hauses der Geschichte“ – immerhin in
Trägerschaft der Bundesrepublik Deutschland und mit erheblichen öffentlichen
Mitteln finanziert – schlicht totgeschwiegen. medica mondiale hatte gegen diesen
Skandal schon früh bei den Ausstellungsmachern protestiert und Nachbesserungen
gefordert.
Auch prominente Intellektuelle schlossen sich der Kritik mittlerweile an: Zum
Beispiel die Psychoanalytikerin Prof. Margarete Mitscherlich, der Arzt und
Psychoanalytiker Prof. Horst Eberhard Richter, die frühere Bundestagspräsidentin
Prof. Rita Süßmuth und die ehemalige FDP-Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger. Auch Historikerinnen zeigten sich empört, dass ein
solch wichtiges Thema einfach ignoriert wurde. So verwies zum Beispiel die
renommierte Historikerin Prof. Margarete Dörr in einem Protestbrief darauf, dass
dies eine weitere Diskriminierung der damaligen Opfer darstelle, die oft ihr
Leben lang nicht über die schrecklichen Erlebnisse sprechen konnten. Zudem
erinnerte sie daran, dass Ausstellungen des „Hauses der Geschichte“ einen
politischen Bildungsauftrag haben.
Dr. Monika Hauser, Gründerin und Geschäftsführerin von medica mondiale dazu:
„Wir haben die Verantwortlichen der Ausstellung aufgefordert, die Verbrechen
gegen Hunderttausende Frauen zu benennen und dem historisch belegten Faktum
deutscher Geschichte einen angemessenen Raum zu geben. Schon vor einem Jahr, im
Vorfeld der Ausstellung, hatten wir den Ausstellungsmachern Materialien wie zum
Beispiel ein Tagebuch zur Visualisierung des Themas sowie eine inhaltliche Zu-
und Mitarbeit angeboten. Leider vergeblich. Auch eine Wiederholung dieses
Angebotes im Rahmen eines Gesprächs vor einigen Wochen blieb ohne Resonanz.“
Die Taktik der Verantwortlichen, so Hauser, „hieß Beschönigen und Aussitzen“.
Sie verwiesen auf die rund 190 Kurz-Statements in der filmischen Reihe
„Lebenswege“, in denen Betroffene über Flucht und Vertreibung berichten und
einige das Thema angeblich zumindest erwähnen. Dies ließ sich trotz mehrmaliger
Überprüfungen jedoch nicht verifizieren.
Die Aufarbeitung eines historisch so wichtigen Themas kann und darf kein Such-
und Lotteriespiel sein. Allen Ernstes hat der Ausstellungskurator Hans-Joachim
Westholt zudem auf ein aktuelles Plakat des UNHCR - der Flüchtlingsorganisation
der Vereinten Nationen – verwiesen, auf dem das Wort sexuelle Gewalt doch
vorkomme. So wird man natürlich der historischen Dimension von systematischen
Massenvergewaltigungen in Zeiten von Krieg oder Flucht und Vertreibung nicht
gerecht.
Die Bonner Schau ist nun beendet, die Chance für eine historisch ernst zu
nehmende Aufarbeitung des wichtigen Themas wurde vertan. Danach geht die
Ausstellung nach Berlin und Leipzig. Hauser: „Bisher haben wir bewusst unsere
Kritik nicht öffentlich gemacht - immer noch in der Hoffnung, die
Ausstellungsmacher würden Einsicht zeigen. Diese Hoffnung ist leider nicht
erfüllt worden. Für Berlin und Leipzig muss substanziell nachgebessert werden,
anderenfalls wird der Protest dort massiv und öffentlich sein.“
__________________________________________
weitere Informationen:
Haus der Geschichte www.hdg.de:
Flucht, Vertreibung, Integration,
Ausstellung vom 3. Dez. 2005 – 17.
April 2006 in Bonn
Raped by Red Army soldiers,
they talk for the first time
Des victimes de viol lors
de la Deuxième
Guerre mondiale parlent
|